Stefan Smid: Der Spanische Erbfolgekrieg. Geschichte eines vergessenen Weltkriegs (1701-1714), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, 581 S., 24 s/w-Karten, ISBN 978-3-412-20638-3, EUR 69,90
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Wenige Konflikte der europäischen Geschichte können aufgrund ihrer welthistorischen Bedeutung eine solche Prominenz beanspruchen wie jener, welcher als "Spanischer Erbfolgekrieg" (1700/01-1714) in die Annalen eingegangen ist. Nicht nur die Neubesetzung des spanischen Throns nach dem Aussterben der iberischen Habsburger im Mannesstamm, sondern vor allem das sich daraus ergebende Kräftemessen nahezu aller europäischen Länder lassen ihn - gemeinsam mit dem nahezu gleichzeitigen Großen Nordischen Krieg - zur Sattelzeit werden, zu einer Wasserscheide zwischen den klassischen dynastischen Kriegen des 17. und den Kabinettskriegen des 18. Jahrhunderts. Dieser wohl unumstrittenen Bedeutung steht jedoch eine erstaunliche Vernachlässigung seitens der Historiographie gegenüber. Zwar wurden einzelne Aspekte des Krieges - darunter vor allem militärisch-biographische [1] und regional-dynastische [2] - schon ausführlich untersucht; eine Gesamtgeschichte des Konfliktes aber blieb bislang Desiderat der Geschichtswissenschaft.
Umso erfreulicher scheint es, hier ein Werk vorstellen zu können, das diese Lücke schließen will und noch dazu im Untertitel auf die globale Bedeutung des Gegenstands aufmerksam macht. Sein Umfang mit über 570 Seiten lässt auf Vollständigkeit hoffen und die Tatsache, dass der Autor zwar Hochschullehrer, nicht aber der historischen Fakultät, sondern der juristischen, ist, sollte à priori keine Bedenken evozieren - zu viele wertvolle und vor allem originelle historiographische Werke entsprangen schon der Feder nicht unmittelbar fachlich verwandter Kollegen.
Es ist ungeschriebenes Gesetz der Rezensentenzunft, einerseits zunächst die positiven Aspekte des Werkes und seinen Inhalt darzustellen, um dann auf eventuelle Desiderate zu sprechen zu kommen, und andererseits die bislang zu dem anzuzeigenden Buch erschienenen Besprechungen zu ignorieren - Letzteres schon aus Gründen der Fairness und Unbefangenheit gegenüber Autor und Band. Im vorliegenden Falle kann dies beides nicht geschehen.
Die erdrückende Mehrheit der bislang erschienenen Kommentare zur vorliegenden Arbeit präsentiert einen Totalverriss, und dies aus nicht zu ignorierenden Gründen. Alle dort aufgeführten Monita sollen hier nicht wiederholt werden, beginnen wir daher mit den ins Auge springenden Tatsachen.
Die Redaktion des Bandes ist schlichtweg eine Frechheit. Das könnte man vornehmer formulieren, hätte dann den Sachverhalt aber nicht so treffend beschrieben - vor allem angesichts des stolzen Ladenpreises. Die Unmenge an Tippfehlern, falschen Namensschreibungen und Ortbezeichnungen ist an sich schon schwer auszuhalten, Bibliographie und Register schlagen dem Fass allerdings den sprichwörtlichen Boden aus. In dem als "Literatur" ausgewiesenen Abschnitt tauchen mehrere eindeutige Quellenwerke (Memoiren etc.) auf, die Sektion "Quellen" erschöpft sich in jenen deutscher Provenienz. [3] Insgesamt scheinen die bibliographischen Angaben nach dem Zufallsprinzip entstanden zu sein: Ist der Erscheinungsort, Autor und / oder Verlag bekannt, wird er genannt, ansonsten nicht. Original und Übersetzung werden bunt gemischt durcheinander zitiert, auf die jeweils andere Ausgabe wird niemals verwiesen. Bei Voltaires Biographie Karls XII. sieht dies dann etwa so aus: "François-Marie Voltaire (Arouet), Geschichte Karls XII, TB, 1978" (sic!) (560). Auf den Seiten 555 und 556 blieben gar Fragezeichen am Zeilenende der Titelnennungen stehen ...
Ähnliches gilt für die disparaten Register. Orte, Sachbegriffe und vor allem Namen werden nach der gerade verfügbaren Form und Weise zitiert, einmal ganz, ansonsten oft lediglich mit Nachnamen oder gar nur "Parma, Hzg. von" (566). Aus Jean Bernard Louis de Saint-Jean, Baron de Pointis (1645-1707) wird so "Pointis, Admiral" (566). Diese Beispiele sind beileibe nicht böswillig herausgepickte Einzelphänomene, sondern Legion.
Es wäre allzu leicht, aus den manifesten Schwächen des Buchs im Hinblick auf die äußere Erscheinung einen Gesamtverriss zu stricken. Das jedoch würde die vielen durchaus lesenswerten Passagen zu einem - wie gesagt - bislang in dieser Vollständigkeit vernachlässigten Sujet ungerechterweise unterschlagen.
Die Ausführungen des Autors zu Militär und militärischem Potential der Epoche verdienen durchaus Beachtung; gerade der neu mit der Materie befasste Leser erhält hier eine solide Einführung in den Gegenstand. Ebenfalls kommen die persönlichen Aspekte und die heute vielleicht nicht mehr moderne reine "Schlachtengeschichte" zu ihrem Recht. Wiewohl man die inneren Kämpfe und Spannungen an den beteiligten Höfen - etwa die Auseinandersetzungen um den "jungen Hof" Josephs I. gegenüber dem altgedienten Personal unter Leopold I. mit all seinen auch weltanschaulichen Antagonismen - noch deutlicher hätte herausarbeiten können, treten Motivation, Anteil und Bedeutung der Protagonisten deutlich hervor.
Diese starke Betonung von Biographik und Militärgeschichte, gepaart mit einer deutlich der narrativen Darstellungstradition verbundenen Stilistik beschert dem Werk unzweifelhaft zumal hierzulande den Geruch des Altmodischen. Doch sollte man dabei beachten, dass dies beileibe nicht für alle Sphären der Geschichtswissenschaft gilt - im angelsächsischen und frankophonen Bereich etwa findet sich derartiges auf hohem Niveau und mit entsprechenden Verkaufszahlen; der Rezensent mag daran jedenfalls nichts Verwerfliches finden.
Der Vorwurf schließlich, der Band biete nichts Neues und sei stark kompilatorisch angelegt, greift hier auch nicht, denn dies ist ja sein legitimes Anliegen. Der gut lesbare Sprachduktus macht dabei die offensichtliche Anlehnung an bekannte Textquellen (literarischer wie lexikalischer Art, zum Teil auch Internetenzykliken) wett.
Bedenklicher ist hingegen die stark auf ältere Werke rekurrierende Bibliographie, welche einige wertvolle neuere Beiträge unberücksichtigt lässt. Ebenso problematisch muten die zum Teil übermäßig repetitiven Fußnoten an, welche sich seitenweise in der Anführung derselben zugrundeliegenden Literatur erschöpfen.
Ein letzter Verweis sei noch gestattet hinsichtlich der weltweiten Dimension des Konflikts, welche ja auch im Titel emblematisch aufscheint. Leider kommt diese in Darstellung und Umfang viel zu kurz. Die Auswirkungen des Konfliktes auf Nordamerika werden nur auf wenigen Seiten angerissen, die regionalen Prozesse und Ereignisse nicht in ihrer ganzen Wirkmächtigkeit erfasst. Dies gilt vor allem für die Kämpfe um die im Süden der heutigen USA gelegenen Gebiete. [4] Auch hier ist im Anmerkungsapparat der nahezu ausschließliche Verweis auf Parkman (vgl. 548f.) [5] unbefriedigend. [6] Die Karibik [7] und Afrika werden nahezu vollkommen ignoriert, Indien in drei Zeilen abgehandelt (476).
Entgegen den Verheißungen des Titels liegt also ein eurozentriertes Werk vor, bei welchem man die oben erörterten Defizite nicht in Abrede stellen kann. Eine Neuauflage unter deren Tilgung sowie mit Ergänzung der wichtigsten neueren Literatur [8] könnte hier Abhilfe schaffen, eine Übersetzung etwa ins Englische danach ein weiteres und eventuell stärker interessiertes Publikum erreichen. Dies erscheint aufgrund der positiven Elemente der Studie gerechtfertigt, welche gerade in der Perspektive der versuchten Gesamtdarstellung auch in unseren Breiten zu weiterer Beschäftigung mit dem Sujet anregen sollte.
Anmerkungen:
[1] Hier wäre in erster Linie zu denken an die Werke von Marcus Junkelmann: Kurfürst Max Emanuel von Bayern als Feldherr, München 2000; ders.: Theatrum Belli. Höchstädt-Schleißheim-Blenheim (Arte & Marte - In memoriam Hans Schmidt, Bd. 1), Herzberg 2000; ders.: Das greulichste Spectaculum - die Schlacht von Höchstädt 1704, Augsburg 2004; daneben die umfangreiche Literatur zu Marlborough und Prinz Eugen.
[2] Für Spanien etwa Friedrich Edelmayer / José Ignacio Ruiz Rodriguez / Virginia Léon Sanz (Hgg.): Hispania-Austria III. Der Spanische Erbfolgekrieg / La guerra de sucesión española (Studien zur Geschichte und Kultur der iberischen und ibero-amerikanischen Länder / Estudios sobre historia y cultura de los paίses ibéricos e iberoamericanos 13), Köln u.a. 2008; für England: John Hattendorf: England in the War of the Spanish Succession, New York 1987 (beide Titel tauchen im Literaturverzeichnis nicht auf).
[3] Leicht erreichbar und beide Seiten des Krieges berücksichtigend wären gewesen: Vicente Bacallar y Sanna: Comentarios de la guerra de España e Historia de su rey Felipe V, el animoso, ed. http://www.cervantesvirtual.com/obra/comentarios-de-la-guerra-de-espana-e-historia-de-su-rey-felipe-v-el-animoso--0/#I_19_; 03.04. 2012), bzw. Thomas Brodrick: A Compleat History of the late war in The Netherlands together with an abstract of the treaty of Utrecht, London 1713 (online: http://archive.org/details/historyoflatewar00brod ; 03.04. 2012).
[4] Vgl. Steven J. Oatis: A Colonial Complex: South Carolina's Frontiers in the Era of the Yamasee War, 1680-1730, Lincoln, NB 2004, 42-82; Jay Higginbotham: Old Mobile: Fort Louis de la Louisiane, 1702-1711, 2Tuscaloosa, AL 1991.
[5] An älterer Literatur, aber immer noch relevanter als Parkman, s. Wesley Frank Craven: The Colonies in Transition: 1660-1713, New York 1968; Charles W. Arnade: The English Invasion of Spanish Florida, 1700-1706, in: The Florida Historical Quarterly 41/1 (1962), 29-37; Verner W. Crane: The Southern Frontier in Queen Anne's War, in: The American Historical Review 24/3 (1919), 379-395.
[6] Eine Übersicht über die dem Autor offenbar näherstehende ältere Literatur findet sich unter: http://www.history.army.mil/reference/COLON/QUEEN.htm; (03.04. 2012).
[7] Nellis M. Crouse: The French Struggle for the West Indies, 1665-1713, New York 1943.
[8] Hier sollte vor allem für die französische Seite das Grundlagenwerk: Philippe Contamine (éd.): Histoire militaire de la France, Bd. 1: Des origines à 1715, Paris 1992, bes. 383-556 berücksichtigt werden.
Josef Johannes Schmid