Kristin Lohse Belkin: Copies and Adaptations from Renaissance and Later Artists. German and Netherlandish Artists Volume One (= Corpus Rubenianum Ludwig Burchard; No. XXVI), Turnhout: Harvey Miller Publishers 2009, 2 vol.. 280 S., ISBN 978-1-905375-57-8, EUR 200,00
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Jeremy Wood: Copies and Adaptations from Renaissance and later Artists: Italian Artists. I. Raphael and his School (= Corpus Rubenianum Ludwig Burchard; XXVI), Turnhout: Harvey Miller Publishers 2010, 2 Bde., 703 S., ISBN 978-1-905375-39-4, EUR 180,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Kristin Lohse Belkin / Nico van Hout (eds.): ExtravagAnt! A forgotten chapter of Antwerp painting, 1500-1530, Antwerpen: Koninklijk Museum voor Schone Kunsten 2005
Kristin Lohse Belkin / Fiona Healy: A House of Art. Rubens as collector. With an introductory essay by Jeffrey M. Muller. Ausstellungskatalog Rubenshuis, Antwerpen 2004, Antwerpen: Rubenshuis & Rubenianum 2004
Die beiden hier zu besprechenden Bücher sind Resultat zweier bemerkenswerter Phänomene: einerseits Peter Paul Rubens' enormer künstlerischer Produktion nach Vorlagen anderer Meister und andererseits der kontinuierlichen, erfolgreichen Arbeit des Corpus Rubenianum und seiner Autorinnen und Autoren. Von keinem Maler haben sich mehr Werke erhalten, die Arbeiten anderer Künstler kopieren, adaptieren oder überarbeiten. Neben den vier Bänden von Belkin und Wood ist auch an die Abteilung des Corpus Rubenianum zu erinnern, die Rubens' Zeichnungen nach antiken Bildwerken gewidmet ist. [1] Belkin und Wood sind ausgewiesene Kenner der Materie. Erstere veröffentlichte 1978 den Band zu Rubens' sogenanntem Kostümbuch und wirkte federführend an mehreren Ausstellungen mit, die sich mit dem Themenkreis befassten. [2] Wood organisierte unter anderem eine Schau zu Rubens und Italien, die eine Anzahl von Werken aus dem vorliegenden Band zeigte. [3] Beide Autoren steuerten schließlich maßgeblich zur Münchener Ausstellung bei, die kürzlich Rubens' Rezeption Alter Meister präsentierte. [4]
Die Struktur der beiden Teile entspricht derjenigen früherer Bände des Corpus Rubenianum: Einem einleitenden Essay folgt der Katalog, ein separater Tafelband enthält die Abbildungen. Während Belkins Abteilung in sich geschlossen ist und Rubens' Rezeption deutscher und niederländischer Künstler bearbeitet, stellen Woods Bände lediglich den ersten, Raffael und seiner Schule gewidmeten Teil, dar. Zwei weitere Teile, in denen Tizian und Michelangelo im Zentrum stehen, sind unlängst erschienen. [5]
Beide Einleitungen sind weitaus mehr als das Wort "Introduction" verheißt. Sie stellen vielmehr umfassende Essays zu Rubens' Auseinandersetzung mit Werken anderer Künstler dar. Die enge Zusammenarbeit der Autoren hat erfreulicherweise dazu geführt, dass sich die Einleitungen auf das Beste ergänzen. Belkins Essay widmet sich unter anderem den verschiedenen Funktionen der Kopien und überarbeiteten Zeichnungen. Es wird deutlich, dass vor allem die frühen Zeichnungen (fast ausnahmslos Kopien, wenngleich mit Variationen) als Resultat künstlerischer Übung anzusehen sind. Zugleich dienten sie dem Aufbau und der Erweiterung des Figuren- und Kompositionsrepertoires. Einige der gemalten Kopien, speziell Porträts, waren offenbar für Sammler bestimmt, doch behielt Rubens mehrere dieser Arbeiten für sich selbst. Eine weitere Gruppe bilden Werke, in denen sich Rubens kreativ mit dem jeweiligen Vorbild auseinandersetzte, also etwa Figuren oder Kompositionen weiterentwickelte und in eigene Werke integrierte oder umwandelte.
Wood vertieft die Diskussion um die durch Rubens überarbeiteten, erweiterten oder lediglich retuschierten Zeichnungen zumeist namenloser Kopisten. Er plädiert dafür, sie aus dem Zwang der Frühdatierung in die italienische Zeit und die unmittelbar darauf folgenden Jahre zu befreien und über Rubens' gesamte Schaffenszeit zu verteilen. Der Meister veränderte in diesen Zeichnungen entweder einzelne Figuren (speziell deren Kontur), die Komposition oder die Verteilung von Licht und Schatten, also die Modellierung. Da datierte Retuschen von Rubens fehlen, vergleicht Wood die Zeichnungen mit den besser zu datierenden, überarbeiteten Entwürfen für druckgrafische Blätter nach Rubens' Gemälden. Dieser Abschnitt ist überdies ein erhellender Beitrag zur Rubensgrafik.
Wood führt mit Rubens' Praxis vergleichbare Überarbeitungen von Zeichnungen durch Erasmus Quellinus II und Jacob de Wit an. Beispiele für diese insgesamt spärlich nachgewiesene Praxis, die vor Rubens datieren, benennt er jedoch nicht. Es wäre zu fragen, woher Rubens diese Arbeitsweise kannte, wodurch sie inspiriert wurde oder ob er sie eigenständig entwickelte. Es kann kaum der Überlieferungszufall allein sein, der diese große Werkgruppe von Rubens heute so isoliert wirken lässt. Von Rembrandt etwa, der eine enorme Sammlung italienischer Druckgrafik besaß und wiederholt für eigene Figuren und Kompositionen darauf zurückgriff, haben sich nur wenige Zeichnungen nach italienischen Vorlagen, etwa nach Werken Mantegnas und Bellinis, erhalten. Überarbeitungen und Retuschen finden sich bei ihm nur auf Zeichnungen von seinen Schülern.
Die Kataloge erfüllen höchste Ansprüche. Woods Einträge zu den einzelnen Arbeiten gleichen bisweilen separaten Essays, die umfassend auch über die zugrundeliegenden italienischen Werke informieren; sie sind im besten Sinne erschöpfend. Belkins Katalognummern wirken straffer und konzentrierter, wohl auch, weil für die nordeuropäischen Vorlagen häufig eine weniger breite Sekundärliteratur zu bearbeiten war. Erstmals in der Corpus Rubenianum-Reihe enthalten die Kataloge am Ende eine überschaubare Anzahl von Einträgen zu abgelehnten Zuschreibungen an Rubens, allerdings - im Einklang mit den Statuten des Corpus - nur von Werken, die Ludwig Burchard unbekannt geblieben waren oder von ihm nicht bearbeitet wurden. Begründungen für die Ablehnung bleiben kurz und vage, wo sie überhaupt gegeben werden; Abbildungen dieser Werke fehlen. Die Büchse der Pandora wurde somit nicht ganz geöffnet, doch bleibt abzuwarten, ob sich diese Rubrik bei anderen Bänden bewähren wird.
Beide Autoren begründen ihre Sichtweise bezüglich der Zuschreibungen an Rubens gründlich und mit gebotener Zurückhaltung, insbesondere wo es sich um die durch Rubens überarbeiteten Zeichnungen handelt. Diese Gruppe, bei weitem die größte Abteilung in beiden Bänden, ist zugleich die schwierigste. Ausgehend von Arbeiten von Michael Jaffé, insbesondere aber von Anne-Marie Logan und Egbert Haverkamp Begemann, wurde eine große Anzahl von Blättern als von Rubens lediglich retuschiert erkannt, während sie zuvor meist als vollständig eigenhändige Kopien gegolten hatten. Christopher White hat kürzlich eingeräumt, dass in einzelnen Fällen die Zuschreibung minimaler Retuschen an Rubens noch stets einen "act of faith" erfordere - den White aufzubringen bereit ist. [6]
Ein grundlegender Nachteil der Corpus Rubenianum-Bände im Allgemeinen und der vorliegenden im Besonderen soll nicht verschwiegen werden, doch ist er nicht den Autoren anzukreiden. Obgleich dankenswerterweise beiden Bänden, anders als früheren in der Serie, eine Reihe von ausgezeichneten Farbtafeln beigegeben sind, ist die überwiegende Mehrheit der Werke - durch das handliche Format der Reihe bedingt - nur in verhältnismäßig kleinen Schwarz-Weiß-Abbildungen reproduziert. Dies ist bei ikonografischen Analysen meist ein hinzunehmender Nachteil, geht es jedoch um Zuschreibungen und Händescheidungen, in manchen Fällen allein minimaler Überarbeitungen, sind sie schlicht unzureichend, um die Argumentation der Autoren nachvollziehen zu können. Die Verantwortlichen im 'Rubenianum Fund', der seit 2010 wesentlich für die Finanzierung und damit die seither beeindruckend rasche Folge von Publikationen verantwortlich ist, sollten gemeinsam mit den Herausgebern und dem Verlag überdenken, ob nicht durchgehend farbige Bände diesem vorbildlichen und einmaligen Projekt der Rubensforschung angemessen und dienlich wären.
Die Bände von Belkin und Wood erschließen auf exemplarische Weise eine Gruppe von Werken, die für das Verständnis von Rubens, seiner Kreativität und seiner Bilderwelt von entscheidender Bedeutung sind. Sie belegen eindrucksvoll, wie im eigentlichen Sinne grundlegend und zugleich inspirierend Œuvrekataloge sein können. Arbeiten wie diese bleiben die unverzichtbare Basis kunsthistorischer Forschung.
Anmerkungen:
[1] Marjon van der Meulen: Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, XXIII. Copies after the Antique, 3 Bde., London 1994.
[2] Kristin Lohse Belkin: Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, XXIV. The Costume Book, Brüssel 1980; dies. / Carl Depauw: Images of Death. Rubens Copies Holbein. Ausst.-Kat. Rubenshuis, Antwerpen 2000; dies.: Een huis vol kunst. Rubens als verzamelaar. Ausst.-Kat. Rubenshuis, Antwerpen 2004.
[3] Jeremy Wood: Rubens. Drawing on Italy. Ausst.-Kat. National Gallery of Scotland Edinburgh / Djanogly Art Gallery, Nottingham 2002.
[4] Mirjam Neumeister / Christian Quaeitzsch (Hgg.): Rubens im Wettstreit mit Alten Meistern. Vorbild und Neuerfindung. Ausst.-Kat. Alte Pinakothek, München 2009-2010.
[5] Jeremy Wood: Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, XXVI. Copies and Adaptations from Renaissance and Later Artists, Teil 2: Italian Artists, Abteilung 2: Titian and North Italian Art, 2 Bde., London 2010; ders.: Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, XXVI. Copies and Adaptations from Renaissance and Later Artists, Teil 2: Italian Artists, Abteilung 3: Artists Working in Central Italy and France, 2 Bde., London 2011.
[6] Christopher White: Rezension von Kristin Lohse Belkin: Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, XXVI: Copies and Adaptations from Renaissance and Later Artists, Bd. 1: German and Netherlandish Artists, 2 Bde., London 2009, in: Master Drawings 47 (2009), 379-381, 379 (Zitat).
Christian Tico Seifert