Rezension über:

Silvio Carella: Architecture religieuse haut-médiévale en Italie Méridionale. Le diocèse de Bénévent (= Bibliothèque de l'Antiquité tardive; 18), Turnhout: Brepols 2011, 260 S., ISBN 978-2-503-53388-9, EUR 65,00
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Rezension von:
Almuth Klein
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Tobias Kunz
Empfohlene Zitierweise:
Almuth Klein: Rezension von: Silvio Carella: Architecture religieuse haut-médiévale en Italie Méridionale. Le diocèse de Bénévent, Turnhout: Brepols 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/05/20259.html


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Silvio Carella: Architecture religieuse haut-médiévale en Italie Méridionale

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Mit dem achtzehnten Band der Reihe zur spätantiken Kunst ist nach Hugo Brandenburgs Werk zum frühen römischen Kirchenbau nun die zweite Monographie zur Architektur auf der italischen Halbinsel entstanden. Den größten Teil der Arbeit nimmt ein Katalog ein, dem in zwei knappen Kapiteln ein historischer Abriss und zugleich eine Einführung in den Forschungsstand sowie einleitende Worte zur Struktur des Buchs vorangestellt sind. Der Katalog selbst ist alphabethisch nach Städten geordnet, die innerhalb der Grenzen der Diözese Benevent, wie sie 926 in der Bulle Papst Johannes XIII. definiert wurde (7), liegen. Zu den bekannteren zählen die Stadt Benevent, der Monte Cassino, Montesantangelo und San Vincenzo al Volturno. Zumeist sind unter den 14 hier aufgeführten Städten und Ortschaften mehrere Kirchen in der Reihenfolge ihres Ranges aufgeführt. Die einzelnen Katalogeinträge beinhalten in der Regel einen kurzen Abriss der jeweiligen Forschungsgeschichte, die Nennung von schriftlichen Erwähnungen und des Erhalts von Sachquellen sowie Angaben zum Erhaltungszustand des Baus, gefolgt von einer Beschreibung von Grundriss und aufgehendem Mauerwerk, der Mauertechnik, der Ausstattung, des Baudekors mit der Malerei - soweit vorhanden - und den späteren Veränderungen und Anbauten. Die Abschnitte enden jeweils mit einem abschließenden "Kommentar", der sowohl aus einer knappen zeitlichen Einordnung der Anlage bzw. einer Korrektur von bereits vorgenommenen Datierungen bestehen kann, als auch aus einem längeren Exkurs, in dem sich der Autor intensiv mit älteren Restaurierungen, wie im Fall der Sophienkirche von Benevent (45-55), und der Forschungsgeschichte auseinandersetzt.

Dem Katalog schließen sich eine "Étude technique" und eine "Étude formelle" an. In der Studie zur Technik zählt Silvio Carella die an den Bauten vorkommenden Materialien, die Arten des Mauerwerks und der Fußböden, Baudekor, Arkadenformen, Gewölbeformen, Dachstühle und Dachdeckungen sowie die verwendeten Maßeinheiten auf; in der formalen Untersuchung entwickelt er unterschiedliche Typologien (der Bautypen, Dachformen, Querhäuser, Schiffsbildungen, Krypten, Vorhallen, Baptisterien, liturgischen Einrichtungen und Dekore). Den Abschluss bildet ein recht allgemein gehaltenes Kapitel zur politischen Rolle und zur sozialen Funktion der beneventanischen Kirchen.

Bei den in den Katalog aufgenommenen Bauwerken handelt es sich größtenteils um wenig bekannte Kirchen, die in der für Reisende entlegenen und auch von der kunsthistorischen Forschung kaum beachteten Region des nördlichen Kampanien und Apulien an der Grenze zum Molise vom 6.-9. Jahrhundert errichtet wurden. Während es sich bei einem Teil der besprochenen Kirchen um in Dimensionen und künstlerischem Anspruch eher bescheidene Bauwerke handelt, spielen andere in der Architekturgeschichte eine bedeutendere Rolle, die allerdings in der Forschungsliteratur bislang nicht den angemessenen Niederschlag gefunden hat. Neben dem in vielen Publikationen aufgenommenen, aber dennoch vor allem für seine Frühzeit noch nicht ausreichend erforschten Klosterkomplex von Montecassino sind dies vor allem das Michaelsheiligtum auf dem Monte Gargano, das von Montecassino nicht weit entfernte Kloster San Vincenzo al Volturno sowie die Kathedrale von Benevent und die ebenfalls innerhalb der Stadtmauern stehende ehemalige Hofkirche Santa Sofia. Während in Volturno bereits im 19. Jahrhundert und vor allem in den 60er, 70er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts umfangreiche Grabungen stattgefunden haben und die Bautengruppe bestens erforscht zu sein scheint und auch das Heiligtum des Erzengels Michael Montesantangelo vor allem in jüngeren Publikationen [1] stärker gewürdigt wurde, ist dies im Fall der beiden wichtigsten beneventanischen Kirchen bislang weitgehend ausgeblieben.

Die umfangreiche Arbeit, die eine weitgehend unbeachtete Region des frühmittelalterlichen Italiens in den Blickpunkt der Forschung stellt, gibt mit ihrem ausführlichen Katalog einen guten Überblick über Geschichte und Forschungsstand der behandelten Bauten. Innerhalb der einzelnen Einträge versucht der Autor in der gegebenen Kürze die Bauten auf verständliche Weise darzustellen, was bei vorliegender Publikation umso wichtiger ist, als die Abbildungen in Größe und Qualität dies zumeist nicht leisten können.

Auf den sehr informativen Katalogteil folgt mit der "Étude technique" eine Aufzählung der verwendeten Materialien und Bauglieder (Verputzungen, Säulen, Bögen, Gewölbe etc.) sowie der angewandten Bautechniken. Da dies letztlich eine Auswertung des eigenen Katalogs ist, stellt sich dem Leser die Frage nach der Notwendigkeit eines solchen Kapitels, das nur insofern Neues bringt, als die verschiedenen Mauertechniken kurz beschrieben werden, bevor ihnen Beispiele zugeordnet werden. Das Ergebnis dieser Aufstellung, dass im beneventanischen Kirchenbau des behandelten Zeitraums antike Techniken fortgesetzt wurden und es zu keinen wesentlichen Neuerungen gekommen ist, hätte möglicherweise knapper dargestellt werden können und bietet streng genommen keine wissenschaftliche Neuerkenntnis. In noch stärkerem Maße gilt dies für die darauf folgende "Étude formelle", in der der Autor typologische Vergleiche und Abhängigkeiten über den gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus erstellt. Dieser wohl doch etwas zu weit gesteckte Blick führt etwa im Fall der Kirche von Prata, für die es keinerlei Schriftquellen zu geben scheint und die der Autor mitsamt ihren Fresken sehr früh, nämlich ins 8. Jahrhundert datiert [2], zu der abwegigen Einschätzung, es handele sich hier um den ersten voll entwickelten Chorumgang, der von der bescheidenen Anlage in Prata ausgehend seine bekannte Verbreitung im gesamten westlichen Abendland genommen habe (186). Zu solchen Fehlinterpretationen kommt es nicht zuletzt dadurch, dass für einzelne Fragestellungen wichtige, vor allem deutschsprachige Publikationen überhaupt nicht beachtet wurden. [3]

Silvio Carella ließ seine Dissertation in der Reihe "Bibliothèque de l'antiquité tardive" des Brepols Verlags im dort üblichen Format drucken. Dies bedeutet leider auch, dass seine zahlreichen Fotografien und Pläne trotz des großzügigen Papierformats lediglich Spaltenbreite, teilweise sogar nur die halbe Breite einer Spalte besitzen und dadurch seine Argumentation nur wenig unterstützen, teilweise kaum illustrieren können. Ein weiterer - formaler - Kritikpunkt, der den insgesamt jedoch guten Eindruck der Publikation beeinträchtigt, ist die offensichtlich nicht erfolgte Lektorierung des Textes, in dem es zahlreiche orthografische, sprachliche sowie Fehler in Layout und Satz gibt, die allzu deutlich ins Auge fallen.

Diese Abstriche fallen aber nur deshalb so sehr ins Auge, weil die Publikation ansonsten erfreulich und gegen eine in der derzeitigen Forschung zur mittelalterlichen Architektur allzu häufig zu beobachtende Tendenz gerichtet ist. Silvio Carella bringt teilweise hochbedeutende Bauten einer nahezu unerforschten Region neu oder gar erstmalig ins Gespräch - eine Leistung, die in einer Zeit, in der die Schere zwischen bestens erforschten Objekten und gänzlich unbeachteten immer größer wird, kaum zu überschätzen ist.


Anmerkungen:

[1] Etwa Andrea Schaller: Der Erzengel Michael im frühen Mittelalter. Ikonographie und Verehrung eines Heiligen ohne Vita (= Vestigia bibliae, 26/27), Diss. Hamburg 2002, Bern 2006; oder Pierre Bouet (a cura di): Culto e santuari di san Michele nell'Europa medievale. Atti del congresso internazionale di studi (Bari - Monte Sant'Angelo, 5 - 8 aprile 2006), Bari 2007.

[2] Vgl. die Datierung von Hans Belting ins 9. Jahrhundert: Hans Belting: Studien zur beneventanischen Malerei (= Forschungen zur Kunstgeschichte und Christlichen Archäologie, 7), Wiesbaden 1968, 64.

[3] So zum Beispiel die beiden für das in der Étude formelle verankerte Kapitel über die Krypten wichtigen Dissertationen von Jost Kraft: Die Krypta in Latium, Diss. München 1978 und Hans-Peter Glimme: Die Krypten in England. Eine Architekturform und ihre kirchengeschichtlichen Bezüge, Diss. Marburg 1994, Weimar 1995.

Almuth Klein