Charlotte E. Haver: Von Salzburg nach Amerika. Mobilität und Kultur einer Gruppe religiöser Emigranten im 18. Jahrhundert (= Studien zur Historischen Migrationsforschung; Bd. 21), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 475 S., ISBN 978-3-506-77105-6, EUR 49,90
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Matthias H. Rauert / Martin Rothkegel (Bearb.): Katalog der hutterischen Handschriften und der Drucke aus dem hutterischen Besitz in Europa. Quellen zur Geschichte der Täufer Band XVIII/ I und II, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011
István Keul: Early Modern Religious Communities in East-Central Europe. Ethnic Diversity, Denominational Plurality, and Corporative Politics in the Principality of Transylvania (1526-1691), Leiden / Boston: Brill 2009
Mit ihrer Dortmunder Habilitationsschrift behandelt Charlotte E. Haver das vermutlich bekannteste und von seinen reichsweiten Auswirkungen prägendste Ereignis des frühneuzeitlichen Geheimprotestantismus. Die Auswanderung der Salzburger Protestanten 1731/32 sorgte nicht nur regional für Aufsehen, sondern setzte das Corpus Evangelicorum ebenso in Bewegung wie einzelne protestantische Fürsten, die versuchten, die Ausweisung zu verhindern, beziehungsweise neue Siedlungsmöglichkeiten für die Vertriebenen ausloteten. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. lud die Salzburger schließlich ein, sich in der Memelregion niederzulassen. Somit zog der größte Teil der Verfolgten nach Preußisch-Litauen, während kleinere Gruppen im süddeutschen Bereich blieben. Einige Salzburger, die sich in Augsburg niedergelassen hatten, zogen ab 1733 weiter nach Ebenezer (Georgia), gefördert und unterstützt von Vertretern des Hallischen Pietismus und dem Augsburger lutherischen Theologen Samuel Urlsperger. Die Salzburger waren ein willkommener Baustein in dem von Halle aus gesteuerten Projekt, in Georgia einen Außenposten des Missionswerks von Gotthilf August Francke einzurichten.
Nach der im Jahr 2009 verfassten Trierer Dissertation von Alexander Pyrges behandelt nun die Monographie von Charlotte E. Haver das etwas weniger bekannte amerikanische Kapitel der Salzburger-Auswanderung. Die Darstellung beginnt mit einer Beschreibung der Emigration, schließt dann eine Schilderung jener Gruppen an, auf die die Salzburger in Georgia trafen, und analysiert schließlich detailreich die Akkulturation der Salzburger in Amerika. Ein Anhang mit verschiedenen Tabellen und Aufstellungen über Vertreibungen der Frühen Neuzeit und über Bücher, die bei Visitationen in Salzburg beziehungsweise in Salzburger Bibliotheken zu finden waren und unter den Auswanderern in Ebenezer kursierten, ergänzen das Buch ebenso wie eine Auflistung jener Passagen in den "Trustees Proceedings for Establishing the Colony of Georgia", die sich auf die Salzburger beziehen.
Zwei Aspekte werden in der Untersuchung von Charlotte E. Haver besonders hervorgehoben: einerseits die propagandistische Vereinnahmung der Salzburger durch den Hallischen Pietismus; andererseits der kulturelle und geistliche Wandel der Salzburger in ihrer neuen Heimat Georgia, der sie immer stärker in die koloniale Gesellschaft der Südstaaten hineinbrachte. Hauptsächliche Quellen für die Analyse sind die verschiedenen Berichte über die Salzburger, vor allem die Diarien von Johann Martin Boltzius, die die Autorin sehr leidenschaftlich schildert. Die Konzentration auf diese Berichte sind Stärke und Schwäche des Buches. Denn einerseits zeigen sie das Entstehen von Zuschreibungen, die helfen sollten, möglichst viele Spendengelder einzutreiben, andererseits bleibt so der Blick der Salzburger selbst weitgehend verborgen.
Die Auswanderung der Salzburger eröffnet den Blick auf ein breit gespanntes Netzwerk protestantischer Kreise, das über Samuel Urlsperger, den Hallischen Pietismus und die "Society for the Promoting of Christian Knowledge" lief. Es verschränkten sich pietistische Missionsanliegen mit der Suche der neuen Kolonien auf dem nordamerikanischen Kontinent nach neuen Siedlern. So wurden die "Society for the Promoting of Christian Knowledge" und Samuel Urlsperger zu den wichtigsten Vermittlern der Salzburger Ansiedlung im 1732 gerade von den Engländern neu gegründeten Georgia. Besonders Urlsperger und Johann Martin Boltzius, der von Halle entsandte Indianermissionar und erste Prediger der Salzburger in Georgia, entfalteten eine enorme Prägekraft, indem sie versuchten, die Auswanderer in einer idealisierten Form als "fromme, religiöse Mustergemeinde" (399) darzustellen. Mit diesem missionarischen Anliegen waren nicht nur die Themen und die Zielsetzungen vorgegeben, sondern die Folge war zudem, dass sich vor allem das Hallische Bild von den Salzburgern überlieferte.
Die Berichte über die Salzburger überliefern, trotz aller Idealisierung, die Zurückhaltung der Auswanderer gegenüber der Hallischen Frömmigkeit. Offenbar waren es vor allem die gemeinsamen Erfahrungen der Emigration und des Neuanfangs, die zusammenschweißten. Die Gemeindebildung funktionierte nur sehr ungenügend, die Salzburger siedelten zunehmend in Streusiedlungen. Es zeigt sich in Charlotte E. Havers Studie eine interessante Spannung zwischen der gemeinsamen konfessionellen Herkunft, die eigentlich Kohäsion hätte bewirken müssen, und der zunehmenden Individualisierung des Lebens in Georgia. Noch vor 1800 hatten die Salzburger sich an die koloniale Kultur angeschlossen, was sich vor allem in der Offenheit für die Erweckungsbewegung und die Unabhängigkeitsbewegung zeigte. Doch auch in der Sklavenfrage machten die Salzburger Zugeständnisse. Georgia, eigentlich als utopischer Entwurf für weiße Protestanten mit einer Landwirtschaft ohne Sklaven gegründet, änderte nach dem Ende der Trusteeverwaltung seine ideologische Ausrichtung, und der wachsende Wohlstand sorgte bei einigen Salzburgern für die Bereitschaft, Sklaven einzusetzen.
Das Buch ist sehr flüssig, manchmal fast essayhaft geschrieben, was das Lesen zu einer entspannten Tätigkeit macht. Allerdings ist die Untersuchung durch gewisse begriffliche Unschärfen geprägt. So werden die zentralen Begriffe "Kultur", "Akkulturation" und "Migration" nur sehr oberflächlich definiert und problematisiert. Gerade bei der Interpretation der Kultur der Salzburger fällt auf, dass ein sehr traditioneller "Kultur"-Begriff vorherrscht. Auch manche Schilderung von Mentalitäten hätte mehr Quellenkritik erfordert. Genauso erstaunt die Einordnung der Salzburger Emigration als vornehmlich religiöse Angelegenheit, die etwas scharf von allen politischen Motiven, die im Zusammenhang mit der Vertreibung und der Ansiedlung die Kommunikation bestimmten, abgegrenzt wird. Ein Manko der Publikation liegt zudem darin, dass wesentliche Veröffentlichungen zum österreichischen Geheimprotestantismus nicht wahrgenommen wurden. Dadurch bleiben die Einordnung der Salzburger Emigrationsgeschichte in den größeren Kontext und vor allem der Vergleich mit dem Schicksal von Protestanten in den Salzburg benachbarten Gebieten unvollständig.
Astrid von Schlachta