Rezension über:

Tilmann Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik. Der Wissenschaftsverlag R. Oldenbourg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (= Studien zur modernen Verlagsgeschichte und Wissensproduktion; 1), München: Martin Meidenbauer 2010, 436 S., ISBN 978-3-89975-199-4, EUR 69,90
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Rezension von:
Alexander Goller
Vorbach
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Goller: Rezension von: Tilmann Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik. Der Wissenschaftsverlag R. Oldenbourg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München: Martin Meidenbauer 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 12 [15.12.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/12/18978.html


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Tilmann Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik

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Tilmann Wesolowski legt mit "Verleger und Verlagspolitik" eine Verlagsgeschichte des R. Oldenbourg Verlages vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor. Die an der Freien Universität in Berlin entstandene Dissertation ist weit mehr als eine vom Autor als zentrale Fragestellung formulierte Analyse der einflussreichen Rolle des Verlegers auf Wissenschaftsbereiche und spezielle Fachgebiete. Neben Betrachtungen zur wissenschaftlichen Verlagslandschaft bieten insbesondere die eingeflochtenen Analysen der Kontakte von Verlegern bzw. Redakteuren zu Autoren bzw. Politikern einen Einblick in die Arbeitsweise, Kontaktpflege und Autorengewinnung von Verlagen.

Zunächst umreißt der Autor ausführlich den Forschungsstand, das angewandte methodische Vorgehen, wie auch die Quellenlage zur Untersuchung. Die Bemerkungen hinsichtlich der Verlagsgeschichtsschreibung im deutschsprachigen Raum sowie des R. Oldenbourg Verlages im Besonderen lassen auf ein noch sehr wenig beackertes Betätigungsfeld für Historiker deuten und regen mit ergänzenden Literaturangaben an, tiefer in die Thematik einzusteigen. Das methodische Vorgehen anhand des Feldtheorie-Ansatzes von Pierre Bourdieu überzeugt durchaus, doch die Frage stellt sich, ob diese theoretische Fundierung überhaupt nötig gewesen wäre. Die Quellenlage für die Zeit vor der Jahrhundertwende wäre dem Verfasser nach zu wenig ergiebig, da noch keine umfangreichen Korrespondenzen, Gutachten, Verlagsangebote, Personalakten etc. vorlagen. Eine veränderte Gesetzgebung kurz nach der Jahrhundertwende (Verlagsgesetz 1901, neues Urheberrecht 1902) führte dann zu einem großen Umbruch in der Verlagsbranche. Auch fällt in jene Zeit ein generationenbedingter Umbruch im Verlag und damit einhergehend eine stärker wissenschaftspublizistische Ausrichtung.

Die chronologische Vorgehensweise in drei Blöcken - bis zum Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus - und die damit verbundene wechselnde Darstellung der unterschiedlichen Verlagsbereiche, bietet sich an, da Überschneidungen und Abgrenzungsprobleme andernfalls kaum auflösbar gewesen wären.

Insbesondere Außenstehende werden überrascht sein, wie wichtig ein geordnetes Verhältnis zwischen Verleger, Redakteur und Autor ist. Wesolowski kann sehr deutlich zeigen, dass in dem für den Verlag ungemein wichtigen Bereich der Zeitschriften der Erfolg bzw. Misserfolg maßgeblich von dem Verhältnis zwischen Verlag und Redakteur abhing. Dies wird insbesondere durch die Darstellung medizinischer und technischer Zeitschriften wie dem Gasjournal unterstrichen. Eitelkeiten und Grabenkämpfe unter den Redakteuren führten zu existenziellen Schwierigkeiten bei einigen Zeitschriften. Aber auch beim entscheidenden Flaggschiff in der Geschichtswissenschaft zeigte sich die Bedeutung des Redakteurs und Herausgebers. Friedrich Meinecke besaß in der Historischen Zeitschrift (HZ), und darüber hinaus in der deutschen Geschichtswissenschaft eine derart überragende Stellung, dass es dem Verleger nicht möglich war, auf die Fachzeitschrift thematisch oder formal einzuwirken. Das wirkte sich sogar auf die Publikation geschichtswissenschaftlicher Monographien aus. Ohne Meineckes Zustimmung konnte bis in die späten 1920er Jahre keine historische Monographie erscheinen. Die Konsequenzen zog der Verlag noch im Kaiserreich: nie wieder gleichberechtigt an mehrere Redakteure Kompetenzen vergeben und keine einseitige Abhängigkeit von einem Redakteur mehr zulassen. Wesolowski unterstreicht, dass eine professionellere und unpersönlichere Beziehung zwischen den Verlegern und dem Redakteur nach Rudolf Oldenbourgs Tod 1903 größere Kontrollen durch die Verleger nach sich zogen.

Neben Zeitschriften wie der HZ und dem Gasjournal wurden die beiden Schwerpunkte des Verlages, die "Technik" und die "Geschichtswissenschaft", flankierend mit Großprojekten ausgebaut. Die Illustrierten technischen Wörterbücher (ITW) - bis 1928 sollten sechzehn Bände erscheinen - wurden trotz bescheidenem finanziellem Plus ein Erfolg. Der Verlag konnte damit seine bedeutende Stellung im Bereich "Technik" festigen und sogar ausbauen. Das Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte festigte ebenfalls den Ruf des Verlages als eine der ersten Adressen in der deutschen Geschichtswissenschaft, und das trotz der einseitigen fachlichen Fixierung auf Meinecke. Mit dem Weltkrieg verschlechterten sich allerdings die Rahmenbedingungen derart, dass die ganze Kraft darauf gelegt werden musste, den erreichten Stand zu erhalten. Papier wurde knapp, Mitarbeiter wurden rar und die Zensurpraxis unterschiedlicher Behörden erschwerte ein periodisches Publizieren. Viele Probleme blieben auch nach dem Krieg relevant, was die Ausführungen zur Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger und zur Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft zeigen: das Geld fehlte allerorts, Fördermittel wurden unzureichend ausgeschüttet und Kunden konnten nur bedingt gewonnen werden. Für den Verlag und die Verleger Wilhelm Oldenbourg ("Geisteswissenschaften") und Wilhelm von Cornides ("Technik"), die beiden bestimmenden Personen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verbesserte sich immerhin die Beziehung zu den Autoren: Die Verleger bekamen mehr Macht, da viele Autoren zunehmend auf das Honorar als Verdienst angewiesen waren.

Die Intention des Verlegers Wilhelm Oldenbourg, nationalpolitische Ziele zu verfolgen und gleichzeitig dem Verlag als Unterstützer dieser Zielsetzung zusätzlich Reputation zu verschaffen, durchzieht alle Veröffentlichungen im geisteswissenschaftlichen Bereich und rückt in der Weimarer Zeit und noch mehr in den 1930er Jahren in den Vordergrund. Cornides dagegen stellt den wirtschaftlichen Erfolg vor alles andere, konnte auch bei den technischen Publikationen weniger eigene kreative, politische und fachspezifische Prägungen vornehmen. Die Qualitätssicherung blieb für beide wichtig: Nur durch herausragende Gelehrte und Werke konnte der gute Ruf des Verlages aufrechterhalten werden.

Um wirtschaftlich zu überleben, musste sich der Verlag im Nationalsozialismus sehr stark anpassen. Dies führte zur Aufgabe der gewinnbringenden Bayerischen Staatszeitung als Organ der ehemaligen bayerischen Regierung, zu Einschränkungen im Schulbuchbereich aufgrund zunehmender Zentralisierungstendenzen und zum Herausdrängen von Cornides aus dem Verlag, der seine kritische Haltung zum Nationalsozialismus nicht verbergen konnte. Ein wichtiges Standbein blieben die Druckaufträge für die eigene Druckerei von Seiten öffentlicher Stellen. Personen in parteinahen und parteieigenen Organisationen sicherten die wirtschaftliche Existenz des Verlages, indem diese immer wieder Druckaufträge und Zuschüsse beschafften.

Der Zweite Weltkrieg führte dann zu ähnlichen Problemen, die bereits im ersten großen Krieg auftraten: Papiermangel, Personalknappheit, Zensur und schließlich die vollständige Beschränkung auf "kriegswichtige Literatur".

Dem Verfasser gelingt es hervorragend, die zentralen Momente der Verlagsgeschichte herauszuarbeiten: Das Selbstverständnis des Verlegers wurde durch die Stellung in der Firma, durch seine Unternehmensphilosophie, durch den Charakter als Familienunternehmen und durch politische bzw. persönliche Präferenzen bestimmt. Hierbei waren der Ruf des Verlages in der Fachwissenschaft und die gesellschaftlichen wie ökonomischen Strukturen die wichtigsten Beweggründe. All das durchzieht die Verlagsgeschichte in der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch gelingt es, die enorme Macht des Verlegers und dessen großen Einfluss auf Wissenschaftslaufbahnen deutlich werden zu lassen. Lediglich einige kleinere Aspekte hätten eine intensivere Beschäftigung verdient. So werden selten tatsächliche Auflagenhöhen genannt, die finanzielle Ertragslage einzelner Werke bzw. des gesamten Verlages wird nicht mit Zahlen untermauert und einige in der Geschichtswissenschaft nicht unumstrittene Begriffe, wie etwa "Bildungsbürgertum" oder "Intellektuelle" werden ohne nähere Erläuterung eingeführt. Dies mindert jedoch nicht den insgesamt sehr guten Eindruck.

Wesolowski ist ein interessantes und sehr gut lesbares Werk über den R. Oldenbourg Verlag in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelungen, das sich bewusst von bisherigen Veröffentlichungen abgrenzen will.

Alexander Goller