Rezension über:

Mike Dennis / Norman LaPorte: State and Minorities in Communist East Germany, New York / Oxford: Berghahn Books 2011, XVII + 236 S., ISBN 978-0-85745-195-8, USD 45,00
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Rezension von:
Lutz Maeke
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Lutz Maeke: Rezension von: Mike Dennis / Norman LaPorte: State and Minorities in Communist East Germany, New York / Oxford: Berghahn Books 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/21095.html


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Mike Dennis / Norman LaPorte: State and Minorities in Communist East Germany

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Was erfährt man über das Wesen des SED-Regimes, betrachtet man seinen Umgang mit und Respekt vor Minderheiten? Was erfährt man über diesen sozialistischen Staat, dessen Weltanschauung strikt dichotom den Feind vom Freund unterschied, wenn man untersucht, auf welche Weise sich - in einer als interessengleich postulierten durchplanten Gesellschaft - das außerplanmäßig Andere staatlicher Repression gegenüber sieht? Und wie schaffen es Minderheiten sich dagegen zu behaupten? Diese Fragen legen Mike Dennis und Norman LaPorte ihrem Buch zugrunde.

Ausgehend von einer Erörterung des Forschungsstandes und des historischen Umfelds wenden sich die beiden Autoren sechs ausgewählten Fallbeispielen zu. Diese Abhandlungen sind in etwa gleich lang. Dabei befassen sich Dennis und LaPorte mit den jüdischen Gemeinden, den Zeugen Jehovas, asiatischen beziehungsweise afrikanischen Gastarbeitern, Fußballfans/Hooligans, Punks/Gothics/Heavymetal-Fans und Skinheads/Rechtsradikalen. Zu jeder Gruppe liegen mittlerweile eigene Untersuchungen vor, was beispielsweise für AIDS-Kranke, körperlich beziehungsweise geistig behinderte Menschen, Muslime, Mormonen oder Homosexuelle noch nicht in dem Maße zutrifft. Das Besondere des Buches von Dennis und LaPorte ist also nicht der Gegenstand an sich, sondern seine Neukomposition.

Nun könnte man jedes der Kapitel - für sich allein genommen - betrachten und würde feststellen, dass nichts Falsches gesagt wird, obgleich Dennis und LaPorte dem Leser den Gegenstand ihres Interesses nicht umfassend und anhand eigener neuer Schwerpunkte vor Augen führen. Im Stil bleiben sie oft zu deskriptiv. Vieles wird vom Ende her erzählt, im Wissen um den Ausgang der Geschichte. Mehrere Flüchtigkeitsfehler hätten bei der Durchsicht des Manuskriptes korrigiert werden müssen. Zum Teil verharrt die Darstellung bei Details, deren Bedeutung für das Ganze nicht klar wird. Alles steht auf einer breiten Quellenbasis, wenngleich auch fast ausschließlich gestützt durch die Akten der Staatsicherheit. Aber auch die Summe einzelner Teile, die nicht falsch sind, macht dieses Buch nicht zu einem guten Buch. Es krankt vielmehr an einer Reihe von Problemen:

Zunächst kommt es, anders als die Ankündigung es erwarten lässt, einem Sammelband näher als einer Monographie. Zwischen den Kapiteln besteht kein argumentativer Zusammenhang. Ihr jeweiliger Verfasser wird explizit hervorgehoben. So stammen alle Ausführungen, außer die über Skinheads / Rechtsradikale, ausschließlich von Mike Dennis. Die Abhandlung zu Punks / Gothics / Heavymetal-Fans wurde von Dennis und LaPorte gemeinsam verfasst.

Dieser strukturelle Makel lässt auf der methodischen Ebene ein Grundproblem des gesamten Buches erkennen: Die unzureichende Reflexion des komplexen Begriffs der Minderheit, seiner Anwendbarkeit auf die DDR, auf ihr Staats- und Gesellschaftsverständnis und vor allem auf die ausgewählten Gruppen. Wer eine Minderheit ist, definierten eben nicht nur staatliche Repressionsorgane. Im Unterschied zu Hooligans, Skinheads und Rechtsradikalen waren die jüdischen Gemeinden, die Zeugen Jehovas, ausländische Gastarbeiter, Fußballfans und Punks nicht nur mit der amtlichen Seite konfrontiert, sondern wurden von Teilen der Gesellschaft und ihren Mitbürgern stigmatisiert, verfolgt, ausgegrenzt und angegriffen. Dass es Menschen und Bürger rechtsradikaler, antisemitischer und rassistischer Provenienz sind, die ihre Mitmenschen und Mitbürger verbal und tätlich angreifen, ist etwas, das dieses Buch vollkommen ausblendet und unerklärt lässt - und damit auch die Verantwortung und das Versagen der staatlich-parteioffiziellen Autorität und Ideologie an dieser Entwicklung. Die Problematisierung der Frage, warum Straftäter dieselbe "Minderheit" wie ausländische Gastarbeiter, Punks, Juden oder die Zeugen Jehovas sein sollen, hätte Merkwürdigkeiten in Argumentation und Schlussfolgerung vermieden. Nur in der Logik des Ministeriums für Staatssicherheit bestand bei Juden und Rechtsradikalen in der Tat eine Gemeinsamkeit: die der erforderlichen "operativen Bearbeitung".

Der wissenschaftliche Anspruch dieses Buches wird aber durch einen anderen Punkt diskreditiert. Denn wenn man sich die bisherigen Veröffentlichungen von Mike Dennis anschaut, weiß man, dass er zwischen 2003 und 2006 zu allen in diesem Buch vorkommenden Gruppen bereits gearbeitet hat. Und zu alldem liegen seit mindestens sechs Jahren von ihm selbst herausgegebene Texte vor. Die Ausführungen im vorliegenden Band über die Zeugen Jehovas, die Gastarbeiter und die Fußballfans / Hooligans sind annähernd dieselben, die bereits 2005 beziehungsweise 2006 erschienen. Die übrigen Kapitel sind ebenfalls sehr deutlich an Bekanntes angelehnt.

Diese Erstveröffentlichungen werden weder mit einer Fußnote vermerkt noch überhaupt oder korrekt in der Bibliographie angeführt. Wüsste man es nicht besser, dann könnte man meinen, die Texte und Quellen seien bislang unveröffentlicht und neu. Neu ist aber lediglich die konstruierte und falsche Annahme, dass diese sechs Gruppen unter einer sie einenden Prämisse hinreichend darstellbar sind. Tatsächlich befindet sich dieses Buch zu mehr als 90 Prozent auf dem Forschungstand von 2003 bis 2006. Leider trifft das auch auf den Beitrag von Norman LaPorte zu, der sich zu sehr an der Struktur der einschlägigen Passagen des 2003 erschienen MfS-Bandes von Mike Dennis orientiert, ohne in einer Fußnote darauf zu verweisen.

Dass dieses Buch nicht zu überzeugen vermag, liegt gewiss nicht am Thema, sondern an der Annahme, man könne die DDR und ihre gesellschaftliche Struktur erklären, indem man schwarz und weiß gegenüberstellt, die Herrscher und die Beherrschten, als die "Insider" und die "Outsider", die Bösen gegen die Guten. Aber die Realität war komplexer. Und die Forschung verfolgt in vielerlei Hinsicht glücklicherweise profundere Ansätze.

Lutz Maeke