Lars Klein: Die "Vietnam-Generation" der Kriegsberichterstatter. Ein amerikanischer Mythos zwischen Vietnam und Irak (= Göttinger Studien zur Generationsforschung; Bd. 7), Göttingen: Wallstein 2011, 398 S., 8 Abbildungen, ISBN 978-3-8353-0904-3, EUR 39,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Astrid Windus: Afroargentinier und Nation. Konstruktionsweisen afroargentinischer Identität im Buenos Aires des 19. Jahrhunderts, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2005
Nikolaus Böttcher: Monopol und Freihandel. Britische Kaufleute in Buenos Aires am Vorabend der Unabhängigkeit (1806-1825), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008
Der Vietnamkrieg gehört nicht nur in politischer Hinsicht zu den wichtigsten Ereignissen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch in Bezug auf die Mediengeschichte markiert er eine Zäsur und wird immer wieder als erster Fernsehkrieg thematisiert. Die Stellung der Medien innerhalb des Krieges sowie ihre Bedeutung für die Debatte um dessen Beendigung haben bereits viel Tinte fließen lassen. Lars Klein versucht dieses anhaltende Forschungsinteresse dahingehend zu ergänzen, dass er den bereits unmittelbar zu Beginn des Kriegs in Südostasien entstehenden "Mythos der Vietnamkriegsberichterstatter" (8) in den Blick nimmt. Er spricht den wichtigsten US-amerikanischen Medienvertretern in Vietnam nicht nur einen "epochemachenden Einfluss" (10), sondern auch ein spezifisches Rollenverständnis zu, welches für das Selbstverständnis westlich geprägter Medien bis heute wirkmächtig sei. Denn zu Beginn der 1960er Jahre, so Klein, entstand aufgrund des sich beständig intensivierenden Krieges eine genuin kritische Haltung der Journalisten vor Ort, die fortan zu einem beständig eingeforderten Selbstverständnis jedes Journalisten avancierte. Klein fragt, ob sich diese "vermeintlich kritische Haltung" (11) tatsächlich erfahrungsgeschichtlich fundieren lässt, oder ob es sich dabei um eine nachträgliche Zuschreibung bzw. eine Selbstmythologisierung oftmals berühmt gewordener Journalisten handelte.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen daher "normative Verständnisse von Rollen und Nutzen der Kriegsberichterstattung" (18), die historisiert und mit den politischen und militärischen Ereignissen in Bezug gesetzt werden sollen. Klein geht es weder um die Geschichte noch um die Mediengeschichte des Vietnamkrieges, sondern um Gründe für und Zuschreibungen innerhalb dieser Geschichte. So werden Selbst- und Fremdbeschreibung einer sowohl vom Autor als auch von den Journalisten selbst als solche definierten 'Generation' aufbereitet. "Deren tatsächliche Leistungen wurden rückblickend so aufgeladen, dass sie den normativen Anforderungen des Selbstbilds von Journalisten entsprachen." (30)
Dabei ist sich Klein durchaus bewusst, dass die hart geführten Debatten um die Kriegsberichte nur im Zusammenhang mit der sogenannten Watergate-Affäre nachzuvollziehen sind. Denn durch deren Aufdeckung und dem darauf folgenden Rücktritt Präsident Nixons entstanden nicht nur moderne Mythen von ebenso scharfsinnigen wie furchtlosen Medienvertretern. Laut Klein bezeichnet Watergate auch den Durchbruch einer Auffassung der Medien als vierter Gewalt im Staat und damit als einer Institution, die sich gleichsam als Garant einer demokratischen Grundordnung inszenierte. Die Watergate-Enthüller Bob Woodward und Carl Bernstein wurden im selben Atemzug zu Helden des Enthüllungsjournalismus, wie der erfahrende Kriegskorrespondent Homer Bigart zum Vorbild der von Klein ausgemachten Generation der Vietnamkriegsberichterstatter wurde.
Den Ausgangspunkt für diese Entwicklung und daher auch den Beginn seiner Untersuchung markiert für Klein die Schlacht von Ap Bac, unweit des damaligen Saigon, am 3. Januar 1963. Klein beschreibt diese erste schwere Niederlage des US-Militärs, bei der drei GIs und zwölf südvietnamesische Soldaten ihr Leben verloren, als das "zentrale Ereignis der 'Vietnam-Generation' der Berichterstatter" (92), zu denen er u.a. die jungen und damals noch unbekannten Korrespondenten Halberstam, Sheehan und Arnett zählt, die alle vor Ort waren.
Klein geht jedoch bereits hier deutlich über eine reine Medienanalyse hinaus und meint aus der Kritik um die anschließende Berichterstattung bereits den weiteren Verlauf des Krieges herauslesen zu können. "Die Debatte um Ap Bac verdeutlichte, wie der Krieg 1963 bereits verloren war, bevor er offiziell überhaupt begonnen hatte." (130) Sechs Monate später, am 11. Juni 1963, verbrannte sich der buddhistische Mönch Thich Quang Duc in Gegenwart vorher informierter Pressevertreter selbst, und das in der ganzen Welt verbreitete Foto Malcome Brownes, das World Press Photo des Jahres 1963, wurde zur ersten Ikone des Vietnamkrieges.
Beide Ereignisse verdeutlichen nicht nur die Brutalität des Krieges und die unmittelbar darauf entbrennenden global geführten Diskussionen, sondern zeigen auch, dass die Generation der Pressevertreter in Vietnam nicht zuletzt deswegen so einflussreich war und sich so viele Feinde machte, weil sie ausgesprochen einflussreiche Medienvertreter repräsentierten (134). Immerhin war Browne Indochina-Korrespondent der Associated Press, die 1961 als erstes US-amerikanisches Medienunternehmen einen ständigen Vertreter nach Südostasien entsandt hatte. In den folgenden Jahren gewannen nicht nur Browne, sondern auch David Halberstam und Peter Arnett den Pulitzerpreis für ihre Reportagen.
Obwohl das US-Militär anfangs zu durchaus ähnlichen Einschätzungen der Situation wie die Reporter kam, begann unmittelbar die Mythologisierung der Journalisten als unbestechliche Beobachter, die trotz starker Anfeindungen in der Heimat aus ihrer Haltung bzw. ihren Informationen keinen Hehl machten. Dies geschah laut Klein direkt im Anschluss an Ap Bac und nicht erst mit Halberstams breit rezipierten Making of a Quagmire von 1965. Einmal mehr waren dabei intermediale Bezüge von ausschlaggebender Wirkung. "Diese selbstbewusste Rolle der Berichterstatter als hartnäckige Kritiker, die sich gegen die Kriegsanstrengungen der USA in Vietnam stellten, bestätigten sich die Reporter schon früh gegenseitig." (159)
Während die sich beständig hochschaukelnde Konkurrenz und Rezeption der Vietnamkorrespondenten von Klein überzeugend nachgezeichnet wird, gelingt ihm deren Anbindung an und Einfluss auf die politisch-militärisch Entscheidungsfindung in Washington nur bedingt. So fördert er zwar interessante Indizien zutage, dass Präsident Kennedy die wichtigsten Namen der journalistischen Vietnam-Generation durchaus geläufig waren, muss aber letztendlich eingestehen, dass die Rolle, welche die Zeitungsberichte aus Südvietnam im Entscheidungsprozess spielten, "unklar" bleibt (209).
Klein beschreibt eine von "Exotik" (218) und Abenteuer motivierte Gruppe einiger, zunächst noch unbekannter Journalisten, für welche Vietnam schnell zum "Sehnsuchtsort" (223) mutierte. Dass Vietnam, wie die folgenden Jahre zeigen sollten, auch ein Karrieresprungbrett sein konnte, bleibt hingegen weitgehend außen vor. Dies wäre im Rahmen des Generationenbegriffs, welcher den Fluchtpunkt der Untersuchung bildet, durchaus zu thematisieren gewesen. So aber bleibt, trotz vieler interessanter Details und guter Einsichten in die journalistische Arbeit der Vietnamkriegsberichterstatter vor allem die Frage nach dem heuristischen Wert des Generationenbegriffs. Dieser durchzieht die gesamte Arbeit, wird jedoch nach der Einleitung erst mehr als 200 Seiten später analytisch wieder aufgegriffen. Klein beschreibt die Gruppe der zwischen 1929 und 1936 geborenen Reporter einerseits als "Erfahrungsgeneration" (254) und versucht andererseits im gleichen Atemzug den Begriff als bewusstes Alleinstellungskriterium einer kulturellen Elite zu entlarven (269). Diese habe ihre eigene Bedeutung während und nach dem Krieg insbesondere durch den ständigen Bezug zu Watergate gezielt heraufbeschworen (284). Das gelang nicht zuletzt durch William Prochnau, der 1965 und 1967 jeweils für drei Monate nach Vietnam reiste und der der von Klein hartnäckig als solcher bezeichneten Generation mit Once upon a distant war ein frühes Denkmal setzte.
Neben dem überstrapazierten Generationenbegriff, der vor allem dem Entstehungskontext der Arbeit im Rahmen des Göttinger Graduiertenkollegs "Generationengeschichte" geschuldet zu sein scheint, ist als zweiter grundlegender Kritikpunkt das nahezu vollständige Ausbleiben der im Titel versprochenen Entwicklung der Kriegsberichterstattung nach Vietnam zu nennen. Klein stellt fest, dass "nach Vietnam [...] die amerikanische Medienpolitik erheblich verschärft und der Freiraum der Berichterstatter eingeschränkt" wurde (345). Weder vom Irak noch von den in der Einleitung erwähnten Kriegsschauplätzen Libanon und Grenada (29) erfährt der Leser jedoch Konkretes. So bleibt der Eindruck einer interessanten und aufwendig betriebenen Pressegeschichte, deren Fokus und Fragestellung dem Untersuchungsgegenstand jedoch nur bedingt gerecht werden.
Volker Barth