Sacha Zala (Bearb.): Diplomatische Dokumente der Schweiz - Documents Diplomatiques Suisses - Documenti Diplomatici Svizzeri. Band 23: 1.1.1964 - 31.12.1966 (= Kommission für die Veröffentlichung diplomatischer Dokumente der Schweiz; Bd. 23), Zürich: Chronos Verlag 2011, LXVIII + 499 S., ISBN 978-3-0340-1082-5, EUR 64,00
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Im Rahmen der Aktenedition Diplomatische Dokumente der Schweiz (DDS) werden Quellen zur helvetischen Außenpolitik im Zeitalter des Kalten Krieges (1945-1989) publiziert. Die methodische Besonderheit der DDS besteht darin, dass es sich um die Verbindung eines Editionsbandes mit einer Online-Datenbank handelt. Die in der gedruckten Fassung vorgestellten Quellen vermitteln exemplarisch einen Überblick über wichtige außenpolitische Themen der Zeit. Sie sind zudem zusammen mit weiterführenden Dokumenten, auf die im Editionsband verwiesen wird, in der Internetdatenbank Dodis abrufbar (http://www.dodis.ch).
Der Band 23 umfasst die Jahre 1964 bis 1966. Wie der Leiter der Forschungsgruppe, Sacha Zala, in der Einleitung hervorhebt, gab es aufgrund des Neutralitätsdiskurses im Kalten Krieg eine "starke Kontinuität der Grundzüge der Außenpolitik" [XXXI]. Das zeigte sich insbesondere mit Blick auf den institutionellen europäischen und globalen Bezugsrahmen. Das Nichtmitglied Schweiz hielt ihre distanzierte Haltung sowohl zu den Vereinten Nationen (VN) als auch zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bei. In einem Gespräch mit VN-Generalsekretär U Thant am 30. August 1964 erklärte der Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD), Außenminister Friedrich Traugott Wahlen, für den Beitritt seines Landes gebe es in einer obligatorischen Volksabstimmung keine Mehrheit. Die ablehnende Haltung der Bevölkerung sah er auch in den negativen "Erfahrungen mit dem Völkerbund" begründet (http://www.dodis.ch/31553).
Vor dem Hintergrund der Debatte über ein mögliches neues britisches Beitrittsgesuch wurde auch in Bern über die europäische Integration diskutiert. Überlegungen hinsichtlich einer Annäherung der Schweiz an die EWG erteilte Wahlens Nachfolger Willy Spühler in einer Rede auf der Tagung der European Free Trade Association (EFTA) am 27. Oktober 1966 mit Verweis auf die Schweizer Neutralität jedoch eine Absage ( http://www.dodis.ch/31640).
Die Schweiz verfolgte weiterhin eine zurückhaltende Außenpolitik. Reisen von Bundesräten ins Ausland sollten auf ein Minimum beschränkt bleiben, wie es in einer Aufzeichnung des EPD hieß: "Der Schweizer hat einen Horror vor allzu beweglichen Leuten und vor politischem Geschwätz. [...] Bleiben wir also bei unserer diskreten und seriösen Diplomatie, und diese eignet sich nicht für spektakuläre Besuchsreisen" (http://www.dodis.ch/31628).
Eine diplomatische Niederlage auf multilateraler Ebene musste die Eidgenossenschaft im von ihr mitbegründeten Weltpostverein mit Sitz in Bern hinnehmen. Als Folge der Dekolonisierung hatten sich die Stimmgewichte im Entscheidungsgremium verschoben, so dass erstmals nicht der Kandidat der Schweiz, sondern ein Ägypter zum Weltpostdirektor gewählt wurde. Diese Entwicklung sei unausweichlich, wie Bundesrat Spühler am 27. Juni 1966 gegenüber den Abgeordneten des Nationalrats erläuterte: "Durch die von Jahr zu Jahr größer werdende Zahl der unabhängigen Staaten [...], haben diese Institutionen einen ungeahnten Zuwachs an Mitgliedern erfahren und sind zu weltumspannenden Organisationen geworden. Dadurch hat sich ihr Charakter gewandelt. Ein neuer Geist hielt Einzug [...]. Die Zeit der Monopolansprüche einzelner Staaten ist endgültig vorbei" (http://www.dodis.ch/31585).
Breiten Raum in der Edition nimmt das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland, mit der Bern seit 1952 diplomatische Beziehungen unterhielt, und zur nichtanerkannten DDR ein. Die Anerkennungsfrage und der Umgang mit den sogenannten geteilten Staaten Deutschland, China, Vietnam und Korea stellte die neutrale Schweiz vor prinzipielle Probleme, wie in einer Notiz des EPD vom 5. Oktober 1964 ausgeführt wurde: "Infolge der ultimativen Haltung der rivalisierenden Regierungen sehen oder sahen wir uns in diesen Fällen [...] vor die Wahl gestellt, entweder überhaupt mit keiner Seite offiziell zu verkehren oder uns in nüchterner Abwägung der schweizerischen Interessen für die diplomatische Anerkennung der einen oder der anderen Hälfte zu entscheiden" (http://www.dodis.ch/31039).
Diese Interessenabwägung bestimmte im deutschen Fall das vorsichtige Agieren Berns gegenüber Ost-Berlin. So riet das EPD dem Direktor der Zentrale für schweizerische Handelsförderung zu Vorsicht bei Kontakten mit DDR-Vertretern: "Die ostdeutschen Behörden versuchen immer wieder mit allen Mitteln, einer de facto Anerkennung ihres Staates durch die Schweiz näher zu kommen" (http://www.dodis.ch/31183). Darüber hinaus wurde in einem Rundschreiben der Berner Zentrale den Schweizer Diplomaten im Ausland "besondere Zurückhaltung [...] gegenüber den Vertretern der DDR" empfohlen (http://www.dodis.ch/30915).
Gleichzeitig musste die Schweiz aber auch ihre außenpolitische Neutralität in der deutschen Frage wahren, was zu paradoxen Entwicklungen führen konnte. So hatte sich die bundesdeutsche Botschaft in Bern im Mai 1965 an das Grundbuchamt der Stadt gewandt, um die Eigentumsbezeichnung des Botschaftsgeländes im Grundbuch von Deutsches Reich in Bundesrepublik Deutschland abändern zu lassen. Das Grundbuchamt verwies die Botschaft an das Politische Departement, denn bei der Namensänderung handelte es sich nicht um eine bürokratische, sondern um eine politische Frage. Entsprechend wurde in einer internen Notiz des EPD vom 22. Dezember 1965 darauf hingewiesen, "dass die Bundesrepublik von der Schweiz nicht als Gesamtnachfolger des Deutschen Reiches anerkannt wird", wie bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik von Schweizer Seite bereits hervorgehoben worden sei. In diesem Sinne werde auch "das von der Bundesrepublik in Anspruch genommene Alleinvertretungsrecht für Gesamtdeutschland von den Bundesbehörden abgelehnt" (http://www.dodis.ch/31216). Ein mögliches bundesdeutsches Gesuch solle daher abschlägig behandelt werden.
Im Verhältnis zur Bonner Regierung spielte darüber hinaus ein Thema eine Rolle, das auch heute wieder in den Schlagzeilen ist, nämlich die Finanzbeziehungen und das Schweizer Bankgeheimnis. Vor dem Hintergrund von Verhandlungen mit der Bundesrepublik über ein neues Abkommen zur Doppelbesteuerung erläuterte der Vizedirektor der eidgenössischen Steuerverwaltung, Kurt Locher, in einer vertraulichen Ausschusssitzung des Ständerats, "Deutschland beschwert sich über die Steuerflucht nach der Schweiz und belegt diese mit zahlenmäßigen Angaben, die kaum bestritten werden können." Wie der Vizedirektor weiter ausführte, seien bereits Anfang der sechziger Jahre "von sozialdemokratischer Seite im Deutschen Bundestag Vorstöße gegen die Abwanderung deutscher Steuerpflichtiger in die Schweiz und die Verlagerung von Vermögenswerten nach unserem Lande erfolgt" (http://www.dodis.ch/31445).
Als weitere Besonderheit enthält der Editionsband eine Übersicht aller bislang von der Verwaltung abgelehnten Einsichtsgesuche. [1] Ein umfangreiches Personen-, Körperschafts- und Ortsregister erleichtert zudem die Orientierung. Insgesamt entsteht bei der Lektüre der Dokumente ein facettenreiches Bild der Schweiz, die bereits im Zeitalter des Kalten Krieges eng und auf vielfältige Weise mit dem Ausland vernetzt gewesen ist. Insbesondere Examenskandidaten oder jüngeren Forschern, die häufig nicht so mobil sind, gibt die Verbindung von Editionsband und Datenbank die Möglichkeit, ihre Abschluss- oder Qualifizierungsarbeiten komplett quellengestützt zu verfassen. Die internationale Geschichte unseres Nachbarlandes, so zeigt der Band 23 der Diplomatischen Dokumente der Schweiz, bietet hierzu eine Vielzahl interessanter Themenfelder.
Anmerkung:
[1] Auch verfügbar unter: http://www.dodis.ch/dds/BGA
Philip Rosin