Damian Dombrowski: Die religiösen Gemälde Sandro Botticellis. Malerei als pia philosophia (= Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz. Vierte Folge; Bd. VII), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 582 S., ISBN 978-3-422-06945-9, EUR 88,00
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Michael Rohlmann (Hg.): Domenico Ghirlandaio. Künstlerische Konstruktion von Identität im Florenz der Renaissance, Weimar: VDG 2004
Michaela Walliser-Wurster: Fingerzeige. Studien zu Bedeutung und Funktion einer Geste in der bildenden Kunst der italienischen Renaissance, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001
Louise Bourdua / Anne Dunlop (eds.): Art and the Augustinian Order in Early Renaissance Italy, Aldershot: Ashgate 2007
Der Liebe Gott steckt im Detail. Damian Dombrowskis vorzügliche Habilitationsschrift versucht, ein umstrittenes Problem zu lösen: den Zusammenhang zwischen Stil und Ikonologie. In seiner Einleitung moniert er, dass Monografien der vergangenen Jahre vor allem ikonografischen Studien dienen und sich überdies auf des Malers mythologische Stücke konzentrieren. Bis heute hält sich das Klischee einer Paganisierung von Florenz um 1480. Der Maler war jedoch wie sein Antagonist Ghirlandaio einer der aktivsten religiösen Künstler der Arnostadt.
Dombrowski entwirft eine Chronologie, die mit den frühen Madonnen beginnt. Hier entwickelt der Künstler einen eigenen Stil im Dialog mit den Zeitgenossen. Der Autor postuliert einen Einfluss Ficinos, dessen pia philosophia, Lichtmetaphysik und dem daraus resultierenden Schönheitsideal. Eine Gemeinsamkeit dieser Partnerschaft in Schriften und Gemälden sei Licht, das göttliche Kraft verbildliche. Dessen nicht darstellbaren transzendenten Quell platziert Botticelli zunehmend außerhalb seiner Tafeln. Diese Frage prägt seine verschiedenen Anbetungen der Könige, aber auch sein Lettnerfresko des Heiligen Augustinus in Ognissanti. Eine Zäsur im Œuvre sei die Arbeit an den narrativen Fresken der Sixtina. Deren Bewertung als relativer Misserfolg scheint nicht ganz gerechtfertigt, da gerade Botticellis Sixtinafresken in ihrer Achsensymmetrie auf eine Verschränkung narrativer Modi und Stilformen des Altarbildes hinauslaufen, die sich ähnlich in den Fresken der Libreria Piccolomini manifestiert und im 16. Jahrhundert äußerst folgenreich sein wird. Der Autor vermutet, dass sich Botticelli in dem festgelegten Programm und im Paragone mit anderen nicht wohl fühle; danach habe Botticelli kaum noch narrativ gearbeitet. Nach einer Analyse der großen Marientondi nach 1482 und deren faszinierenden formalen Experimenten, die Fragen u.a. nach ihrer eigentlichen Funktion aufwerfen, beschäftigt sich Dombrowski mit den Altarbildern bis ca.1492, den späten Jahren Lorenzos des Prächtigen. Hier analysiert er ausgiebig die Sacra Conversazione und den Ehrgeiz des Künstlers, dem standardisierten Thema kompositionell und inhaltlich neue Ideen abzugewinnen. Hier fällt auf, dass Dombrowski die neuere Literatur nicht berücksichtigt.
Die letzten Kapitel besprechen Botticellis Spätzeit und einen eventuellen Einfluss Savonarolas. Der Verfasser gibt eine differenzierte Antwort. Botticelli habe für Auftraggeber in verschiedenen Lagern gearbeitet, so für die antisavonarolianischen Mönche in San Francesco al Monte, doch stehe sein Bruder Simone Filipepi den Piagnoni nah und viele der in Savonarolas Schriften enthaltenen Holzschnitte scheinen auf den Maler zurückzugehen. Zudem sei der oft konstruierte Gegensatz zwischen Savonarola und den Medici fragwürdig, da der Frate als ein Geschöpf der Medici nach Florenz gerufen worden sei und durchaus neoplatonische Gedanken aufgreife. Botticelli könne also für das Umfeld der Medici wie auch für den Frate gearbeitet haben.
Das Schlusskapitel greift die Schlüsselthematik der Arbeit auf, die Darstellung des nicht darstellbaren Göttlichen. Transzendente Inhalte bewältige der Maler durch idealisierende Vereinfachung und formale Stringenz. Dombrowski konstruiert einen Paragone zu Leonardo, einen Gegensatz zwischen empirisch motivierter Kunst und Ideenmalerei, die verschiedenen religiös-philosophischen Standpunkten entsprechen.
Dombrowskis Verdienst liegt - neben Neudatierungen und Neuzuschreibungen - in den aufwändigen, Komposition und Ideen verzahnenden Bildbeschreibungen. Hier sagt eine Kompositionsskizze mehr als 1000 Worte, aber der Autor hegt eher eine Vorliebe für eine präzise und oft literarisch aufgeladene Sprache.
Er arbeitet mit wenigen zeitgenössischen, dem Maler möglicherweise bekannten Quellen: Ficino, Augustinus, Dante, die Liturgie. Man fragt sich jedoch mitunter, ob der Pictor Doctus jedes Bildprogramm mit Ficino diskutierte oder wirklich entsprechende Vorbildung mitbrachte. Vielleicht hätte es je nach Fall gepasst, in der Dombrowski durchaus bekannten Predigtliteratur und damit im engeren Umfeld der Kirchen zu forschen bzw. Texte zu bewerten, die sich mit dem ikonografischen Motiv konkret befassen und die Interessenlage der Auftraggeber einzubeziehen. Dombrowski geht wenig auf kultische oder ikonografische Traditionen ein. So beschäftigt er sich bei der berühmten Verkündigung der Pala Guardi kaum mit den von Edgerton analysierten Texten des Antoninus Pierozzi, einer einflussreichen Quelle, die der Autor selten zitiert. Der Autor zieht hier jedoch u.a. den zeitgenössischen Franziskaner Caracciolo heran. Die besondere Verehrung der Verkündigung in der Santissima Annunziata und deren besondere mediceische Konnotation werden ebenso ignoriert. In Bezug auf die Marienkrönung in San Marco leugnet er den Zusammenhang des Motives mit dem Konzept der Immaculata, was in dieser Kirche durchaus überzeugt. Diese in franziskanischen Kreisen bis ins erste Drittel des Cinquecento übliche Korrelation ist aber nachgewiesen worden, zumal nachdem mit Ghirlandaios Marienkrönung in Narni die Darstellung dieses Konzeptes in Umbrien anhand der Auswahl bestimmter Heiliger und entsprechender Spruchbänder deutlich und häufig wird. Es kann gut sein, dass man in San Marco das neue Konzept ablehnte, und sich bemühte, das Krönungsthema makulistisch zu besetzen; es gab aber auch immakulistische Positionen innerhalb des Ordens.
Wie jeder Forscher liebt Dombrowski seinen Gegenstand, dem er sich fast literarisch nähert, sodass Botticelli im Kontext seiner Zeit oft etwas unverhältnismäßig groß und - wie erwähnt - überreichlich gebildet erscheint. Über Botticellis Bildungsstand wissen wir, abgesehen davon, dass Vasaris ihn als sofistico bezeichnet, aber nichts, sodass die Deutungen zwar wahrscheinlichen, aber eher spekulativen Charakter haben. Anhand der Beweinung Christi in München (ca. 1490-95) versucht der Verfasser nachzuweisen, das Botticelli die geometrisch geordneten, doch bewegten und verschränkten Figurenkompositionen der Hochrenaissance (und damit auch des Manierismus) begründet habe. Dies ist eine Entwicklung, die sich generell in der Florentiner Malerei ab ca. 1485 abzeichnet. Leonardos Anna Selbdritt beschreitet ein halbes Jahrzehnt später einen ähnlichen Weg. Der Autor sieht Botticelli als Vorläufer Raffaels und schreibt ihm Inventionen wie die Madonna in nubibus zu, die jedoch schon lange vorher existieren, so in der kölnischen Malerei, auch in einem Retabel Ghirlandaios für S. Maria Novella. Den Wettstreit zwischen beiden auszuloten, wäre spannend gewesen, genauso die Frage, ob Michelangelo Botticelli nicht doch Ideen und grundlegende Stilkonzepte verdankt, wenn man z.B. an die monumentalen Faltenwürfe der Heiligen in der Pala di San Marco denkt. Neben einigen Überinterpretationen gibt es nicht ganz korrekte Beobachtungen, so zur unvollendeten Anbetung der Könige in den Uffizien, wo der Autor nur eine Felsenlandschaft erblickt, dann aber doch das bloß skizzierte Dach einer Hütte erkennbar ist.
Derartige Kritikpunkte sind letztendlich Petitessen, da Dombrowski die selbst gestellte Aufgabe souverän bewältigt und seine Schrift anregungsreich zu lesen ist. Der Widerspruch, den sein Werk eventuell provoziert, wird die Forschung um das Vorfeld der Hochrenaissance sicher beleben. Ich halte Dombrowskis Deutungen in ihrer Verschränkung von bildimmanenter Interpretation und Geistesgeschichte für überzeugend. Im Detail sollte dann diskutiert werden.
Anmerkung:
[1] Werner Alberg: Die Madonna con Santi: Darstellungen der venezianischen und florentinischen Malerei (Diss. Bochum 1984), Bochum 1984; Nils Gauk Roger:
"Sacra conversazione", in: The Dictionary of Art. Bd. 27, hg. von Jane Turner, London 1996, 494ff.; Till Busse: Nostra conversatio in Caelis est? Überlegungen zur Sacra conversazione, in: What is "theology" in the Middle Ages? Religious cultures of Europe (11th-15th centuries) as reflected in their self-understanding, hg. von Mikolaj Olszewski, Münster 2007 (= Archa verbi. Subsidia; Bd. 1), 615-640; Till Busse: Madonna con Santi - Studien zu Domenico Ghirlandaios mariologischen Altarretabeln: Auftraggeber, Kontext und Ikonographie (Diss. Köln 1999), 2003, URL: http://kups.ub.uni-koeln.de/volltexte/2003/486/, 123-168; Magne Malmanger: Sacra Conversazione in Perspective, in: Claire Lapraik Guest: The formation of the genera in early modern culture, Pisa 2009 (= Early modern and modern studies, Bd. 5), 231-246; Bronwyn C. Stocks: Text image and a sequential 'sacra conversazione' in early Italian books of hours, in: Word & Image 2007, 16-24; Bernd Wolfgang Lindemann: Aspekte einer Bildform, in: Helen Smith / Christopher Schmidt: Un San Bastiano che par che non li manchi se non il solo respiro: Paris Bordons Berliner Altarbild im Kontext, Ausst. Kat. Berlin 2007, 9-13; zur Marienkrönung vgl. Busse 2003, 77ff., 399-408.
Till Busse