Rezension über:

Marius Rimmele: Das Triptychon als Metapher, Körper und Ort. Semantisierungen eines Bildträgers, München: Wilhelm Fink 2010, 361 S., 15 Farbtafeln, ISBN 978-3-7705-4969-6, EUR 39,90
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Rezension von:
Tina Bawden
Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Tina Bawden: Rezension von: Marius Rimmele: Das Triptychon als Metapher, Körper und Ort. Semantisierungen eines Bildträgers, München: Wilhelm Fink 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/20723.html


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Marius Rimmele: Das Triptychon als Metapher, Körper und Ort

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Altarretabel und Andachtstriptychen bilden schon seit geraumer Zeit einen Schwerpunktbereich der kunstgeschichtlichen Forschung zum Tafelbild. Erst in jüngster Zeit sind allerdings Medialität und Materialität dieser Bildträger verstärkt in den Blickpunkt gerückt. Grund dafür sind sicherlich auch die Neuperspektivierungen im Zuge etwa der performative und material turns in den Kulturwissenschaften. Das Augenmerk richtet sich in Folge dieser Paradigmenwechsel insbesondere auf die Klappbarkeit und Wandelbarkeit der Bildträger und der damit einhergehenden Pluralität und Veränderbarkeit der Bilder. Mit der Publikation von Marius Rimmele, die auf dessen 2006 an der Universität Konstanz eingereichten Dissertation basiert, liegt nun eine Monografie zum Triptychon vor, die ebendiese Aspekte explizit in das Zentrum der Untersuchung stellt.

Rimmele konzentriert sich in seiner Studie vorrangig auf nördlich der Alpen entstandene, kleinformatige Triptychen aus dem späten Mittelalter, deren Gebrauchskontext die private Andacht war (Klappentext). Beim ersten Durchblättern und Betrachten der Bildbeispiele stellt man zunächst überrascht fest, dass darüber hinaus auch noch Objekte eine Rolle spielen, die nicht zu dieser Gruppe gehören. Zentral für die Argumentation ist nämlich eine ganz spezielle Variante des mittelalterlichen dreiteiligen Trägermediums: die Schreinmadonna. Zusätzlich analysiert werden jedoch auch großformatige Altartriptychen und kleinformatige Diptychen. Das in dieser Weise breit angelegte Feld der Untersuchungsgegenstände, welche jeweils die Möglichkeiten des Öffnens und Verschließens als gemeinsamen Nenner aufweisen, macht bereits deutlich: Es geht Rimmele nicht darum, eine Entwicklungsgeschichte des Triptychons zu schreiben oder einen formal oder geografisch abgesteckten Korpus an Beispielen zu interpretieren. Ausgangspunkt der Arbeit ist vielmehr die Annahme, dass ein kompositer Bildträger gerade aufgrund seiner medialen "Sperrigkeit" (13) immer wieder selbst in den Vordergrund der Wahrnehmung rückt und sich diese Selbstreflexivität in bildimmanenten und strukturellen Semantisierungen des Bildträgers ausdrückt.

In den ersten beiden Kapiteln werden Methode und Zielsetzung formuliert, und es wird der Stand der Forschung zum Triptychon referiert. Methodisch liegt die Beltingsche Bild-Anthropologie zugrunde, insbesondere die Aufspaltung des Untersuchungsgegenstandes in Bild und Trägermedium (15f.). Im Sinne einer historischen Bildwissenschaft sollen dadurch Konzepte, Praktiken und Symbolisierungen des Bildes in Bezug auf unterschiedliche 'Körper' (mediale Bildkörper sowie der Mensch als Bildträger) analysierbar werden. Als Leser hätte man sich an dieser Stelle eine klare Bestimmung der für die Arbeit zentralen Begriffe gewünscht. Etwas verwirrend ist es zunächst, dass die Schreinmadonna als "Paradigma der Untersuchung" (20) eingeführt wird, bevor klargestellt wird, dass die für diese Arbeit geltende Definition eines "Triptychons" die Schreinmadonnen miteinbezieht (24). In der Einleitung werden im Abschnitt "Aufbau und Terminologie" zwar "Träger" und "Medium" unterschieden (20f.). Hinweise dazu, wie Rimmele z.B. den im Titel enthaltenen (und in den Kulturwissenschaften immerhin vieldiskutierten) Begriff der Metapher verstanden wissen will, finden sich allerdings erst vereinzelt in der zweiten Hälfte der Arbeit (194, 200). Die fehlenden terminologischen Klarstellungen machen es dem Leser nicht immer leicht, der komplexen Argumentation zu folgen.

Auf Einleitung und Forschungsstand folgen zwei Kapitel, in denen Rimmele an Triptychen der frühniederländischen Malerei erkundet, welche spezifischen gegenständlichen und historischen Merkmale dieser Bildträger sich für bildtheoretische Reflexionen eignen. Sehr knapp werden hier künstlerische Gestaltungspraktiken wie die Grisaillemalerei oder das ikonografische Thema der Verkündigung als Metaphern des Triptychons analysiert. Das sich anschließende 5. Kapitel zu den skulptierten Schreinmadonnen des 13. bis 15. Jahrhunderts ist das Herzstück der Arbeit. Die Schreinmadonna ist für Rimmeles Vorhaben deshalb so zentral, weil hier ein Bildträger offensichtlich als Körper zu interpretieren ist, und die auf den Innen- und Außenseiten bereitgestellten Bilder einzelner Exemplare vor diesem Bedeutungshorizont eine besondere Relevanz erhalten. So kann das Öffnen des Bildträgers den Betätiger und Betrachter dazu auffordern, über 'geöffnete' Körper der Heilsgeschichte (Maria, Christus) nachzudenken und auf diese Weise innere Bilder zu aktivieren und für die Andacht zu nutzen. Theologische und frömmigkeitstheoretische Quellentexte sowie die Mariensymbolik bilden die Grundlage der Argumentation.

Im Laufe des Kapitels zu den Schreinmadonnen arbeitet Rimmele drei Semantisierungen bzw. "Bedeutsamkeiten" (200) des triptychalen Trägermediums heraus, die ihm dann als Grundlage für die Analyse weiterer Triptychen gelten. Dementsprechend kann das Triptychon erstens "den 'Bild-Körper' mit demjenigen des Betrachters bzw. mit dessen 'Bildspeicher' in Beziehung" setzen (199), und so etwa als "Modell mentaler Bildpraxis" fungieren (179), welches die Angemessenheit, Anordnung und Verknüpfung innerer Bilder reflektiert. Zweitens kann das Trägermedium als Metapher gelten und im Gebrauch durch die Gleichzeitigkeit handgreiflicher und struktureller Entfaltung "eine Mechanik des Denkens" lehren (261). Drittens ermöglicht das Triptychon, "den materiellen Körper des Bildes als denjenigen einer Person oder als Gebäude, als Ort des Dargestellten zu verstehen" (198), und so etwa die Voraussetzung für eine Begegnung mit repräsentierten Personen zu schaffen. Diese Semantisierungen erhalten ihre Relevanz natürlich erst vor dem Hintergrund spätmittelalterlicher Vorstellungen von (Bild-)Wahrnehmung und Gedächtnis (etwa dem "Herz als Haus") und Frömmigkeitspraktiken, die von Rimmele auch in der zweiten Hälfte seiner Studie referiert und kontextualisiert werden. Stützen kann er sich hier größtenteils auf die Vorarbeit anderer Autorinnen und Autoren, da die Forschung hier bereits sehr viele Quellen zusammengetragen hat (z.B. Carruthers, Hamburger, Lentes). Neuland betritt Rimmele dagegen dort, wo er aus diesen Kontexten heraus anhand konkreter (oft unbekannter) Beispiele bildtheoretische Konsequenzen zieht, und z.B. die "Schreinlogik" des Triptychons als expliziten Gegenentwurf zum Konzept der finestra aperta herausarbeitet (140, 199, 266).

Die Stärke der Untersuchung liegt im methodischen Ansatz, der einen sehr umfassenden Blick auf das Trägermedium Triptychon erlaubt und historisch fundierte Thesen zur Bildtheorie des Mittelalters ermöglicht. Mehr Konsequenz hätte man sich allerdings darin gewünscht, das Untersuchungsfeld durchgängig breit zu halten: Eher verwirrend ist etwa der Fokus auf die Kölner Maler im 9. Kapitel, der ja suggeriert, dass die Inszenierung des Triptychons als Ort eine regionale Besonderheit war. Insbesondere in den Einzelanalysen finden sich viele aufschlussreiche Beobachtungen - überzeugend ist etwa die Analyse des Keltertreter-Triptychons, die den Schmerzensmann ähnlich der Schreinmadonna als "synthetische Figur" (255) im Verbund mit dem Bildträger aufklappbar, und damit für das Gebet produktiv werden lässt (245-262).

Insgesamt bietet die Studie auf hohem theoretischem Niveau einen Blick auf das mittelalterliche Triptychon als Objekt, Medium und Bildspeicher. Obwohl gelegentlich Hilfestellungen zur spezifischen Begrifflichkeit fehlen, sind besonders die regelmäßigen präzisen Zusammenfassungen der Ergebnisse als nützliche Wegweiser für den Leser hervorzuheben (61f., 193-201, 307-311). Rimmele ist es gelungen zu zeigen, dass die Selbstreflexivität, die bisher in der Forschung als spannende Tendenz einzelner Triptychen hervorgetreten ist, für das Bildmedium als solches gelten kann, und diese Erkenntnis in einen bildtheoretischen Kontext zu stellen.

Tina Bawden