Stefan Lüddemann: Blockbuster. Besichtigung eines Ausstellungsformats, Ostfildern: Hatje Cantz 2011, 150 S., ISBN 978-3-7757-2976-5, EUR 14,80
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Die öffentliche Wahrnehmung von Kunst wird im Wesentlichen von Museen und Ausstellungen bestimmt. Sofern sich die akademische Kunstgeschichte mit eben dem beschäftigt, was von dort ausgehend der wissenschaftlichen Kunstgeschichtsschreibung vorausgeht und diese vielfältig präformiert, tut sie das unter den oft so unspezifisch verwendeten Etiketten der "Museologie", der "Kultursoziologie" oder des "Kulturmanagments". Auch bei der Lektüre des Buches "Blockbuster. Besichtigung eines Ausstellungsformats" ist der Standort des Autors zunächst ebenso unklar wie derjenige der avisierten Leserschaft. Die Kurzbiografie zu Stefan Lüddemann enthüllt ihn als leitenden Kulturredakteur der "Neuen Osnabrücker Zeitung", der nach seiner Dissertation im Bereich Kulturmanagement auch diverse wissenschaftliche Publikationen zu kulturellen Fragestellungen verfasst hat (148). Das Thema der Blockbuster-Ausstellungen ist zweifellos von größtem Interesse für die kunstwissenschaftliche Praxis und es ist erstaunlich, dass es in allgemeiner Form bislang allenfalls in Feuilletons erörtert, jedoch eigentlich nie im kunstwissenschaftlichen Kontext systematischer reflektiert wurde. Nicht zuletzt deshalb scheint Lüddemanns handliches Bändchen von besonderem Interesse - auch wenn es sicher nicht zum "Bestseller" taugt.
Der Autor setzt mit einer begriffsgeschichtlichen Skizze dieses recht jungen Begriffs ein. Plausibel wird, dass der Begriff aus dem Bereich des Films und Fernsehens stammt und in den ausgehenden 1990er-Jahren auf den Bereich des Ausstellungswesens übertragen wurde. Jünger als der Begriff ist aber das Phänomen selbst, wie Lüddemann anmerkt, in dem er auf eine Dalí-Ausstellung 1971 und Werner Hofmanns Ausstellungen zur Kunst um 1800 in der Hamburger Kunsthalle, speziell die Caspar David Friedrich-Retrospektive von 1974 hinweisen kann (16).
In einem nächsten Schritt tastet sich der Autor historisch und systematisch näher an das nicht nur soziologische Phänomen des Blockbusters an, wenn er auf die Tübinger Ausstellungen der 1990er-Jahre und das Paradebeispiel der Berliner "MoMA"-Ausstellung hinweist und sogleich auch schon einige allgemeine Prämissen klärt. Als Blockbuster definiert er eine einzigartige Präsentation von Kunstwerken, die vorzugsweise zwischen 1870 und 1920 entstanden, die eine Besucherzahl von mindestens 200.000 Besuchern aufweist und durch erhebliche Drittmittel finanziert ist, von denen ein erheblicher Teil für Werbe- und Marketingmaßnahmen eingesetzt wird (26f.). Wenngleich man viele generelle Aussagen in dem wirklich lesbar verfassten Buch teilen wird, mag man an dieser Stelle doch leichte Zweifel anmelden, denn nicht allein das von Lüddemann selbst genannte Beispiel der Caspar David Friedrich-Ausstellung, sondern auch Ausstellungen wie "Botticelli" im Frankfurter Städel 2010 oder zuletzt auch "Gesichter der Renaissance" im Bode-Museum belegen doch, dass sich das Phänomen der großen Publikumsausstellungen nicht ab ovo allein auf die Kunst der sogenannten "klassischen Moderne" beschränken lässt.
Nach einem Interview mit dem ehemaligen Leiter der Kunsthalle Tübingen, Götz Adriani, folgen diverse Beschreibungen der verschiedenen inhaltlichen Konzepte von neueren Blockbustern in deutschen Museen, die Lüddemanns Definition erfüllen. Exemplarisch ausgewählt sind hier fünf verschiedene Typen: Der Klassiker: MoMA in Berlin (34); Bezug zur Sammlung: Van Gogh in Bremen (46); Die Werkschau: Monet in Wuppertal (52); Die Analyse: Matisse in Düsseldorf (60); Die Epochenschau: Impressionisten in Essen (67). So überzeugend die vorgenommene Typologisierung und jeweilige Beschreibung des Konzepts ist, so wenig erhellend sind vielfach die daran anschließenden Interviews mit den jeweiligen Ausstellungsmachern, die sich ihrerseits eher hinter diplomatische Floskeln anstelle von analytischer Prägnanz zurückziehen. Letzteres kommt dann wieder zum Vorschein, wenn Lüddemann Grundzüge des Ausstellungsformats ausführt (74-99). Er legt dar, dass auch im Ausstellungszirkus das "Starprinzip aus Filmgeschäft und Popkultur" (76) funktioniert und dass das Medien-Echo für einen Blockbuster wesentlich ist und mit zunehmender Quantität zugleich auch ein Zustimmungsdruck erzeugt wird, der eine veritable Kunstkritik unmöglich macht. Darüber hinaus geht der Autor auf verschiedene Formen der Vermittlung ein, nennt Führungen, Audioguides, Kataloge, Filme, Rahmenprogramme und konzediert schließlich auch, dass all dies nichts Neues sei (91). Anders hingegen die Marketing-Mechanismen, die für Blockbuster eingesetzt werden und von Lüddemann etwas knapp und unsystematisch beschrieben werden (92-99).
Wirklich originell erscheint die Argumentation des Verfassers dann aber, wenn er das Phänomen des Blockbusters in einem breiteren gesellschaftlichen Zusammenhang verortet. Dabei kann er seine anfängliche Fokussierung auf die Kunst der "klassischen Moderne" fruchtbar machen, wenn er den immanenten Konservatismus eines erfolgreichen Ausstellungsformats enthüllt und meint: "Der Blockbuster erzählt also eine Geschichte, jene vom Erfolg der Moderne - und bekräftigt mit der Wiederholung dieser Erzählung eine tief verankerte Konvention." (104) In dieser Angleichung des Blockbusters an die unerfüllten Ideale einer längst historisch gewordenen Avantgarde zeigt sich, nach Lüddemann, eine nur begrenzte Toleranz der Ausstellungsbesucher, eben keine Verstörung, sondern Harmonie und Erwartungserfüllung zu suchen (113f.).
Im abschließenden Kapitel stellt der Verfasser vor dem Hintergrund der Annahme einer zwanghaften Selbstüberbietung der Blockbuster einige kritische Fragen, die den Rahmen des Buches sprengen, aber dennoch notwendig an dieser Stelle formuliert werden müssen: Welche Folgen hat etwa die Vernachlässigung der Sammlung zugunsten von Blockbustern für Museen? Wird der Wiederholungszwang des Blockbuster-Formats dieses nicht langfristig implodieren lassen und welche Konsequenzen haben diese Ausstellungen für kulturpolitisches Denken (116-131)?
Der weitgehend wertfrei beschreibende Lüddemann lässt seine Leser eher skeptisch zurück. Gerade im Anschluss an die Lektüre einiger gut durchdachter Aspekte in einem bisweilen etwas sprunghaft, zwischen konkreten Beispielen und allgemeinen Befunden wechselndem Buch ist aber offensichtlich, dass man mit dem snobistischen Naserümpfen und damit einhergehender Ignoranz der Realität dieser Ausstellungs-Realität nicht gerecht wird. Eine weitergehende, vertiefte Analyse aktueller und historischer Ausstellungspraxis steht nun an. Die Frage aber bleibt, von welcher Seite sie unternommen werden soll und welche Spezies Kunsthistoriker sich anschließend mit den Konsequenzen auseinandersetzt? Die Praxis unseres Faches endet nun einmal nicht zwischen Buchdeckeln.
Stefan Gronert