Rezension über:

Gerd van den Heuvel: Adlige Herrschaft, bäuerlicher Widerstand und territorialstaatliche Souveränität. Die "Hoch- und Freiheit Gesmold" (Hochstift Osnabrück) im 18. und frühen 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; 265), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2011, 229 S., 14 Farbabb., ISBN 978-3-7752-6065-7, EUR 29,00
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Rezension von:
Bastian Gillner
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Bastian Gillner: Rezension von: Gerd van den Heuvel: Adlige Herrschaft, bäuerlicher Widerstand und territorialstaatliche Souveränität. Die "Hoch- und Freiheit Gesmold" (Hochstift Osnabrück) im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 4 [15.04.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/04/20565.html


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Gerd van den Heuvel: Adlige Herrschaft, bäuerlicher Widerstand und territorialstaatliche Souveränität

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Ein oberflächlicher Blick in die umfangreiche neuere Literatur zur Geschichte des Adels könnte vermuten lassen, die Adeligen der Frühen Neuzeit seien vor allem administrativ-höfische Akteure gewesen, Amtsträger, Ratgeber, Landtagsteilnehmer, vielleicht noch hohe Militärs oder Kleriker, überwiegend zu finden im Umfeld von Fürst und Territorialstaat. Ganz falsch ist dieser Eindruck nicht, wohl aber bietet er ein verzerrtes Bild. In erster Linie war der vormoderne Adel Grundbesitzer, Grundherr, Herr über einen mehr oder minder großen Kreis von Abhängigen. Faktisches und ideelles Zentrum dieser Herrschaft über den lokalen Raum war der Adelssitz. Zu Tausenden bestanden diese Adelssitze mit umgebenden Herrschaften im Reich, eine Normalität für die Zeitgenossen früherer Epochen, für die aktuelle Forschung aber eine eher selbstverständlich hingenommene als intensiv untersuchte Tatsache. Häufig hat die lokale oder regionale Heimatforschung diese Lücke ein wenig zu füllen versucht und zu vielen Adelssitzen die harten Fakten der Bau- und Besitzgeschichte zusammengetragen, lässt es an analytischer Schärfe dabei allerdings zu oft mangeln. Dass eine auf der Höhe der Zeit argumentierende Forschung jedoch auch vielfältige Erkenntnisse aus den lokalen Herrschaftsstrukturen gewinnen kann, beweist vorliegender Band, in dessen Mittelpunkt die osnabrückische Hoch- und Freiheit Gesmold im Besitz der Freiherren von Hammerstein steht.

Aufhänger der gesamten Untersuchung ist ein aufsehenerregender Konflikt zwischen dem Freiherrn Friedrich Werner Ludwig von Hammerstein und den abhängigen Bauern der Herrschaft Gesmold im Jahre 1794. Der Streit um Mühlrechte und die Einkerkerung des Müllers im Gefängnisturm des Schlosses brachte bereits lange gärende Streitigkeiten um bäuerliche Abgaben und Dienste sowie adelige Gerichtsrechte zum gewalttätigen Ausbruch. Der Aufmarsch von hunderten Bauern, das gewaltsame Eindringen in das Schloss und die Demolierung des Gefängnisturms als Symbol der verhassten Herrschaftsrechte erinnerte viele Beobachter nicht zu Unrecht an die Vorgänge im revolutionären Frankreich. Dieses tumultarische Ereignis nutzt der Autor, um die sozioökonomische Lage in der Herrschaft Gesmold in den vorangehenden Jahrzehnten zu analysieren. Nicht zuletzt die umfangreichen Prozesse, die aus den Ereignissen von 1794 resultierten, bieten ihm das entsprechende Material dazu. Maßgeblich wird dabei das spannungsgeladene Dreiecksverhältnis zwischen Bauern, Grundherr und Landesherr beleuchtet. Für die leibeigenen Bauern stellten weniger die regulären Abgaben als die regelmäßig geforderten Spanndienste und die periodisch zu zahlenden Auffahrts- und Sterbegelder eine schwere Belastung dar. Für den Adeligen waren diese Leistungen aber grundsätzlich nicht verhandelbar, trugen sie doch einen nicht geringen Teil zu den Einkünften des Gutes bei. Wichtig für deren Eintreibung war auch die adelige Gerichtsbarkeit in der Herrschaft Gesmold, die das grundherrliche Abhängigkeitsverhältnis der Bauern zum Gutsbesitzer noch einmal steigerte. Diese Patrimonialgerichtsbarkeit war wiederum für den bischöflichen Landesherrn in Osnabrück ein stetiges Ärgernis, bildete sie doch die Grundlage für eine weitgehende Autonomie Gesmolds, die sich einer flächendeckenden Durchsetzung der Landeshoheit in den Weg stellte. Landesherr, Grundherr und Bauern standen nicht in einem konfliktreichen, wohl aber in einem konfliktträchtigen Nebeneinander, in dem die Parteikonstellationen keineswegs dauerhaft festgefügt waren.

Die wesentliche Stärke des Buches ist die höchst gelungene Verknüpfung verschiedener analytischer Zugänge zur Thematik. Die Beschreibung der Herrschaftsstrukturen ist im besten Sinne traditionelle Politik- und Verwaltungsgeschichte, die Untersuchung der bäuerlichen Unruhen hat eine stark sozialgeschichtliche, die Untersuchung der Einnahmen und Ausgaben eine stark wirtschaftsgeschichtliche Prägung; mit der starken Symbolhaftigkeit des Sturmes auf den Gefängnisturm als 'Gesmolder Bastille' kommen auch kulturalistische Ansätze nicht zu kurz. In der Gesamtschau entsteht ein dichtes Bild der Handelnden und ihrer Interessen, das weit davon entfernt ist, die komplexen Geschehnisse in schlichte Erklärungsmuster zu pressen. So stehen dem von bäuerlicher Seite aus geprägten Bild des Adeligen als Ausbeuter dessen durchaus existentielle Zwänge zur Versorgung der zahlreichen Nachkommen gegenüber oder der mit revolutionären Anklängen durchsetzten Argumentation der Aufständischen die fiskalischen Interessen einiger großbäuerlicher Anführer. Auch das Engagement der osnabrückischen Räte war keineswegs von Neutralität gezeichnet, sondern changierte zwischen dem Versuch, mit den Ereignissen die ungeliebten adeligen Gerichtsrechte zu kassieren, und der Furcht vor einem um sich greifenden Bauerntumult, von dem man die traditionelle Ordnung bedroht wähnte. Pointiert charakterisiert van den Heuvel die an dem bisherigen status quo nichts ändernden Ereignisse: adeliges Beharren, bäuerliche Illusionen, staatliches Versagen.

Diese Erkenntnisse mögen nicht alle wirklich neu sein, doch sind sie detailliert und auch faszinierend erarbeitet, was insbesondere für die komplexe Interessenslage aller Beteiligten und die ökonomische Grundlegung des Konflikts gilt. Letzteres muss ein unbedingtes Plädoyer dafür sein, zukünftig auch die an sich eher trockenen Rechnungs- und Wirtschaftsquellen stärker in die Adelsforschung einzubeziehen. Gleiches gilt für die Quellen der Reichsgerichtsbarkeit, die maßgeblichen Einfluss auf den Konflikt in Gesmold hatte, insbesondere mit Blick auf den Reichshofrat, der kaum einmal im Fokus der regionalgeschichtlichen Forschung steht. Aus der Gesamtperspektive bleibt schließlich das Problem, solche Einzelstudien für die allgemeine Forschung fruchtbar zu machen, fehlt doch ein bequem nutzbarer Überblick über die zahlreichen Adelssitze im Reich und die dazu vorhandene Literatur. Das muss aber nicht die Sorge dieses Buches sein, das bedenkenlos jedem empfohlen werden kann, der an Funktionsweise und Strukturen adeliger Herrschaft im 18. Jahrhundert interessiert ist, und zwar ausdrücklich auch jenseits der Grenzen des ehemaligen Fürstbistums Osnabrück.

Bastian Gillner