Dietmar Schiersner / Volker Trugenberger / Wolfgang Zimmermann (Hgg.): Adelige Damenstifte Oberschwabens in der Frühen Neuzeit. Selbstverständnis, Spielräume, Alltag (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; Bd. 187), Stuttgart: W. Kohlhammer 2011, x + 322 S., mit 12 Farb- und 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-022051-5, EUR 32,00
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Seit Beginn der 1990er Jahre hat die Frühneuzeitforschung den Adel als Untersuchungsgegenstand wiederentdeckt. [1] In diesem Zusammenhang ist auch die frühneuzeitliche Kirche als Adelskirche in den Blick der Forschung geraten. [2] Die klare männliche Dominanz innerhalb der kirchlichen Hierarchie hat jedoch dazu geführt, dass Damenstifte bisher wenig bis gar kein Interesse gefunden haben.
Diesem Mangel will der vorliegende Band entgegentreten. Er versammelt Beiträge einer zweitägigen Studientagung, die im März 2009 im Stift Buchau am Federsee stattgefunden hat. Sowohl die Tagung als auch der Sammelband beschäftig(t)en sich mit der Institution Damenstift als Desiderat der Frühneuzeitforschung. Dabei sollen nach Aussage des Untertitels vor allem praxeologische Fragen nach dem Selbstverständnis, den (Handlungs-) Spielräumen und dem Alltagsleben der Äbtissinnen und Stiftsdamen untersucht werden. Der Fokus wird ausdrücklich auf den oberschwäbischen Raum begrenzt. Denn gerade die süddeutsche Stiftslandschaft böte nach Aussage der Herausgeber aufgrund ihrer "poly-territoriale[n] Gestalt" sowie deren "politische[n] Spezifika" - Adelslandschaft, habsburgische Präsenz und Kaisernähe - "besondere Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume für Damenstifte und ihre Äbtissinnen", deren Untersuchung wiederum einen enormen Aussagewert über die "politische und sozialgeschichtliche Eigenart der Region und ihres Adels" verspräche. Die bisher vorhandenen Studien würden sich aber vor allem mit der äußeren und inneren Verfassung der Konvente befassen, während neuere Arbeiten "unter sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen" (6) hingegen fehlten. Ziel des Sammelbandes sei es daher, "die Desiderate zu benennen und Anregungen für weitere Forschungen" (10) zu geben sowie neue Forschungsergebnisse zu präsentieren.
Einen ersten Überblick über das Phänomen Damenstift bietet der Beitrag von Helmut Flachenecker. Er zeichnet nicht nur die Genese der Stifte sowie ihre Funktionalität im Mittelalter nach, sondern weist ausdrücklich auf die Schwierigkeiten bei der Einordnung und Unterscheidung der Konvente hinsichtlich ihrer eher stiftischen oder eher monastischen Ausrichtung hin. Dennoch kennzeichnet er anhand der Bestimmungen der von Ludwig dem Frommen 816 initiierten institutio sanctimonialium idealtypisch Charakteristika und Aufgabenfelder der stiftischen Lebensweise in Abgrenzung zur monastischen. Dadurch relativiert er jedoch die allgemein anerkannte Forschungsmeinung, wonach eine klare Differenzierung zwischen Kloster und Stift erst ab dem Spätmittelalter fassbar ist.
Drei Beiträge beschäftigen sich mit den inneren Verhältnissen süddeutscher Damenstifte und deren Wandel. Auf der Basis normativer Quellen rekonstruieren Bernhard Brenner, Thomas Groll und Manfred Weitlauff die Ausrichtung der Stifte St. Stephan in Augsburg, Edelstetten, Lindau und Frauenchiemsee zwischen stiftischer und monastischer Lebensweise. Dabei fehlt jedoch vielfach eine kritische Gegenüberstellung von Norm und Praxis innerhalb der Konvente.
Aus sozialgeschichtlicher Perspektive widmen sich Bernhard Theil und Ute Küppers-Braun den Stiften Buchau und Essen. Theil betrachtet die Stellung Buchaus zwischen dem Bischof von Konstanz, dem Schwäbischen Grafenkollegium sowie dem Kaiser und stellt dabei das Lavieren des Stiftes in seiner Selbstdarstellung zwischen geistlicher Gemeinschaft und weltlicher Institution zur Sicherung der stiftischen Unabhängigkeit fest. Küppers-Braun arbeitet anhand von Aufnahmeverfahren, Lebensverhältnissen und Beisetzungsritualen die ständischen Unterschiede zwischen den beiden reichsunmittelbaren Stiften Buchau und Essen heraus, von denen Letzteres nur dem hohen Adel offen stand. Beide Beiträge greifen größtenteils auf bekanntes Material zurück und bieten wenig Neues. [3] Küppers-Braun gelingt es in ihrem Beitrag jedoch, die Heterogenität der Stiftslandschaft im Alten Reich deutlich zu machen.
Drei weitere Beiträge nähern sich dem Thema Damenstift aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Marieluise Klingel rekonstruiert vor allem adlige Einflüsse auf die Gestaltung der Chorkleidung in verschiedenen Damenstiften und betont damit das an ihren adligen Stand gebundene Selbstverständnis der Stiftsdamen. Sabine Klapp blickt aus praxeologischer Sicht auf die Handlungsspielräume spätmittelalterlicher Äbtissinnen in den beiden Elsässer Stiften St. Stefan in Straßburg und Andlau. Hierbei berücksichtig sie vor allem den Einfluss der Herkunftsfamilien auf die Wahl sowie die Stiftsadministration. Dietmar Schiersner gelingt es in seinem Beitrag über den Zusammenhang von Krankheit und Tod sowie Aufklärung und Säkularisation vielfältige weiterführende Fragestellung zu formulieren, die über den Rahmen einer Institutionengeschichte der Stifte weit hinausreichen. Mit Blick auf die Testamente von Stiftsdamen stellt er fest, dass trotz zunehmender Säkularisierungstendenzen in den Stiften ein konservatives Testierverhalten mit Messstiftungen und frommen Legaten sowie hergebrachten Begräbnisfeierlichkeiten Bestand hatten. Dieses Verhalten hing seiner Meinung nach ebenfalls mit dem adligen Selbstverständnis der Damen zusammen und führt ihn abschließend zu der offenen Forschungsfrage "nach der Amalgamierung von Glaube, Religion und Kirche einerseits und adligem Stand andererseits um 1800" (255).
Abschließend finden sich zwei quellenkundliche Beiträge zur Genese der archivalischen Überlieferung der Stifte Lindau, St. Stephan in Augsburg und Edelstetten sowie die Edition zweier Wahlberichte aus Buchau.
Der Sammelband eröffnet vielfältige Einblicke in das Phänomen Damenstift in der Frühen Neuzeit. Dabei stehen jedoch wiederholt ältere Fragestellungen der Institutionengeschichte nach innerer und äußerer Verfassung im Mittelpunkt, die vor allem normative Quellen wie Statuten und obrigkeitliche Anordnungen in den Blick nehmen. Dadurch wird der im Untertitel suggerierte praxeologische Ansatz nicht in allen Beiträgen eingelöst. Zudem fehlt dem Sammelband eine klare Strukturierung, so dass die Beiträge mitunter unvermittelt nebeneinander stehen. Dennoch bietet der Band Anstöße für weitere Forschungen zu adligen Damenstiften, deren Radius aber nicht auf Oberschwaben begrenzt sein sollte. Auch die Untersuchung vieler norddeutscher, evangelischer und bikonfessioneller Damenstifte steht noch aus. Denn noch immer zählt diese Form adligen Lebens in der Frühen Neuzeit zu den wenig bearbeiteten Feldern der Sozial-, Kultur- und Geschlechtergeschichte.
Anmerkungen:
[1] Ronald G. Asch: Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit: Eine Einführung, Köln u.a. 2008; Michael Sikora: Adel in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2009.
[2] Bettina Braun / Mareike Menne / Michael Ströhmer (Hgg.): Geistliche Fürsten und Geistliche Staaten in der Spätphase des Alten Reiches, Epfendorf 2008; Bettina Braun / Frank Göttmann / Michael Ströhmer (Hgg.): Geistliche Staaten im Nordwesten des Alten Reiches. Forschungen zum Problem frühmoderner Staatlichkeit (Paderborner Beiträge zur Geschichte, Bd. 13), Köln 2003; Wolfgang Wüst (Hg.): Geistliche Staaten in Oberdeutschland im Rahmen der Reichsverfassung: Kultur - Verfassung - Wirtschaft - Gesellschaft. Ansätze zu einer Neubewertung, Epfendorf 2002.
[3] Bernhard Theil: Geistliche Einkehr und adelige Versorgung: Das Damenstift Buchau am Federsee zwischen Kirche und Reich, in: Geistliches Leben und standesgemäßes Auskommen: Adelige Damenstifte in Vergangenheit und Gegenwart, hrsg. v. Kurt Andermann: Tübingen 1998, 43-67; ders.: Das Damenstift Buchau am Federsee zwischen Kirche und Reich im 17. und 18. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989), 189-210; Ute Küppers-Braun: Frauen des hohen Adels im kaiserlich frei-weltlichen Damenstift Essen (1605-1803). Eine verfassungs- und sozialgeschichtliche Studie. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Stifte Thorn, Elten, Vreden und St. Ursula in Köln (Quellen und Studien, Bd. 8), Münster 1997.
Teresa Schröder