Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae. Über die Vernichtung von Erinnerung. Eine Fallstudie zu Publius Septimius Geta (189-211 n. Chr.), Gutenberg: Computus 2011, 336 S., ISBN 978-3-940598-01-1, EUR 78,00
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Die von Florian Krüpe 2011 veröffentlichte Studie ist laut Vorwort die leicht überarbeitete Version einer Dissertation, die 2004 an der Universität Marburg angenommen wurde. Diese Daten sind erwähnenswert, da Krüpe einleitend Folgendes bemerkt: "Nach 2004 publizierte Quellen und Literatur konnten nur punktuell berücksichtigt werden." Die Brisanz dieser Aussage liegt darin, dass er somit eine Fülle neuere Arbeiten zum Thema offenbar bewusst außen vorlässt. [1] Hierzu passt die Anmerkung 25 auf Seite 17: "Die vorliegende Studie war leider schon abgeschlossen, als das Buch von Eric Verner [2] erschien; dieses konnte leider nicht mehr einer kritischen Würdigung unterzogen werden." Eine solche Fußnote ist zum einen das Zeugnis einer schlechten Redaktion (wofür sich zahlreiche weitere Belege beibringen ließen) und verweist zum anderen darauf, dass diese Publikation nicht dem Stand der Forschung entspricht. [3]
Bietet die 268 Textseiten umfassende Qualifikationsschrift trotz des überholten Forschungsstandes Impulse für die Forschung? Zunächst einmal fällt auf, dass Krüpe 176 Seiten Vorlauf braucht, bis er sich seinem eigentlichen Untersuchungsgegenstand Geta zuwendet. Die Erklärung hierfür findet sich jedoch nicht in der Einleitung, sondern (217): "Während ihrer Entstehung erfuhr die vorliegende Studie eine konzeptionelle Veränderung: Ursprünglich war sie als eine umfassende Studie aller Fälle bekannter damnationes memoriae zwischen dem 4. Jahrhundert v. und dem 4. Jahrhundert n.Chr. angelegt gewesen." Da Krüpe seine Vorarbeiten offenbar nicht verwerfen wollte, ließ er sie als Vorspann einer qualitativen Studie zu Geta stehen. Jedoch haben die 176 Seiten den Charakter einer Materialsammlung behalten und wurden nicht wirklich im Sinne einer auf Geta zulaufenden Entwicklungsgeschichte der damnatio zugespitzt. Denn wenn Krüpe etwas liefert, was über die intensiv rezipierten Arbeiten von Vittinghoff oder Pesche [4] hinausgeht, so ist es methodisch bisweilen problematisch. Zudem scheinen diese beiden stark auf juristischen Quellen basierenden Arbeiten bei Krüpe keine tiefere Einsicht in die rechtlichen Grundlagen von hostis-Erklärungen, der damnatio memoriae usw. provoziert zu haben. Andernfalls hätte Krüpe bei der Arbeit mit den einschlägigen Passagen aus den Digesten, dem Codex Iustinianus und den Institutiones mit Blick auf den im Mittelpunkt stehenden Princeps auffallen müssen, dass das, was heute als damnatio memoriae bezeichnet, dort nicht thematisiert wird. Wenn die Rechtstexte von einer memoria damnata sprechen, dann beschreiben sie etwas, das auf einer anderen politisch-sozialen Ebene liegt. Es geht in den Rechtstexten um die römische Oberschicht und ihr Verhalten gegenüber dem Princeps, nicht um diesen selbst bzw. dessen Wahrnehmung als guter oder schlechter Monarch nach dessen Tod. Daher sind große Teile des Buches trotz einiger gelungener Einzelbeobachtungen nicht wirklich zielführend, um das Politikum der Damnierung eines Kaisers im Allgemeinen und den Fall Geta im Speziellen neu zu beleuchten.
Der heikle Umgang mit neu in die Diskussion eingebrachten Quellen kann exemplarisch an einem Beispiel skizziert werden: Krüpe kommt auf die "damnatio" des M. Manlius Capitolinus im Jahr 384 v. Chr. zu sprechen (64-70) und verweist auf Cass. Dio 7,26,1 und Liv. 6,20,11-14. Abgesehen vom positivistischen Duktus der Ausführungen macht Krüpe nicht hinreichend klar, dass die angeführten Zeugnisse eher Spiegel ihrer Abfassungszeit sind, der beschriebene Sachverhalt und die dort anzutreffenden Termini folglich nicht einfach für einen Vorgang des Jahres 384 v.Chr. herangezogen werden können und somit für eine Diskussion über die Anfänge der damnatio wenig tauglich sind. Wenn Krüpe zu klaren Aussagen kommt, dann nutzt er die bereits in der Forschung allseits diskutierten Quellen (vor allem Tacitus) und gelangt auch zu ähnlichen Ergebnissen.
Betrachtet man schließlich den Kern der Arbeit (177-253), so entfallen auch hier weite Teile auf wenig sachdienliche allgemeine Bemerkungen zur Vita Getas, so dass letztlich nur die Seiten 202-244 der "Fallstudie Geta" zugesprochen werden können. Und selbst hier wird primär Quellenreferat betrieben. Thesenbildung in Kombination mit einer effektiven Diskussion der Zeugnisse ist nicht wirklich anzutreffen. Auffällig ist hingegen, wie oft das Wort "Spekulation" fällt.
Kommen wir abschließend zur Kernfrage dieses an Redundanzen nicht armen Buches: Welche Funktion hatte die damnatio memoriae (unter besonderer Berücksichtigung Getas)? Auch hierzu kann man das Werk selber sprechen lassen. Krüpe referiert in einem Forschungsüberblick (17) u.a. die These von Hedricks, wonach die damnatio "keineswegs als Mittel zur Vernichtung von Erinnerung" fungiert habe und "die Menschen zum Nachdenken" anregen sollte. Dazu bemerkt Krüpe: "Auch wenn Hedricks Buch kaum neue Belege präsentiert und er weitgehend auf der Basis lang bekannter Quellen argumentiert, so ist diese Betrachtungsweise des Phänomens Memorialstrafe dennoch eine, der im Rahmen der vorliegenden Arbeit begegnet werden muss." Um die Zielsetzung der Arbeit richtig verstehen zu können, wäre es für den Leser wichtig gewesen, was Krüpe unter "begegnet" versteht. Eine klare Ausgangsthese hätte der Arbeit gut getan. Denn Krüpe liefert auf den folgenden 250 Seiten zahlreiche vermeintliche Beweise dafür, dass die damnatio auf die mehr oder weniger konsequente Vernichtung der memoria des Betreffenden abgezielt habe. Sogar im Untertitel des Buches findet sich diese These. Umso überraschender wird im Schlusskapitel (252) erneut Hedrick mit der Feststellung angeführt, dieser habe "völlig richtig" herausgearbeitet, dass die damnatio eben nicht auf die Vernichtung, sondern auf die Stigmatisierung der memoria abgezielt habe. Durch eine klare Thesenbildung, eine stringente Argumentation und eine nachvollziehbare Zielführung hätte diese Irritation vermieden werden können. Eine konsequente Überarbeitung unter Einbeziehung der Literatur der Jahre 2004-2010 hätte der Arbeit jedenfalls sehr gut getan.
Anmerkungen:
[1] Hier nur die wichtigsten Arbeiten: H. I. Flower: The Art of Forgetting. Disgrace and Oblivion in Roman Political Culture, Chapel Hill 2006; St. Benoist / A. Daguet-Gagey (éds.): Mémoire et histoire. Les procédures de condamnation dans l'Antiquité romaine, Metz 2007; St. Benoist / A. Daguet-Gagey / Chr. Hoët-van Cauwenberghe / S. Lefebure (éds.): Mémoires partagées, mémoires disputées. Écriture et réécriture de l'histoire, Metz 2009 sowie zahlreiche Beiträge in Cahiers du Centre Gustave Glotz 15 von 2004. Keine dieser Arbeiten finden bei Krüpe Erwähnung.
[2] Eric Verner: Mutilation and transformation. Damnatio Memoriae and Roman imperial portraiture, Leiden 2004.
[3] Den von Varner herausgegebenen Sammelband "From Caligula to Constantine. Tyranny and Transformation in Roman Portraiture, Atlanta 2000" kennt Krüpe offenbar nicht. In diesem haben sich sowohl Flower wie Varner zum Thema damnatio memoriae geäußert.
[4] F. Vittinghoff: Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur damnatio memoriae, Berlin 1936; A. Pesch: De perduellione, crimine maiestatis et memoria damnata, Aachen 1995.
Michael Rathmann