Hendrik W. Dey: The Aurelian Wall and the Refashioning of Imperial Rome. AD 271-855, Cambridge: Cambridge University Press 2011, XV + 360 S., ISBN 978-0-521-76365-3, GBP 65,00
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Hendrik Dey dürfte nicht der einzige sein, der sich von der Monumentalität der rund 19 Kilometer langen spätantiken Stadtmauer von Rom leicht beeindrucken lässt. In seinem Falle allerdings führte die im Jahr 2002 erlebte "minor epiphany" angesichts jener "single largest and most influential structure ever erected in Rome" (xiv) zu einem Dissertationsvorhaben, deren Ergebnis mit dieser 360seitigen Monographie nun vorliegt.
Ihr Verfasser verortet sich innerhalb der Arbeiten zur spätrömischen Urbanistik in die insbesondere im angelsächsischen Raum formierte Lesart einer bis in das neunte Jahrhundert reichenden Spätantike. Die im Titel anzutreffende chronologische Ausweitung bezeichnet so bereits auf den ersten Blick den wesentlichen Unterschied zur bisherigen Spezialliteratur, die von Dey vollständig überblickt und angemessen gewürdigt wird. Dabei kommt dem 1930er Überblickswerk von Ian Richmond [1] nach wie vor und nicht allein durch die lange stilbildend bleibende Setzung der zeitlichen Untergrenze in die Mitte des sechsten Jahrhunderts eine maßgebliche Rolle zu. In Rekurs unter anderen auf Robert Coates-Stephens [2] hat Dey - gleichwohl grundsätzlich auf Richmonds Systematik aufbauend - den für sein Forschungsinteresse relevanten Betrachtungszeitraum um einige Jahrhunderte nach hinten erweitert.
Es sind hier die Fragen an die archäologischen Hinterlassenschaften und deren literarischer Kontextualisierung über den bislang dominanten architekturgeschichtlichen Ansatz hinaus, die Dey stellt, um zu eruieren, inwieweit die Aurelianische Stadtmauer als Bauwerk "both shaped and reflected the priorities, perceptions, and activities of those living within it, and of those located (often far) without" (9). Im Sinne der so attestierten Ambivalenz ist die Arbeit in zwei umfänglich etwa gleich große Teile zu je drei Kapiteln untergliedert, in denen Dey den Versuch unternimmt, sich der Mauer einerseits als gestaltetem Artefakt und andererseits als einem sein Umfeld wie seine Wahrnehmung prägendem Subjekt anzunähern.
Wie sich trotz aller generellen Unsicherheit bei der Datierung von Mauerwerk unterschiedliche Bauphasen und spätere Ausbesserungen relativ deutlich voneinander unterscheiden lassen, zeigt Dey zunächst mittels an Detailphotos exemplifizierten Bauschreibungen und Auswertungen älterer Publikationen auf. Zugleich gibt er aber zu bedenken, dass nur in seltensten Fällen konkrete historische Ereignisse oder Personen mit diesen baulichen Aktivitäten in Einklang zu bringen sind. So lässt sich beispielsweise die von Richmond noch Maxentius zugeschriebene zweite Bauphase mit großer Wahrscheinlichkeit auf verschiedene Ausbesserungen zwischen dem dritten und dem fünften Jahrhundert verteilen (45-48) - eine der italienischen Forschung seit längeren bekannte, aber bislang kaum rezipierte Beobachtung.
Planung, Bau und Unterhalt der Mauer widmet Dey das folgende Kapitel, das nicht nur Bekanntes über Verlauf sowie organisatorische wie rechtliche Hintergründe des Großprojektes prägnant referiert, sondern auch um bis dato unterschätzte Aspekte wie die Herkunft von Baumaterialien ergänzt (91-97).
Infolge seiner Schwerpunktsetzung auf die historischen Umstände der Regierung Aurelians, der anlässlich des Mauerbaus für nachhaltige Reformen der städtischen Verwaltung verantwortlich zeichnet (102-109), nimmt Dey dann im dritten Kapitel begründet Stellung zu den kursierenden Theorien bezüglich möglicher Beweggründe für die Errichtung der Befestigung in ihrer markanten Form. Festzuhalten bleibt für ihn die Annahme, dass die nachmalig erwachsenen vielfältigen Bedeutungsebenen des Bauwerkes Stadtmauer im spätantiken und frühmittelalterlichen stadtrömischen Diskurs nicht per se in der ursprünglichen Motivation ihres Initiators gelegen haben können (116-118).
So sieht Dey auch die repräsentative Wirkung und grundsätzlich positive Konnotation der Mauer erst durch ihre erfolgreich zelebrierte "Christianization" durch Honorius an der Wende zum fünften Jahrhundert gegeben, im Zuge dessen eine ambivalente Angleichung der Ikonographie Roms und des Himmlischen Jerusalem erfolgt sei (140-155).
Mit Beginn des zweiten Abschnittes werden dann die unmittelbaren wie auch mittelbaren Folgen aufgezeigt, die sich für Rom durch die Präsenz der Mauer ergaben, die sich mitsamt intervallum und vorgelagerter "Killing zone" auf einer bis zu 50 Meter breiten Schneise als regelrechter Einschnitt in die städtische Topographie erwies (160-169).
Dey verweist darauf, dass die Kommunikation zwischen Rom und seinem Umland im Zuge verteidigungstechnischer Einschränkungen der Mauer, wie sie insbesondere seit der Zusetzung von Toröffnungen seit Honorius gegeben waren, eine Neuausrichtung vollziehen musste. Das führte nicht nur zu einer höheren Frequentierung von Zubringern der verbliebenen Hauptachsen sowie der Verlagerung von villae ins neue Stadtinnere, sondern auch zu Abriss oder Verlegung von exponiert gelegenen Brücken (169-185). Mit den im Kontext der Stadtmauer entwickelten - und in den nachgeordneten Appendices noch einmal ausführlicher erläuterten - Erklärungsmodellen zu Pons Neronis und Pons Agrippae erweist sich Deys Ansatz als eine anschauliche Bereicherung für umstrittene Fragestellungen der stadtrömischen Urbanistik.
Die in Rom städtebaulich und dann auch rechtlich manifestierte Trennung von Stadt und Umland entwickelte sich zum idealen Träger christlicher Umdeutungen. Die zunächst durch die Lage der Märtyrergräber bedingte Prominenz des suburbium wurde spätestens mit der Etablierung einer innerhalb der Mauern verbleibenden päpstlichen Liturgie sowie der großangelegten Translation von Reliquien abgelöst durch eine exklusive Aufwertung der Gebiete "in urbe" (217-240).
In der seit dem zweiten Viertel des achten Jahrhunderts ermöglichten eigenständigen Außenpolitik und der gewonnenen Kontrolle über entsprechende Ressourcen durch die vormals politisch von Ravenna abhängigen Päpste sei die Stadtmauer erstmalig in deren Verantwortung und Fokus gerückt worden: "The wall thus appears as a finely calibrated barometer of a changing political climate, and an important component in the assertion of pontifical control over the city of Rome, as it would remain for the next century and a half" (248). Den beiden Päpsten Hadrian I. und Leo IV. mit ihren durch den Liber Pontificalis bezeugten Ausbesserungen an der Aurelianischen Mauer - den letzten vor dem zwölften Jahrhundert - gewährt Dey in der von ihm attestierten Anknüpfung an ihre kaiserzeitlichen Vorgänger zuletzt noch einmal ausführlichen Raum. Sie trugen demnach entscheidend mit dazu bei, dass die Aurelianische Mauer in ihrer frühmittelalterlichen "visual and cognitive presence" stellvertretend für die dazu nicht mehr fähige Stadt Rom deren imperiales Erbe weiterhin tradierte (282).
Der Sichtweise, dass die Aurelianische Mauer "a leading protagonist on the Roman stage between the third and ninth centuries" gewesen sei (10), wird nach dieser in Gänze überaus lesenswerten Arbeit Hendrik Deys keine Skepsis mehr entgegenzubringen sein. Wenngleich er seine mehransichtige Perspektive der Mauer nicht immer in dieser Trennung nachvollziehbar durchzuhalten vermag, überzeugt die Mehrzahl seiner teils mit bemerkenswerter Beobachtungsgabe entworfenen Thesen ebenso sehr wie es seine oft sehr reflektierten methodischen Einschübe tun. Interessanter Weise scheint Dey, obwohl er die in dieser Hinsicht aussagekräftige deutschsprachige Literatur kaum zu kennen scheint, in einigen für die Frühphase der Aurelianischen Mauer relevanten Diskussionen beispielsweise um die Ausweitung des Pomerium oder Einrichtung von Zollgrenzen [3] dennoch zu vergleichbaren Ergebnissen zu kommen. Auch für seine Ausführungen zum päpstlichen Rom der Spätantike wäre eine kurze Auseinandersetzung mit naheliegenden Publikationen [4] sicherlich interessant gewesen.
Davon abgesehen muss der anvisierte Versuch, der Aurelianischen Mauer eine Biographie zu verfassen, aber als durchaus gelungen betrachtet werden.
Anmerkungen:
[1] Ian Archibald Richmond: The city wall of Imperial Rome. An account of its architectural development from Aurelian to Narses, Oxford 1930.
[2] Robert Coates-Stephes: Quattro torri alto-medievali delle Mura Aureliane, in: Archeologia Medievale 22 (1995), 501-517; ders.: The walls and aquaeducts of Rome in the early middle ages, in: JRS 88 (1998), 166-178; ders.: Le ricostruzioni altomedievali delle mura aureliane e degli acquedotti, in: MEFRM 111 (1999), 209-225; ders.: Muri dei bassi secoli in Rome. Observations on the re-use of statuary in walls found on the Esquiline and Caelian after 1870, in: JRA 14 (2001), 217-238.
[3] Robert Göbl: Die Münzprägung des Kaisers Aurelianus (270/275), Wien 1993 (MIR - Moneta Imperii Romani; Bd. 47); Peter Jacob: Aurelians Reformen in Politik und Reichsentwicklung, Göttingen 2004 (= Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte; Bd. 9); Gerald Kreucher: Der Kaiser Marcus Aurelius Probus und seine Zeit, Stuttgart 2003 (= Historia. Einzelschriften; Bd. 174).
[4] Franz Alto Bauer: Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter. Papststiftungen im Spiegel des Liber Pontificalis von Gregor dem Dritten bis zu Leo dem Dritten, Wiesbaden 2004 (= Palilia; Bd. 14); Ralf Behrwald: Die Stadt als Museum? Die Wahrnehmung der Monumente Roms in der Spätantike, Berlin 2009 (= Klio Beihefte, N. F.; Bd. 12).
Dominik Kloss