Claudia Dittmar: Feindliches Fernsehen. Das DDR-Fernsehen und seine Strategie im Umgang mit dem westdeutschen Fernsehen (= Bd. 15), Bielefeld: transcript 2010, 492 S., ISBN 978-3-8376-1434-3, EUR 34,80
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Seit dem Ende der DDR sind viele Publikationen zum Fernsehen der DDR erschienen, vorwiegend Zeitzeugenberichte oder Darstellungen von Programminhalten. Das permanente Konkurrenzverhältnis zum Pendant im Westen wurde jedoch bislang kaum thematisiert. Das Einmalige an dieser Konkurrenz war, dass die beiden rivalisierenden Fernsehsysteme viele Bindeglieder aufwiesen: ein gemeinsames Publikum, eine gemeinsame Sprache und gemeinsame kulturelle Traditionen. Dies war für das Fernsehen der DDR Zeit seines Bestehens ein wichtiger Motor, darüber besteht in der Literatur Einigkeit. Doch wie sah diese Konkurrenz konkret aus? Welchen Veränderungen war sie unterworfen? Claudia Dittmar liefert mit ihrer Dissertation erstmals eine (ost-)deutsche Fernsehgeschichte, die diesen "Kalten Krieg im Äther" innerhalb des fast 40-jährigen Bestehens des DDR-Fernsehens nachzeichnet und die "konkreten Umstände dieses - für das DDR-Fernsehen so bedeutenden - Kräftemessens" untersucht (7).
Am 21. Dezember 1952 ging das DDR-Fernsehen mit seinem Versuchs-Programm auf Sendung, vier Tage vor dem Nordwestdeutschen Rundfunk. Dies sollte der einzige Vorsprung bleiben: Sowohl beim regulären Programmstart als auch bei der Einführung des Farbfernsehens und des Zweiten Programms hatte das DDR-Fernsehen das Nachsehen. Auch wenn es kleine Siege gab - das Vormittagsprogramm der ARD wurde beispielsweise 1961 als Alternative zu den schon seit 1958 in der DDR existierenden Vormittagssendungen "Wiederholungen für den Schichtarbeiter" ins Leben gerufen -, der mediale Konkurrenzkampf konnte durch die DDR nicht gewonnen werden. Schon allein aus wirtschaftlichen Gründen waren die Programmmacher im Osten dem Westfernsehen immer einen Schritt hinterher. Neue Ansätze, innovative Ideen mussten fallen gelassen werden, da die technisch-materielle Ausstattung einfach nicht gegeben war. Stattdessen studierte man das Westfernsehen und begegnete dem gegnerischen Programm mit eigenen Sendungen. Dittmar zeigt, dass wirkliche Strategien im Umgang mit der Konkurrenz fehlten und es der "sprichwörtliche Kampf gegen Windmühlenflügel blieb" (430).
Die Selbstdefinition des DDR-Fernsehens vollzog sich immer im Kontrast zum anderen deutschen Fernsehprogramm. ARD und später auch ZDF, stigmatisiert als das "Feindliche Fernsehen", warben nicht nur DDR-Zuschauer ab, sondern waren stets auch der Maßstab für die eigenen Leistungen und der Gradmesser für eigene Entwicklungen. Die Autorin hinterfragt dabei die Rolle des bundesdeutschen Fernsehens und rekonstruiert daraus Taktiken, die das DDR-Fernsehen im Umgang mit dem Konkurrenten entwickelte. Die Fernsehforscherin entkräftet dabei die bisher größtenteils vorherrschende Meinung, die DDR-Bürger seien jeden Abend "virtuell" ausgereist, weshalb das Ostfernsehen am Ende nur noch ARD und ZDF imitiert habe. Stattdessen war auch das eigene Programm innovativ und - vor allem im Unterhaltungsbereich - durchaus erfolgreich. Das DDR-Fernsehen hätte der kreativen Auseinandersetzung mit seinem Nachbarn standhalten können, wenn es sich mehr auf das künstlerische Leistungsvermögen und das Identifikationspotenzial gestützt und sich weniger am Westen abgearbeitet hätte. Dies war jedoch nicht möglich, da es eine Kritik am eigenen Programm nicht gab und man in ARD und ZDF ausschließlich das "feindliche Programm" sah, ohne daraus auf Dauer echte Wettbewerbsstrategien zu entwickeln. Dittmar konstatiert, dass der Führung das systematisch aufgebaute Feindbild wichtiger war als ein tätiges Selbstbild, so dass das Fernsehen vor allem reagiert habe, statt eigene Akzente zu setzen. Sie belegt, dass die Geschichte der Auseinandersetzung des DDR-Fernsehens mit dem bundesdeutschen Konkurrenten größtenteils ein Kampf um die ostdeutschen Zuschauer war. Wurde in den 1950er Jahren noch versucht, das westdeutsche Publikum zu gewinnen (interessant ist besonders die erstmals in diesem Umfang dargelegte Nachzeichnung des Projektes "Deutschland-Fernsehen" in Kapitel 3.4.), zeigte sich in den 1980er Jahren eine zunehmende Resignation. Man orientierte sich vermehrt an den Publikumswünschen, ließ sich auf unterhaltende Formate ein und importierte Filme aus dem westlichen Ausland. Ausschlaggebend für das Selbstbild, das Feindbild und die Strategien im Umgang mit beidem war, laut Dittmar, stets die falsch verstandene Wirkungsmacht des Mediums Fernsehen. Ständig getrieben von der Angst, der Feind könnte die Bevölkerung ideologisch unterwandern, habe das DDR-Fernsehen kaum eigene Konzeptionen entwickeln können. Die ideologischen Zielsetzungen, das Fernsehen als "Waffe im Klassenkampf" und als Indoktrinationsinstrument für die Bevölkerung einzusetzen, waren zum Scheitern verurteilt, so der Befund.
Dittmer zeichnet das Selbstbild des DDR-Fernsehens über 40 Jahre hinweg nach, von der Idee, ein Fernsehsender für ganz Deutschland zu sein, über das Propagandainstrument im Kalten Krieg bis hin zur Hoffnung, durch ein Freizeit- und Unterhaltungsmedium ein Identifikationsangebot mit dem sozialistischen Staat zu schaffen. Sie gliedert ihre Untersuchung sowohl chronologisch als auch systematisch. Die Konkurrenzsituation untersucht sie in fünf aus innen- und deutschlandpolitischen Entscheidungen sowie programmgeschichtlichen Entwicklungen heraus resultierenden Zeitphasen, wobei die 1950er Jahre in die beiden Teile vor und nach dem regulären Sendestart 1956 geteilt sind, während die 1960er, 1970er und 1980er Jahre jeweils als Dekade untersucht werden. Innerhalb dieser Einheiten unterteilt Dittmar ihre umfangreiche Analyse nach "Selbstbild", "Fremdbild" und "Strategie". Leider nimmt sie in ihrer erklärenden Einleitung einige wichtige Erkenntnisse der Schrift bereits vorweg. Sie berücksichtigt kaum, dass die SED- und Fernseh-Führung stets alle Inhalte unterband, die der Klassenfeind gegebenenfalls ausnutzen konnte und dass dies zum Teil sogar paranoide Züge annahm.
Dittmars Ergebnisse resultieren größtenteils aus einer umfangreichen quellenkritischen Aktenanalyse (Pläne der Fernsehführung, interne Thesenpapiere, zeitgenössische Medien-Berichterstattung sowie Protokolle des MfS). Eine enorme Fleißarbeit, die für viele künftige Forscher eine wertvolle Grundlage bietet und dem Leser erlaubt, sich über 400 Seiten hinweg ein eigenes Bild zu machen. Ergänzt wird die Abhandlung durch Kurzbiografien der wichtigsten Akteure. Das Buch ist flüssig geschrieben und auch für Fachfremde gut zu lesen, nie hat man das Gefühl, dass die Autorin die sachliche Distanz zum Untersuchungsgegenstand verlässt. Sie belegt und ordnet ein (manchmal etwas redundant), ohne dabei jedoch stark wertend aufzutreten. Abgesehen von der Tatsache, dass die Beobachtung der Konkurrenz und entsprechende Reaktionen darauf bei allen Fernsehstationen Alltag sind, leistet die vorliegende Publikation einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion der besonderen Konstellationen innerhalb der deutsch-deutschen Mediengeschichte. Claudia Dittmar belegt, dass das DDR-Fernsehen eben mehr war, als nur das Fernsehen der DDR.
Judith Kretzschmar