Kevin J. Alban: The Teaching and Impact of the 'Doctrinale' of Thomas Netter of Walden (c. 1374-1430) (= Medieval Church Studies; Vol. 7), Turnhout: Brepols 2010, XVI + 300 S., ISBN 978-2-503-53179-3, EUR 70,00
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Der englische Karmeliter Thomas Netter von Walden (1372-1430) war nicht nur innerhalb seines Ordens ein hoch geachteter Theologe, angesehenes Mitglied der Universität Oxford und Provinzial der englischen Karmeliterprovinz im frühen 15. Jahrhundert, sondern auch außerhalb der Ordensgemeinschaft ein begehrter Ratgeber, Hofprediger und Beichtvater der englischen Könige, der an den Konzilen von Pisa und Konstanz teilnahm, als Gesandter in verschiedene europäische Länder reiste und in reger Korrespondenz mit den Kirchenautoritäten seiner Zeit stand.
Der bislang wenig beachtete Theologe erfährt in jüngster Zeit wachsendes Interesse insbesondere bei englischen Forschern aus dem Karmeliterorden. Nach dem Erscheinen eines von Johan Bergström-Allen und Richard Copsey herausgegebenen Sammelbandes zu Leben, Theologie und Wirkung des Thomas Netter im Jahr 2009 [1] hat nun der aus der englischen Ordensprovinz stammende Bruder Kevin Alban eine umfangreiche Monographie zu Werk und Leben des Thomas Netter vorgelegt. Alban, der seit 2001 als Generalsekretär und seit dem Jahr 2007 als Generalökonom der Ordensleitung der Karmeliter angehört, bietet mit seiner im Jahr 2007 an der Universität London im Fach Mittelalterliche Kirchengeschichte eingereichten Dissertation erstmals eine konzentrierte Studie des in den Jahren 1420-1428 verfassten theologischen Hauptwerkes des Thomas Netter. Dessen Doctrinale antiquitatum fidei catholicae ecclesiae contra Wiclevistas et Hussitas wurde mit dem erklärten Ziel verfasst, die als Glaubensirrtümer angesehenen Lehren des Johannes Wyclif, Johannes Hus und deren Anhänger zu bekämpfen. Oft wurde die Bedeutung des Doctrinale jedoch auf diese Intention beschränkt und Thomas Netter auf seine führende Rolle in den Auseinandersetzungen hauptsächlich um die Lehren Wyclifs festgelegt.
Das Doctrinale wurde teilweise auf Anregung Martins V. vor dem Hintergrund der päpstlichen Bestrebungen verfasst, die Beschlüsse des Konstanzer Konzils von 1415 gegen die Anhänger von Wyclif auch in England durchzusetzen. Wie Alban zeigt, enthält das Werk aber auch theologische Erwägungen, die weit über die Bekämpfung von Häresie hinausgehen, wobei er die Christologie Netters, durch welche die einzelnen Teile des Doctrinale verbunden werden, als einen der zentralen Gedanken benennt.
Die Streitschrift umfasst sechs Bände, deren Untergliederung in einzelne Bücher und Kapitel Alban in einer detaillierten Tabelle darstellt (xi-xiii). Alban erläutert den methodischen Zugriff Netters, der die Positionen Wyclifs im Doctrinale jeweils zitiert, um sie dann anhand biblisch und patristisch begründeter Gegenargumente zu widerlegen. Ebenso verfährt Alban, wenn er zu den Hauptthemen des Doctrinale sowohl Wyclifs Positionen als auch Netters Gegenargumente aufführt, wobei Netters Rückgriffe auf biblische, patristische und scholastische Quellen aufgedeckt werden.
In den ersten beiden Kapiteln untersucht Alban den kirchlichen und politischen Entstehungsrahmen des Doctrinale sowie den intellektuellen Hintergrund Netters. Netters religiöse Ausbildung als Karmeliter und seine akademische Ausbildung an der Universität Oxford werden beschrieben und sein Denken in den Kontext des mendikantischen Engagements gegen die Lollarden sowie die Teilnahme von Karmelitern an Prozessen gegen dieselben eingeordnet. Anhand der Korrespondenz des karmelitischen Theologen aus seiner Zeit als Provinzial in England 1414-1430 verortet Alban die Streitschrift Netters im Kampf des Hauses Lancaster um den rechten Glauben und gegen die Häresie der Lollarden sowie die Bemühungen des Papstes Martin V. um eine erfolgreiche Bekämpfung der Heterodoxie.
In den folgenden fünf Kapiteln setzt sich Alban mit einzelnen zentralen Hauptelementen der Theologie des Thomas Netter auseinander, wobei er erstmals bislang wenig beachtete Themen der Theologie Netters wie dessen Beurteilung der religiösen Orden, der Predigttätigkeit und verschiedener Andachtspraktiken in den Blick nimmt. Mit Netters Lehren über Gott, die menschliche Natur und der Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur in Christus gegen die Vorstellung Wyclifs von der wahren, unsichtbaren Kirche als Gesamtheit der von Gott zur Seligkeit Erwählten (Kapitel 3), mit seiner Sicht auf die Beschaffenheit und Struktur der christlichen Kirche als Körper Christi und auf die Ämter der kirchlichen Hierarchie gegen Wyclifs Grenzziehung zwischen der wahren, unsichtbaren Kirche und den kirchlichen Institutionen (Kapitel 4), mit Netters Überlegungen zur Legitimität der monastischen Lebensform und deren biblischer Herleitung gegen Wyclifs Kritik derselben (Kapitel 5), mit seiner Sakramentenlehre gegen die Ablehnung der sakramentalen Heilsvermittlung und die Betonung der Prädestination bei Wyclif (Kapitel 6) sowie mit seinen Darlegungen zu Predigt, Liturgie und Sakramentalien (Kapitel 7) stehen zugleich jene Gegenstände im Zentrum der Untersuchung, an denen sich für Thomas Netter die Debatten mit Wyclif und den Lollarden festmachten.
Schließlich analysiert Alban im achten Kapitel die theologischen und spirituellen Einflüsse, die von Netters Streitschrift sowohl auf seine Zeitgenossen als auch auf nachfolgende Theologen des Karmeliterordens und andere ausgingen und die bis zur Aufnahme seiner Ideen durch Autoren der Gegenreformation als Inspiration für die Abwehr des Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert reichten.
Darüber hinaus betont Alban den besonderen Wert der karmelitischen Spiritualität für das Denken des Thomas Netter. Obwohl Netter selbst vielfältige Rollen in der Öffentlichkeit außerhalb seines Ordens übernahm, belegt Alban anhand der Korrespondenz und der Aussagen im Doctrinale, dass Netter mit seiner Betonung der vita contemplativa, die er nicht nur unmittelbar mit der vita activa verbunden, sondern auch als höchste Form des religiösen Lebens betrachtete, den Sinn für die eremitischen Ursprünge seines Ordens in einer durch das Abendländische Schisma für die karmelitische Identität kritischen Zeit bewahrte und sich mit seiner Wertschätzung der religiösen Observanz einer Bewegung anschloss, die den Orden vor allem ab dem späten 14. Jahrhundert prägte.
Alban gelingt es anschaulich, das kontroverstheologische Werk des Karmeliters im politischen, intellektuellen und kirchlichen Kontext des spätmittelalterlichen Europas zu verorten und zu zeigen, dass das Doctrinale weitaus mehr als eine Apologie der katholischen Lehre bietet und Thomas Netter weitaus mehr war als "the 'hammer of the heretics'" (28). Mit dem Buch, das von Verzeichnissen der ungedruckten und gedruckten Quellen sowie der Forschungsliteratur und einem Sach-, Personen und Quellenregister abgeschlossen wird, legt Kevin Alban ein solides Fundament für zukünftige Forschungen zu Thomas Netter und seinem Werk, dem weitere Aufmerksamkeit zu wünschen bleibt.
Anmerkung:
[1] Johan Bergström-Allen / Richard Copsey: Thomas Netter of Walden: Carmelite, Diplomat and Theologian (c.1372-1430), Faversham/Rom 2009.
Ramona Sickert