Markus A. Denzel / Jan de Vries / Philipp Robinson Rössner (eds.): Small is Beautiful? Interlopers and Smaller Trading Nations in the Pre-industrial Period (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; Nr. 213), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, 278 S., diverse Grafiken und Tabellen, ISBN 978-3-515-09839-7, EUR 52,00
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Andrea Bonoldi / Markus A. Denzel / Andrea Leonardi et al. (eds.): Merchants in Times of Crisis (16th to mid-19th Century), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015
Markus A. Denzel / Andrea Bonoldi / Anne Montenach u.a. (Hgg.): Oeconomia Alpium I: Wirtschaftsgeschichte des Alpenraums in vorindustrieller Zeit. Forschungsaufriss, -konzepte und -perspektiven, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017
Günther Schulz / Markus A. Denzel (Hgg.): Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2002 und 2003, St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2004
Vielfach dominieren bei der Betrachtung des vormodernen Handels - und speziell des interkontinentalen Handels - die "big players", also große semi-staatliche Handelsgesellschaften und bedeutende Händlerfamilien. Der vorliegende Sammelband versucht sich von dieser Fokussierung abzugrenzen und nimmt kleinere Händlergruppen bzw. kleinere nationale Handelskompanien in den Blick. Mittels Fallstudien werden vornehmlich das 17. und 18. Jahrhundert behandelt, partiell reicht die Betrachtung auch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Neben dem transatlantischen und dem europäisch-asiatischen Handel werden zudem Formen des lokalen (europäischen) Handels thematisiert, also unter anderem Händler bzw. Handelskompanien aus den Niederlanden, Dänemark, Schottland, Norditalien, der Schweiz und dem Fernen Osten. Die Produkte weisen in geographischer Hinsicht eine ähnliche Streuung auf: Sie stammen aus Nordamerika, Indien, China, vom Balkan etc.; im Kolonialhandel sind es vor allem Tabak und Tee, im lokalen Handel auch Textilien und Rohmaterialien. Der Einleitung, die die wichtigsten Aspekte der einzelnen Beiträge umreißt, folgt ein erster Teil zu "staatlichen" Kompanien und Händlergruppen, der zweite Teil betrachtet einzelne Händlerfamilien/-gruppen, ein abschließender Beitrag zur Seidenstraße bildet den mit "alternative routes and streams of commerce" überschriebenen dritten Teil.
Die zentrale These des Sammelbandes, darauf verweist schon der Titel, besteht in der Annahme, dass kleine Akteure flexibler - und in einzelnen Sparten erfolgreicher - als die "larger players" agieren konnten. Einige Beiträge verdeutlichen, dass zwar die Wirkung politischer Krisen (Kriege) und institutioneller Veränderungen (rechtliche Rahmenbedingungen, Zölle) erhebliche Auswirkungen auf Handelsstrukturen hatten, Akteure aus kleineren Ländern aber oft neutral in Konflikten bleiben konnten und auf Veränderungen insgesamt relativ erfolgreich reagieren konnten. Diese Grundfrage, wie kleinere Händlergruppen, Gesellschaften und "family business" agierten, durchzieht viele Beiträge und stellt zahlreiche Strategien der Händler (etwa privilegierte Handelsgesellschaften als Chance oder das System der Gegenfrachten, das partiell auch Waffen in Konfliktzonen bringen konnte) und Handelstechniken vor, auch die Bedeutung des Handels als Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. An einigen Stellen wird die Relevanz von informellen Bereichen, das heißt von Schmuggel und anderen illegalen Handelspraktiken, betont, wobei nicht vergessen wird, darauf zu verweisen, dass "illicit" als Zuschreibung variierend nach rechtlichem Status bzw. Blickwinkel zu verstehen ist. Bemerkenswert erscheint die Anpassungsfähigkeit institutioneller Rahmenbedingungen, etwa im Falle englischer Zölle im 18. Jahrhundert: Hier bestand partiell die Möglichkeit, bei Re-Exporten Einfuhrzölle stunden zu lassen, da bei ganzen Schiffsladungen hohe Summen fällig wurden. Die vorgeschlagene Interpretation dieser "bonds" als wichtige "commercial credits" und als effektiv den Schmuggel begrenzendes System wirkt sehr schlüssig (Beitrag Rössner).
Überaus positiv zu erachten ist, dass das Thema auch abseits der "klassischen" (das heißt quantitativen) Zugänge bearbeitet wurde, was zahlreiche unerwartete, neue Einblicke ermöglicht. Zu der erheblichen Forschungslücke hinsichtlich des vormodernen Kolonialhandels abseits von "big players" (Niederlande, England) und größeren Handelsgesellschaften liefert der Band vielfältige Einsichten und behält darüber hinaus - zumindest partiell - übergreifende Fragen wie die illegaler oder semi-legaler Transaktionen, Modalitäten des Kulturaustausches oder der Migration im Blick.
Den sehr positiven Gesamteindrucks des Bandes trüben nur wenige Punkte: Das Konzept (wie auch der Titel) des Bandes stellt den Begriff der "interlopers" (Eindringlinge) sehr stark in den Vordergrund - aufgegriffen wird dies aber nur von etwa der Hälfte der Beiträge, es geht insgesamt eher um das Agieren von "small players" auf unterschiedlichen Märkten. Die Einleitung ist zwar informativ, erklärt aber die verwendeten Schlagworte kaum (etwa Vertrauen, Netzwerke, "vulnerability" oder "free riders" - die einzige Ausnahme ist "backwardness"). Ein Überblick über diesbezügliche neuere Forschungsdiskurse wäre hier - statt einer zusammenfassenden Vorstellung der Beiträge - sinnvoll gewesen. In einigen Beiträgen wird offen gelassen, wer hinter den semi-staatlichen Handelskompanien ("chartered companies") stand, auch fehlen manchmal Vergleiche mit anderen auf den jeweiligen Märkten tätigen Akteuren. Dies wäre überaus sinnvoll, um, zumindest punktuell, den Umfang der gehandelten Warenmengen beurteilen zu können, was auch die Frage nach dem erfolgreichen Agieren von "small players" bzw. "interlopers" tangieren würde. In diesem Zusammenhang erscheint die Verwendung von Zollstatistiken, um die Größe von Märkten abschätzen zu können, problematisch: Illegale Transfers, denen offenbar einen erhebliche Bedeutung zukam (die Menge des während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Schottland geschmuggelten Tabaks lag beispielsweise bei über 60% der legalen Importe - 105), schlagen sich in diesen Quellen nicht nieder - ein Anstieg der Warenmengen in Zollstatistiken kann also auch auf Formalisierungen (oder strengere Kontrollen) hinweisen, muss aber nicht ein tatsächliches Anwachsen eines Marktes implizieren.
Die Beiträge argumentieren sehr schlüssig, nur zwei Einschätzungen kann ich nicht teilen: In Bezug auf lokale Handelsstrukturen in der Schweiz (Beitrag Pfaffen / Imboden) wird die These zurückgewiesen, dass Hausierer für die dezentrale Versorgung von Bedeutung waren (248) - die Begründung, dass eine Handelsfirma direkt über die örtliche Niederlassung verkaufte und Hausierer nicht in den Geschäftsunterlagen auftauchten, reicht dafür kaum aus. Der Beitrag zur Seidenstraße (Blanchard) vertritt sehr vehement die These, dass Umwelt- bzw. Klimaänderungen die Verlagerung von Handelsrouten bewirkten (unter Annahme eines zyklischen Klimas - vgl. 254ff.). Diese Annahmen kommen erstaunlicherweise völlig ohne Befunde der Historischen Klimatologie aus und basieren weitgehend auf westeuropäischen Reiseberichten aus der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wenn man den Beitrag liest, drängt sich aber die Frage auf, ob hier nicht auch anderen Faktoren, wie institutionellen Veränderungen - etwa Zöllen - oder Kriegen bzw. lokalen Krisen, Bedeutung zukam und ob es wirklich zu einer Aufgabe von einzelnen Routen oder nur zu deren Bedeutungsverlust kam.
Die Bedeutung des Bandes können diese Punkte jedoch nicht schmälern; er lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Felder, die in der Handelsgeschichte wenig Beachtung gefunden haben - eben auf "interlopers", "small players" und illegale bzw. semi-legale Transfers. Die meisten Beiträge zeigen zahlreiche Möglichkeiten für weitere Forschungen auf, bündeln rezente historiographische Diskurse und liefern sehr vielschichtige Annäherungen an Aspekte vormodernen Handels und internationaler Transfers.
Georg Stöger