Rezension über:

David Monteyne: Fallout Shelter. Designing for Civil Defense in the Cold War (= Architecture, Landscape, and American Culture Series), USA: University of Minnesota Press 2011, XXI + 351 S., zahlreiche s/w-Abb., ISBN 978-0-8166-6976-9, USD 27,95
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Rezension von:
Christoph Laucht
School of History, University of Leeds
Redaktionelle Betreuung:
Henning Engelke
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Laucht: Rezension von: David Monteyne: Fallout Shelter. Designing for Civil Defense in the Cold War, USA: University of Minnesota Press 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/05/20450.html


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David Monteyne: Fallout Shelter

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Seit einigen Jahren ist dem US-amerikanischen Zivilschutzprogramm zur Zeit des Kalten Krieges großes wissenschaftliches Interesse zuteilgeworden. [1] Dabei kam dem Zivilschutzbunker zentrale Bedeutung zu. [2] Mit seiner Monografie Fallout Shelter: Designing for Civil Defense in the Cold War schließt David Monteyne an diese Studien an. Sein Buch baut konzeptionell vor allem auf den Arbeiten der Theaterhistorikerin Tracy Davis, die den performativen Charakter von Zivilschutzprogrammen herausstellte sowie des Soziologen Henri Lefebvre und seinem Konzept der Raumerzeugung durch Performanzen und ihrer Interaktion mit der Kulisse auf. [3] Dabei liefert der kanadische Architekturhistoriker und Kulturwissenschaftler aber weniger eine orthodoxe Abhandlung zur architektonischen Geschichte des Fallout Shelter oder eine weitere Studie zur Archäologie Kalten Krieges als vielmehr einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte von Raum und Räumlichkeit in diesem dominanten Konflikt der Nachkriegszeit. [4]

Das Buch enthält neben einer Einleitung, die einen kurzen Überblick über den methodologischen Ansatz und Fokus der Studie liefert, sieben Hauptkapitel, die thematisch gegliedert sind und aufeinander aufbauen, sowie abschließend einen Epilog. Das erste Hauptkapitel befasst sich mit Zivilschutzmaßnahmen in städtischen und vorstädtischen Räumen während der 1950er-Jahre. Wie im gesamten Werk bettet Monteyne seine Ausführungen zum Zivilschutz höchst effektiv in den Kontext der amerikanischen Stadt- und Architekturgeschichte ein. Hatte Mary Kaldor den Kalten Krieg im Ganzen und Guy Oakes den Zivilschutz im Besonderen jeweils als einen "imaginären Krieg" ("imaginary war") bezeichnet [5], vertieft Monteyne diesen Gedanken durch die Einführung des Begriffes des "imagineering" (21-33). Damit bezeichnet der Autor die von Architekten durchgeführten Planungen für Baumaßnahmen zur Steigerung der Überlebensfähigkeit größerer Teile der amerikanischen Bevölkerung im Falle eines oft als unausweichlich empfundenen Atomkrieges. Als eines der markantesten Beispiele für "imagineering" nennt Monteyne die unter Mitwirkung von Architekten von der Federal Civil Defense Administration nahe Washington DC errichtete idealtypische Hauptstraße ("Rescue Street") der Beispielstadt ("Sample City"), wo unter möglichst "realen" Bedingungen der Einsatz des Zivilschutzes nach einem Atomangriff geübt werden konnte. Monteyne leistet so einen wichtigen Beitrag zur weiteren Konzeptionalisierung des Kalten Krieges als einen "imaginary war".

Das zweite Kapitel untersucht die Rolle des National Fallout Shelter Survey, das ab 1961 das Rückgrat für die Zivilschutzplanungen in den Vereinigten Staaten bildete, für das nationale Programm zum Bau von Zivilschutzräumen und dem Schutz vor radioaktivem Fallout während der 1960er-Jahre. Dabei wirkte das American Institute of Architects (AIA), der Dachverband amerikanischer Architekten, eng mit dem neu gegründeten Office of Civil Defense (OCD) zusammen. Hier geht Monteyne u.a. auf die Implementierung dieser Pläne ein und zeigt beispielsweise, wie die Öffentlichkeit mithilfe des markanten "Fallout Shelter Sign" - einer Ikone des Atomzeitalters - auf die neuen Zivilschutzräume aufmerksam gemacht werden sollte. Im folgenden Kapitel geht es um die Benutzung der aus dem National Fallout Shelter Survey gewonnenen Daten bei der Planung öffentlicher Zivilschutzräume durch lokale Stadt- und Landesbehörden. Während der 1960er-Jahre, so Monteyne, stellte der Zivilschutz so "eine wichtige Linse" dar, durch die Architekten und Städteplaner urbane Zentren in den Vereinigten Staaten wahrnahmen (81). Kapitel vier beleuchtet dann die Rolle von Architekten als "Design Intellectuals" im Dienste des Zivilschutzes. Nicht jeder Architekt stellte sein Können aber bereitwillig in den Dienst des Zivilschutzes, und diese vom AIA getragene Zusammenarbeit mit Regierungsstellen wurde mitunter sogar kontrovers unter ihren Mitgliedern diskutiert.

Die daran anschließenden Kapitel fünf und sechs befassen sich mit der Umsetzung dieser Planungen in konkrete Baumaßnahmen und offenbaren, wie die von Laura McEnaney beschriebene Militarisierung des Alltagslebens durch den Zivilschutz auch in der Architektur ihren Ausdruck fand. [6] Im fünften Kapitel untersucht der Autor eine Reihe von der US Regierung initiierter Kampagnen wie Architekturwettbewerbe, Publikationen oder Konsultationsverfahren, mit denen Architekten sowohl über den Sinn und Zweck des Zivilschutzes aufgeklärt als auch zur aktiven Mitarbeit daran gewonnen werden sollten. Kapitel sechs beschäftigt sich zum einen mit öffentlichen Zivilschutzräumen und zum anderen mit lokalen Kommandozentralen des Zivilschutzes. Laut Monteyne zeugte gerade der "dual purpose" vieler öffentlicher Gebäude wie Schulen, die neben ihrer Hauptaufgabe auch noch öffentliche Zivilschutzräume bereitstellten, von einer hohen "preparedness" für einen möglichen Atomkrieg. Zugleich kam es unter Architekten und Architekturstudenten während der 1960er-Jahre verstärkt zu Protesten gegen die enge Verquickung des AIA und des OCD. Das siebte und letzte Hauptkapitel bietet mit einer Fallstudie der Boston City Hall eine eindrucksvolle Analyse aller von Monteyne in den vorangehenden Kapiteln ins Feld geführten Hauptargumente. In einem abschließenden Epilog weist der Autor kurz auf Entwicklungen im weiteren Verlauf des Kalten Krieges hin.

Monteynes Studie basiert auf einer Vielzahl verschiedener Quellen, die neben Archivalien wie Konstruktionszeichnungen und Regierungsdokumenten ebenso Aufklärungsfilme des Zivilschutzes und illustrierte Magazine wie Life oder Collier's einschließt. Als äußerst positiv müssen auch die zahlreichen Illustrationen hervorgehoben werden, die nicht nur der Veranschaulichung vieler von Monteyne vorgebrachter Argumente dienen, sondern den Leserinnen und Lesern auch den Zugang zum Thema immens erleichtern. Mit Fallout Shelter leistet David Monteyne einen wichtigen Beitrag zur Historiografie des Kalten Krieges. Es ist davon auszugehen, dass sich seine Monografie in kurzer Zeit auf den Leselisten und in den Seminarapparaten von Kursen und Seminaren zur Kultur- und Sozialgeschichte des Kalten Krieges und des Atomzeitalters finden dürfte.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Dee Garrison: Bracing for Armageddon: Why Civil Defense Never Worked, New York 2006; Andrew Grossman: Neither Dead Nor Red: Civilian Defense and American Political Development During the Early Cold War, New York 2001; David F. Krugler: This Is Only a Test: How Washington D.C. Prepared for Nuclear War, New York 2006.

[2] Vgl. Kenneth D. Rose: One Nation Underground: The Fallout Shelter in American Culture, New York / London 2001; Inge Marszolek / Marc Buggeln (Hgg.): Bunker: Kriegsort, Zuflucht, Erinnerungsraum, Frankfurt am Main / New York 2008.

[3] Tracy C. Davis: Stages of Emergency: Cold War Nuclear Civil Defense, Durham 2007; Henri Lefebvre: La Production de l'Espace, Paris 1974.

[4] Vgl. Tom Vanderbilt: Survival City: Adventures among the Ruins of Atomic America, New York 2002.

[5] Mary Kaldor: The Imaginary War: Understanding the East-West Conflict, Oxford 1990; Guy Oakes: The Imaginary War: Civil Defense and American Cold War Culture, New York 1994.

[6] Laura McEnaney: Civil Defense Begins at Home: Militarization Meets Everyday Life in the Fifties, Princeton 2000.

Christoph Laucht