Rezension über:

Andreas Würgler: Medien in der Frühen Neuzeit (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 85), München: Oldenbourg 2009, XII + 174 S., ISBN 978-3-486-55078-8, EUR 19,80
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Rezension von:
Christine Vogel
Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften, Universität Vechta
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Christine Vogel: Rezension von: Andreas Würgler: Medien in der Frühen Neuzeit, München: Oldenbourg 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 1 [15.01.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/01/16604.html


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Andreas Würgler: Medien in der Frühen Neuzeit

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Die Erfahrung des gegenwärtigen Medienumbruchs hat seit rund zwanzig Jahren zu einem wachsenden Interesse an der Geschichte der Medien und ihres Wandels geführt. Zudem geriet im Zuge des cultural turn die Rolle medial vermittelter Kommunikationsprozesse und Diskurse zunehmend in den Blick. Dass man neuen Medientechniken seit langem weit reichende gesellschaftliche Folgen zuschreibt, zeigt sich besonders augenfällig in der Bedeutung, die der Erfindung des Buchdrucks traditionell für die epochale Abgrenzung der Frühen Neuzeit und speziell für die Reformationsgeschichte zugeschrieben wird. Schließlich setzt sich seit neuestem die Einsicht in die Medialität der Geschichte durch und damit die Erkenntnis, dass Medien nicht nur Gegenstände historischer Forschung sind, sondern selbst historische Wirklichkeiten und Wahrnehmungen prägen und formieren.

Angesichts dieser grob skizzierten Befunde mag es erstaunen, dass einführende Überblicksdarstellungen zur Mediengeschichte noch immer rar gesät sind - zumindest wenn man Ausschau hält nach Werken aus der Feder von Fachhistorikern. Neben der in diesem Jahr erschienenen Einführung von Frank Bösch [1] stößt auch der bereits 2009 erschienene Band 85 der Enzyklopädie deutscher Geschichte von Andreas Würgler in diese Lücke vor. Würgler präsentiert dabei einen sehr viel konziseren Zugang als Bösch und fokussiert zeitlich auf die Frühe Neuzeit, was allerdings weniger der Entscheidung des Autors als vielmehr der Gesamtkonzeption der Reihe geschuldet ist. Dass reihenspezifische Vorgaben wie beispielsweise die Beschränkung auf "Deutschland" bei einem Thema wie der Mediengeschichte zu Perspektivverengungen führen, die "medienhistorisch [...] alles andere als zwingend" (5) sind, verschweigt der Autor keineswegs. Zurecht weist er darauf hin, dass die frühneuzeitliche Mediengeschichte "primär eine europäische" (ebenda) sei. Aufgewogen wird dies durch die klugen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen des Verfassers sowie durch die unbestreitbaren Vorzüge der Reihe, insbesondere die bewährte Dreiteilung in einen enzyklopädischen Überblick, eine Darstellung der aktuellen Forschungstendenzen sowie ein detailliertes Quellen- und Literaturverzeichnis.

Andere durch die Reihe vorgegebene Einschränkungen bereiten wesentlich weniger Schwierigkeiten und bieten durchaus Vorteile für einen Band, der inklusive Register mit lediglich rund 175 Seiten auskommen muss. So dient die Konzentration auf Druckmedien zweifellos der Präzision und macht schon deshalb Sinn, weil durch sie die epochale Eingrenzung des Bandes auf die (hier im 15. Jahrhundert beginnende) Frühe Neuzeit begründbar wird, deren spezifischer Charakter nach Ansicht des Verfassers primär durch die neuen Printmedien geprägt wurde und weniger durch mündliche und handschriftliche Medien. Auch lassen technologische Innovationen wie Schnellpresse, industrielle Papierherstellung und Lithographie eine weitere Zäsur um 1800 gerechtfertigt erscheinen. Das größte Verdienst und auch die größte Originalität des Bandes liegen freilich darin, zu den neuen und epochemachenden Printmedien nicht nur die Erzeugnisse des Buchdrucks zu zählen, sondern auch die nahezu zeitgleich entstehenden Bild- und Kartendrucke, denen sowohl im Darstellungsteil als auch im Forschungsüberblick angemessen breiter Raum gewidmet wird.

Konsequenter Weise beginnt der medienhistorische Überblick im ersten Abschnitt des Bandes denn auch nicht mit Gutenberg und dem Buchdruck, sondern mit der Erfindung der Bilddruckverfahren im frühen 15. Jahrhundert, die zu einer ersten "Invasion der Bilder ins tägliche Leben der breiten Bevölkerung" (9) führte und damit den eigentlichen Beginn der frühneuzeitlichen "Medienrevolution" (ebenda) markiert. Auch in den folgenden Kapiteln, in denen Würgler den Medienwandel jeweils im Kontext der breiteren historischen Entwicklung skizziert, richtet sich sein Blick regelmäßig auch auf die Bild- und Kartendrucke, deren Anteil an der medienhistorischen Gesamtentwicklung auf diese Weise erfreulich plastisch wird. Einem bereits etablierten und vielleicht deshalb selbst etwas holzschnittartig wirkenden Schema entspricht die Kapiteleinteilung nach Jahrhunderten, die aber dem enzyklopädischen Darstellungszweck wohl angemessen ist: Nach den technologischen Innovationen des 15. Jahrhunderts folgte der Durchbruch der neuen Technologien im 16. Jahrhundert mit den Leitmedien Flugschrift und Flugblatt im Kontext des Medienereignisses Reformation; sodann der Aufstieg der periodischen Presse und die Erfindung der Zeitung im 17. Jahrhundert; schließlich im 18. Jahrhundert Verdichtung, Diversifizierung und soziale Ausweitung des Marktes für Druckerzeugnisse als "kommunikationstechnische Basis für zwei epochale und spezifisch europäische Phänomene: Aufklärung und politische Öffentlichkeit" (43).

Nach so viel wohlgeordneter Übersichtlichkeit wird spätestens im zweiten Abschnitt, dem Forschungsüberblick, deutlich, wie unübersichtlich das von diversen Disziplinen beackerte Feld der Mediengeschichte eigentlich ist. Auch hier hält sich Würgler indes an die Logik der Reihe und entschließt sich, bei Strukturierung und Auswahl der präsentierten Forschungsprobleme eine fachhistorische Systematik zugrunde zu legen. Einzige Ausnahme ist das einleitende Kapitel über Medienbegriffe und Ansätze der Mediengeschichtsschreibung, in denen auch Beiträge aus anderen Fächern, insbesondere aus den Medienwissenschaften, beleuchtet werden. In diesem Kontext weist der Verfasser auf die aus Sicht des Historikers unbefriedigende Verengung der meisten medienwissenschaftlichen Überblicksdarstellungen auf die tertiären Medien und damit auf die neueste Geschichte hin. Die weiteren Kapitel beleuchten sachkundig und zumeist auf dem neuesten Forschungsstand jeweils Ergebnisse und Debatten der Technik-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Medien, der Gattungsgeschichte einzelner Medien sowie der politischen Geschichte der Medien. Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob eine solche geschichtswissenschaftliche Systematik ihren Gegenstand eigentlich noch adäquat erfassen kann oder nicht vielmehr Gefahr läuft, die Notwendigkeit und den Mehrwert einer interdisziplinären Erforschung der Mediengeschichte zu überdecken.

Immerhin gelingt es dem Verfasser auf diese Weise, Schneisen in eine unübersichtliche Forschungslandschaft zu schlagen und dabei sogar noch einen dringend notwendigen Akzent auf die bislang unterbelichteten Bild- und Kartenmedien zu setzen. Im Rahmen einer Reihe, die einen möglichst umfassenden und dennoch konzisen Einstieg in ein Thema bieten möchte, lassen sich die fachhistorischen Blickverengungen dadurch rechtfertigen, dass sie eine Übersichtlichkeit erzeugen, durch die sich der Band als Basislektüre für Einführungsveranstaltungen zur (Medien-) Geschichte der Frühen Neuzeit nachdrücklich empfiehlt.


Anmerkung:

[1] Frank Bösch: Mediengeschichte - Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt / New York 2011.

Christine Vogel