Birte Pusback: Stadt als Heimat. Die Danziger Denkmalpflege zwischen 1933 und 1939, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 341 S., 72 s/w-Abb. auf 48 Taf., ISBN 978-3-412-08006-8, EUR 44,90
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Jacek Friedrich: Neue Stadt in altem Gewand. Der Wiederaufbau Danzigs 1945-60 (= Visuelle Geschichtskultur; Bd. 4), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010, VIII + 276 S., 105 s/w-Abb. auf 48 Taf., ISBN 978-3-412-20312-2, EUR 42,90
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
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Die nach den verheerenden Kriegszerstörungen von 1945 wiederaufgebaute Danziger Rechtstadt zählt zu den bekanntesten Beispielen einer an historischen Formen orientierten großflächigen Stadtrekonstruktion. Danzig war die erste Stadt Nachkriegspolens, in der eine solche weitgehend vollständige Wiederherstellung des historischen Stadtbildes in Angriff genommen wurde. Vergleichbare Konzepte setzte man bald danach auch in Warschau, Breslau oder Posen um, sie wurden die Leitbilder der sog. 'polnischen Schule der Denkmalpflege'. Die meisten der heutigen Touristen, die diese polnischen 'Altstädte' besuchen, erkennen gar nicht mehr, dass es sich größtenteils um Neubauten der 1950/60er-Jahre handelt, sondern meinen, sich in einer echten mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Stadt zu bewegen. Unter den Denkmalpflegern und Kunsthistorikern war und ist die Problematik der Komplettrekonstruktion jedoch heiß umstritten. Sie verstieß gegen die damals gültigen denkmalpflegerischen Grundsätze (etwa die Charta von Athen 1931) und war nur durch das bis dahin nicht vorstellbare Ausmaß der Zerstörungen zu rechtfertigen.
Die Beweg- und Hintergründe, die bald nach 1945 in Polen zur Entscheidung für einen vollständigen Wiederaufbau der größten Städte des Landes führten sowie die praktischen Probleme bei der Umsetzung dieser Maßnahmen wurden noch nicht systematisch erforscht.
Der Danziger Kunsthistoriker Jacek Friedrich hat zu dieser Problematik eine erste grundlegende Arbeit verfasst, die schon im Jahr 2000 als Dissertation vorgelegt wurde und nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Der polnische Wiederaufbau der Danziger Rechtstadt geschah jedoch nicht ohne Vorbedingungen. Während der NS-Herrschaft in der Freien Stadt Danzig wurden zwischen 1933 und 1939 umfangreiche stadtgestalterische Maßnahmen durchgeführt, die das Bild der nach 1945 wiederaufzubauenden Rechtstadt entscheidend mitgeprägt hatten. Diesem Aspekt widmet sich die 2006 erschienene Hamburger Dissertation von Birte Pusback. Es bietet sich an, beide Arbeiten in einer Rezension zu besprechen, da sich thematisch zahlreiche Berührungspunkte ergeben. Gerade im Fall Danzigs ist ein Vergleich zwischen deutschen und polnischen denkmalpflegerischen Konzepten von besonderem Interesse, denn keine andere Stadt war in Hinsicht auf ihre nationale Identität so zwischen den beiden Völkern umstritten. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit es bei den Plänen unmittelbar vor und nach 1945 Berührungspunkte und Differenzen gab. Existierte ein über den Nationen und Ideologien stehender wissenschaftlicher Konsens zwischen deutschen und polnischen Denkmalpflegern oder spielten ideologische Einflussnahmen von Seiten der nationalsozialistischen bzw. stalinistischen Machthaber eine entscheidende Rolle?
Hinsichtlich der Arbeit von Birte Pusback muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass die Untersuchung thematisch wesentlich breiter angelegt ist, als es der Buchtitel vermuten lässt. Die Autorin beschäftigt sich nicht nur mit der Denkmalpflege in Danzig zwischen 1933 und 1939, sondern ganz allgemein mit der Problematik der Altstadtsanierung im Deutschland der NS-Zeit. Danzig wird als ausführliches Fallbeispiel im Teil 3 des Buches behandelt. Teil 1 widmet die Autorin der Ausgangssituation in den deutschen Altstädten am Beginn der NS-Herrschaft. In Teil 2 werden die konkreten Wiederherstellungsmaßnahmen und ihre Zielsetzungen dargestellt und anhand von vier Fallbeispielen (Frankfurt/Main, Hamburg, Nürnberg, Stralsund) erläutert.
Die Wahl Danzigs als ausführliches Fallbeispiel in Teil 3 mag zunächst verwundern, denn formal gesehen war die Stadt zu dieser Zeit kein Bestandteil des Deutschen Reiches, sondern stand als Freie Stadt unter der Aufsicht des Völkerbundes. Nach ihrem Wahlsieg 1933 regierten aber auch in der Stadt an der Ostsee die Nationalsozialisten, deren Hauptziel der Anschluss an das Reich war. Zu diesem Zweck sollte auch das Erscheinungsbild der Innenstadt die Zugehörigkeit der Ostseemetropole zum deutschen Kulturraum anzeigen. Birte Pusback ging daher von der durchaus plausiblen Überlegung aus, dass - wenn es eine spezifische NS-Denkmalpflegepolitik gegeben hat - diese am spezifischen Fall Danzigs besonders deutlich zum Vorschein hätte kommen müssen. Tatsächlich wurden Maßnahmen zur Stadtbildpflege von den braunen Machthabern besonders gefördert. Obwohl die Freie Stadt Danzig ständig in Finanznot war und keine ausgeglichenen Haushalte vorlegen konnte, wurde 1933 für die Sanierung der Bürgerhäuser in der Rechtstadt die beachtliche Summe von 80.000 Gulden zur Verfügung gestellt. Dem Leiter des neu eingerichteten Amts für Denkmalspflege, Otto Kloeppel, gelang es in kurzer Zeit, diese Mittel in effektiver Weise zu investieren und mehrere zusammenhängende Straßenzüge im Sinne einer historisierenden Fassadenumgestaltung zu restaurieren. Es wurden insbesondere große Schaufenster rückgebaut, Giebel- und Fensterformen wiederhergestellt und Fassadendekor des 19. Jahrhunderts entfernt. Dabei orientierte man sich im konservativen Sinne an Danziger Bautraditionen der frühen Neuzeit.
Diejenigen, die in der Publikation radikale Thesen oder Enthüllungen über ein spezifisches Bündnis zwischen Denkmalpflegern und Nationalsozialisten suchen, dürften eher enttäuscht werden. Birte Pusback zeigt auf, dass die zwischen 1933 und 1939 aufgetretenen grundlegenden Probleme und Lösungsansätze bei der Altstadtsanierung (nicht nur in Danzig) schon in den Jahren zuvor (und zum Teil auch danach) bestanden. Die Verdichtung der Innenstädte mit den sich daraus ergebenden sozialen und hygienischen Problemen, die Intensivierung des Straßenverkehrs, der Streit um Geschäftsreklame und große Schaufenster in der Altstadt, dies alles waren Konsequenzen, die sich aus der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft für die Altstädte ergaben. Sicherlich war die 'Entschandelung' der Altstädte ganz im Sinne der Blut-und-Boden-Ideologie, dementsprechend wurden die Denkmalämter besser ausgestattet und mehr Fördermittel zur Verfügung gestellt. Hier bot sich ein dankbares Spielfeld für die NS-Rhetorik im Sinne einer 'Gesundungspolitik' für 'kranke Städte'. Ein beträchtlicher Teil der Denkmalpfleger (aber keineswegs alle) stand der braunen Bewegung sehr positiv gegenüber. Die getroffenen Maßnahmen der konkreten Sanierungspolitik (Entkernung, Rückbau des 19. Jahrhunderts, Gestaltungsvorschriften) bewegte sich jedoch mehr oder weniger im Rahmen dessen, was auch in der Zeit davor oder danach praktiziert wurde. Das Nationalsozialistische an der Denkmalpflege zwischen 1933 und 1939 war weniger der Inhalt als die propagandistische Verpackung.
Die Ausgangssituation nach 1945, hier wenden wir uns nun der Arbeit von Jacek Friedrich zu, unterschied sich in vielerlei Beziehung von den Verhältnissen der Vorkriegszeit. Ging es bei den Maßnahmen 1933-39 um die ästhetische Umgestaltung von Hausfassaden innerhalb einer existierenden und historisch gewachsenen Stadt, so gab es im materiellen Sinn nach dem März 1945 de facto keine Stadt mehr. Die Bürgerhäuser der Rechtstadt waren zu über 90% zerstört, ganze Straßenzüge dem Erdboden gleichgemacht. Die polnischen Entscheidungsträger mussten darüber befinden, wie die auf dem Territorium des alten Danzigs neu zu bauende Stadt aussehen sollte: zeitgenössisch-modern oder historisierend-retrospektiv. Hierzu gab es 1945/46 unterschiedliche Meinungen, denn es ließen sich durchaus Stimmen vernehmen, die den endgültigen Untergang des alten deutschen Danzig forderten, was nur durch den Wiederaufbau in den Formen einer modernen Architektur zu bewerkstelligen sei. Recht bald setzte sich jedoch die Auffassung durch, dass die Stadt ihr altes Erscheinungsbild wieder erhalten sollte. Auch diese Option wurde mit patriotischen Argumenten untersetzt: Das historische Stadtbild sollte Symbol der geschichtlichen Polonität Danzigs sein. Diese Argumentation war, wie Friedrich bemerkt, zum Teil sicherlich taktischer Natur, denn auch die Verfechter eines historisierenden Wiederaufbaus mussten - wohlwissend, dass vieles in der Danziger Architektur nichtpolnisch war - die polnisch-patriotische Karte spielen, um die Unterstützung von politischer Seite zu erhalten. Der wichtigste Vertreter für die Bewahrung des historischen Charakters der Danziger Rechtstadt war zweifellos Jan Kilarski, der schon im August 1945 eine für die damalige Zeit bemerkenswerte europäische Sichtweise vertrat: "Es wird gesagt, dass man alles sprengen und Danzig neu erbauen müsse. Das ist allzu voreilig gedacht. Die Kulturdenkmäler Danzigs gehören nicht uns allein, sondern der ganzen europäischen Kultur." (60)
Die historische Option hatte 1947 endgültig die Oberhand gewonnen und es wurde umgehend mit den ersten Planungsmaßnahmen begonnen. Die Wiederherstellung des historischen Stadtbildes war jedoch begrenzt auf die Rechtstadt, während die Danziger Altstadt und die Vorstadt mit moderner Wohnblockbebauung versehen wurden. Die Rekonstruktion des Stadtbildes in der Rechtstadt beschränkte sich jedoch nur auf die straßenseitigen Fassaden, der Innenausbau erfolgte dagegen nach modernen Grundsätzen des Arbeiterwohnbaus. Der Wiederaufbau der Rechtstadt wurde in die Verantwortung eines Arbeitersiedlungskombinats gelegt, die zukünftigen Bewohner sollten die Werftarbeiter der nahegelegenen Lenin-Werft sein. Damit konnte man auch den historisierenden Wiederaufbau im Sinne des Sozialismus rechtfertigen, was später unter dem Motto "Das Volk betritt die Innenstadt" auf den Punkt gebracht wurde. Die alte deutsche bourgeoise Stadt wurde somit durch eine polnisch-sozialistische Arbeitersiedlung abgelöst.
Jacek Friedrich kann im Einzelnen darlegen, dass der Wiederaufbau der Danziger Rechtstadt nicht nach einem einheitlichen Plan erfolgte, vielmehr existierten für verschiedene Straßenzüge unterschiedliche Konzepte. Dies hing damit zusammen, dass Danzig eine Art "Probelabor" für die Stadtplaner, Architekten und Denkmalpfleger war und bei jeder Straße neue Varianten ausprobiert wurden. Die Planungen erfolgten im Spannungsfeld zwischen zwei Hauptfraktionen: Auf der einen Seite standen die Architekturhistoriker der Technischen Hochschule, die für eine möglichst genaue Wiederherstellung der Fassaden nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eintraten, die andere Seite wurde repräsentiert durch die Architekten des "Miastoprojekts", die eine 'kreative' Herangehensweise forderten. Kreativ bedeutete dabei, dass historische Traditionen der Danziger Architektur in die Planungen mit einfließen sollten, aber nur im Sinne einer Inspiration für die modernen Architekten, deren Entwürfe sich ansonsten an den Prinzipien der zeitgenössischen Architektur orientierten. Zeitgenössisch hieß in diesem Fall 'sozialistischer Realismus', jedoch nur bis zur Zeit der Entstalinisierung in der Mitte der 1950er-Jahre. Danach verfocht die Architektenfraktion den Modernismus westlicher Prägung. Die tatsächlich errichteten Straßenzüge waren eine Kompromisslösungen, wobei insgesamt gesehen die historische Fraktion ein Übergewicht besaß. Es finden sich in der Rechtstadt aber auch wichtige Bauten der 'kreativen' Planungsgruppe, so wurden etwa an prominenter Stelle in der Langgasse gleich zwei große Bauten im Geist des sozialistischen Realismus errichtet, das Postamt von Lech Kadłubowksi (1950/52) sowie das Kino "Leningrad" von Jacek Żuławski (1953). Der augenfälligste Bau des Modernismus war zweifelsohne das Theater "Wybrzeże" von Kadłubowksi (1956-1967) am Kohlenmarkt.
Sowohl vor als auch nach 1945 wurden die stadtgestalterischen Maßnahmen in der Danziger Rechtstadt immer von einem Konzert propagandistischer Verlautbarungen begleitet. Diese kündeten entweder vom Sieg des völkischen Deutschtums oder des polnischen Sozialismus, der angeblich in der erneuerten Stadtgestalt Ausdruck gefunden habe. Wir sollten uns aber von diesen schrillen Tönen nicht allzu sehr in die Irre leiten lassen, denn schaut man sich die meisten der 1933-39 und 1949-60 entstandenen Fassaden an, so lassen sich fast keine Unterschiede erkennen. Dort, wo solide vorgehende Denkmalpfleger und architekturhistorisch interessierte Stadtplaner tätig waren, sehen die in deutscher bzw. polnischer Zeit neu- und umgestalteten Häuserfassaden weitgehend identisch aus. Neue Akzente kamen beim polnischen Wiederaufbau nur dort zum Vorschein, wo sich die an zeitgenössischen Stilrichtungen orientierten Architekten gegenüber den Denkmalpflegern durchsetzen konnten. Aber auch hier hat man es eher mit dem klassischen Gegensatz zwischen Denkmalpflegern und modernen Architekten zu tun und nicht mit der Umsetzung politischer Vorgaben in gebaute Architektur. Dies unterstreicht auch die Feststellung von Jacek Friedrich, dass er keinerlei Dokumente finden konnte, die über die Motive der polnischen Regierung bei der Entscheidung für den historisierenden Wiederaufbau Auskunft geben konnten. Große Einigkeit zwischen deutschen und polnischen Planern bestand auch im Willen zur Beseitigung der Bauten des 19. Jahrhunderts. Während der NS-Zeit erfolgte ein Rückbau von Architekturteilen dieser Epoche, bei den polnischen Wiederaufbauplänen wurde das 19. Jahrhundert einfach weggelassen. Die hierbei vorgeschobene Begründung war natürlich unterschiedlich, für die Polen symbolisierte das vergangene Jahrhundert die Zeit der negativ beurteilten preußisch-deutschen Epoche, die Nationalsozialisten verachteten diese Epoche dagegen als liberales Zeitalter. Vermutlich handelte es sich jedoch im Grunde um die immer wiederkehrende Abneigung einer jeden Generation gegenüber der Architektur der unmittelbar vorhergehenden Epoche. Die dabei vorgeschobenen Gründe lassen sich je nach ideologischem Bedarf auswechseln.
Beide Autoren haben für ihre Arbeiten intensive Archivforschungen betrieben und alle Kapitel ausführlich mit Quellen- und Literaturhinweisen versehen. Die Darstellung von Pusback erschlägt und ermüdet den Leser jedoch zuweilen in ihrer Detailgenauigkeit. Jacek Friedrich ist es dagegen gelungen, seinen Text in einem erfrischenden, teilweise essayistisch anmutenden Stil abzufassen. Inhaltlich ergänzen sich beide Publikationen vortrefflich und bilden eine gelungene Anregung, das Thema der Altstadtrekonstruktion auch für andere Städte eingehender zu erforschen.
Christofer Herrmann