Christiane Holm / Holger Zaunstöck (Hgg.): Frauen und Gärten um 1800. Weiblichkeit - Natur - Ästhetik, Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2009, 120 S., ISBN 978-3-89812-647-2, EUR 12,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Markus Friedrich / Holger Zaunstöck (eds.): Jesuit and Pietist Missions in the Eighteenth Century. Cross-Confessional Perspectives, Wiesbaden: Harrassowitz 2022
Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hgg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung, Tübingen: Niemeyer 2003
Thomas Müller-Bahlke / Holger Zaunstöck (Hgg.): Das Ansehen der Stadt. Halle in historischen Ansichten, Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle 2009
Garten- und geschlechtertheoretische Debatten waren um 1800 eng miteinander verbunden. Dabei befanden sich beide Bereiche im Umbruch. Die Frauenrollen änderten sich aufgrund des Verfalls des "ganzen Hauses" und der Assoziation des weiblichen Geschlechts mit der Privatsphäre, die sowohl die Minderwertigkeit der Frauen als auch ihre Überhöhung als "schöne Seelen" begründete. Die Gartenideale wandelten sich ebenfalls aufgrund des veränderten sozialen Kontextes, der Empfindsamkeit und der Landschaftsgartenmode. Die wechselnden Diskurse über Frauen und Gärten boten insofern um 1800 die Gelegenheit, das Verhältnis von Natur und Kultur neu zu verhandeln und in Szene zu setzen. Die hier versammelten Aufsätze untersuchen diesen ästhetischen und sozialen Zusammenhang aus natur-, literatur- und kunstwissenschaftlicher Perspektive.
Der Beitrag Claudia Klingers theoretisiert am Beispiel des Romans Julie oder Die neue Héloïse von Jean-Jacques Rousseau die Funktion des Gartens als Zwischenraum, der Haus und Außenwelt, Familienbereich und Öffentlichkeit verbindet. Im Kontext der Modernisierung habe sich der Garten vom Abbild zum Gegenbild und Vorbild der Gesellschaft entwickelt. Am Modell des Gartens versuchten Rousseau und seine Nachfolger, die von der Unvereinbarkeit der natürlichen Freiheit und gesellschaftlichen Ordnung verursachten Ambivalenzen durch einen emotionalen, subjektiven und ästhetischen Zugang zur Natur zu lösen. Die Naturalisierung der Frau im privaten Garten stand im Mittelpunkt dieses Lösungsvorschlags. Allerdings diente diese Naturalisierung letztendlich der sich artifizialisierenden Gesellschaft, wie Klinger nachdrücklich in ihrer Analyse des Erhabenheitsdiskurses sowie des Diskurses von der Gemeinschaftlichkeit der schönen Seelen zeigt. Ob jedoch der geschlossene Garten Julies mit seinen rokokohaften Illusionen trotz seiner Vereinnahmung durch spätere "Gartenrevolutionäre" und der Erwähnung Stowes unmittelbar als Ausdruck früher Landschaftsgartenideale angesehen werden kann, scheint mir angesichts der Rousseauschen Kritik an allegorischen Programmen, wie sie für Stowe charakteristisch waren, fragwürdig.
Den Einfluss der Botanik-Briefe Rousseaus beschreibt Alison E. Martin. Trotz Hindernissen, die sich durch den Gebrauch des Lateins als Wissenschaftssprache und durch die (damals als ungehörig empfundene) Klassifizierung der Pflanzen nach ihrem Geschlecht ergaben, gelang es Rousseau und seinen Nachfolgern, das Botanisieren als weibliche Beschäftigung zu legitimieren. August Batschs anspruchsvolle Botaniklehrbücher für Frauen zeigen, wie die Teilhabe der Frauen an der Wissenschaft über die diskursive Verbindung von Haushaltsführung und Wissenserwerb sowie über den Vergleich der Pflanzen- und Tierwelt ermöglicht wurde.
Christiane Holm untersucht die Tradition der Analogie zwischen Leiblichkeit und Garten und zeigt die Problematisierung der Bildung und natürlichen Entwicklung von Frauen in Gärten am Beispiel der Romane Wilhelmine Karoline von Wobesers, Caroline Auguste Fischers und Therese Hubers auf. Das Verhältnis der Romanprotagonistinnen zum Garten als symbolischem und sozialem Ort der Frau - insbesondere die Überschreitung seiner Grenze, die Trostsuche im Garten oder die Ablehnung der Gärtnerinnenrolle - gibt über epochenspezifische Konventionen, aber auch über Entgrenzungsphantasien Auskunft.
Während die Auseinandersetzung mit Rousseau die ersten drei Beiträge verbindet, sind die weiteren vier der Fürstin Louise von Anhalt-Dessau gewidmet. Insgesamt ist beiden Beitragsgruppen die Identitäts- und Repräsentationsproblematik im Zeitalter einer Schwächung des Allegorischen gemeinsam, auch wenn diese Gemeinsamkeit in der Einleitung nicht explizit reflektiert wird.
Annette Dorgerloh analysiert die repräsentativen Bildinszenierungen der Fürstin, unter anderem vor der Wörlitzer Gartenkulisse. Dabei stellt sie die Bildnisse in den Kontext der Sehnsucht nach der arkadischen Lebensform, der Tradition der Gartengräber, des Geschichtsbewusstseins des Fürstenhauses und des empfindsamen Freundschaftskultes. So kann sie überzeugend nachweisen, dass auch repräsentative Kompositionen subjektive Erfahrungen der Auftraggeber einfließen lassen konnten.
Petra Schmidt wertet erstmals die Tagebücher der Fürstin in Hinblick auf ihre Landschaftserlebnisse aus. Auf ihren Reisen nach England, Italien und der Schweiz verband Louise die empfindsame Naturbetrachtung mit der analytischen Reflexion des Wahrnehmungsaktes. Durch die Wahrnehmung freier Landschaften nach dem Muster der Landschaftsgärten oder der Schweizer Landschaften schuf sie sich einen arkadischen Zusammenhang, den sie mit utopischen Glücksgefühlen verbinden konnte.
Bettina Baumgarten beschreibt die symbolische Funktion des Amor-und Psyche-Mythos im Wörlitzer und Weimarer Kontext, wo dieser zunehmend im Sinne einer über die irdischen Laster siegenden "schönen Seele" gedeutet wurde. Sowohl die Fürstin als auch die von ihr geschätzte Malerin Angelika Kauffmann, die in mehreren Werken die "Schwellenfigur" Psyche dargestellt hat, beteiligten sich an der klassischen Bereinigung des Mythologischen durch Vermenschlichung und Minderung des allegorischen Gehaltes. Gleichzeitig werden auch hier die Ambivalenzen der kreativen weiblichen Partizipation an der kulturellen Selbstverständigung der Männer verdeutlicht.
Während etwa im Bereich der englischen Kulturgeschichte das Verhältnis von Frauen und Gärten um 1800 häufig erforscht worden ist, war dies bislang für den deutschen Sprachraum seltener der Fall. Insofern leistet der Band einen beachtlichen Beitrag zur Theoretisierung der Problematik, wenn auch keinen eigentlichen Überblick. Die allzu starke Fokussierung auf die Fürstin des Gartenreiches ist der Tatsache geschuldet, dass die zugrundeliegenden Vorträge auf der Jahrestagung der Dessau-Wörlitz-Kommission 2008 mit Anbindung an eine Ausstellung über die Fürstin Louise gehalten worden sind. Dagegen werden gartengestalterisch einflussreichere Figuren wie Wilhelmine von Bayreuth, Caroline von Hessen-Darmstadt oder Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach nur am Rande, und Charlotte Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg trotz Hinweis auf die Gothaer "Konkurrenz" gar nicht erwähnt. Die Schriftstellerin Friederike Brun spielt nur als Reisegefährtin der Fürstin Louise eine Rolle, ohne dass auf ihren Landschaftsgarten Sophienholm eingegangen wird. Dafür werden allerdings weniger bekannte Botanikerinnen zu Recht in den Vordergrund gerückt. Man vermisst jedoch einen Überblick über die vorangegangene Entwicklung des Frauenbildes im Gartenkontext des 18. Jahrhunderts, von der Hausmütterliteratur zum tugendhaften und gelehrten "Frauenzimmer" der moralischen Wochenschriften und schließlich zur empfindsam-ästhetischen Dilettantin.
Eine systematischere Behandlung des Zusammenspiels von Weiblichkeit und Naturästhetik bleibt weiterhin ein Forschungsdesiderat. Diese hätte auch auf die ausführenden Gärtnerinnen aus niedrigen Gesellschaftsschichten einzugehen. Dennoch liefern die Beiträge dieses Bandes nicht nur viele Einzelerkenntnisse, sondern auch wissenschaftlich differenzierte und überzeugende theoretische Reflexionen. Darum wird die spätere Forschung nicht davon absehen können.
Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann