Sarah A. Curtis: Civilizing Habits. Women Missionaries and the Revival of French Empire, Oxford: Oxford University Press 2010, X + 373 S., 1 s/w-Abb., 1 Karte, ISBN 978-0-1953-9418-4, USD 74,00
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Lange erschien der Anteil von Missionen und Frauen am kolonialen Unternehmen als gering. Missionen wurden unter dem Schlagwort des Kulturimperialismus bestenfalls als Stützen des kolonialen Systems betrachtet, Frauen entweder als Helfershelferinnen oder - aufgrund ihrer eigenen Marginalisierung - als implizite Kritikerinnen kolonialer Herrschaft. Seit einigen Jahren haben neuere Forschungen MissionarInnen und Frauen als wesentliche Akteure im kolonialen Geschehen wiederentdeckt. Dabei zeichnen sie häufig ein wesentlich differenzierteres Bild von ihrem Verhältnis zur kolonialen Herrschaft. [1]
Am Schnittpunkt dieser Forschungen angesiedelt und maßgeblich beeinflusst von Natalie Zemon Davis' Women on the Margins [2] ist Sarah Curtis' mikrohistorisch-vergleichende Studie über drei französische Kongregationsfrauen in Nordamerika, den französischen Kolonien zur Zeit der Restauration und im Mittelmeerraum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - einer Zeit, in der neue Initiativen imperialer Expansion und eine aus der Erfahrung der Französischen Revolution gespeiste katholische Erneuerung der äußeren Mission zu einem neuen Aufschwung verhalfen. Erstmals wurden nun in großer Zahl Frauen in die Mission ausgesandt. Damit wurden ihnen nicht nur durch eine vermeintlich konservative Lebensform Handlungsspielräume eröffnet, die anderen bürgerlichen Frauen verwehrt waren. Auch die Art missionarischen Arbeitens wandelte sich hin zu indirekten Praktiken. Gerade aufgrund ihres vermeintlich wohltätigen und unumstrittenen Charakters, so Curtis' zentrale These, sei die Tätigkeit französischer Kongregationsfrauen in den Kolonien "vital to the cultural construction of empire" (3) gewesen.
Der erste Teil ihres Buches widmet sich Philippine Duchesne (1769-1842), die nach dem Verlust der französischen Kolonien in Louisiana eine Mission eröffnete. Bereits an Duchesnes Beispiel wird gezeigt, wie prägend die Französische Revolution für die neue Missionsbewegung war. Ursprünglich Religiose im Konvent der Visitandinnen in Grenoble, schloss sie sich nach der Auflösung des Klosters und dem Ende der Revolution der neugegründeten Gemeinschaft der Religieuses de Sacré-Cœur an, von der sie auf ihr eigenes Betreiben 1817 nach Nordamerika entsandt wurde. Dies ermöglichte ihr, so Curtis, eine erhebliche Erweiterung ihrer Handlungsspielräume gegenüber Vorgesetzten und der kirchlichen Hierarchie, obwohl sie vor Ort weiterhin einem auf Klausur basierenden Modell kommunitären Lebens anhing. Dies und ihr mit der (mittlerweile obsolet gewordenen) Idee einer "Nouvelle France" verbundenes Sendungsbewusstsein lassen Duchesne als eine widersprüchliche Figur erscheinen, deren Begegnung mit der lokalen Gesellschaft peripher blieb. Stattdessen erreichte sie, die niemals eine andere Sprache als das Französische lernte, über den Aufbau von Schulen primär den frankophilen Teil der lokalen Siedlergesellschaft.
Die zweite biographische Studie behandelt Emilie de Vialar (1797-1855), die Gründerin der Sœurs de Saint-Joseph de l'Apparition. Wie schon für Duchesne, deren Bruder die Niederlassung in Nordamerika mitfinanzierte, zeigt Curtis auch in diesem Fall, dass familiäre Netzwerke entscheidend für den Schritt in die Mission sein konnten. Als noch wesentlicher stellt sie jedoch die Unterstützung dar, die Vialar durch französische Konsuln erhielt. Dies erlaubte ihr eine stärkere Unabhängigkeit von klerikalen Autoritäten und eine beispiellose Expansion im Mittelmeerraum, nachdem sie infolge eines Konflikts mit dem Bischof von Algier des Landes verwiesen worden war. Französische Staatsmänner und Diplomaten, so Curtis, schätzten die an ein gehobenes Publikum gerichteten Schulen der Organisation als unauffälliges Mittel zur Ausweitung französischen Einflusses. Umgekehrt betont sie jedoch, dass sich die Sœurs de Saint-Joseph Mitte des 19. Jahrhunderts noch "first and foremost [as] part of a religious order and only secondarily [as] members of national states" (145) gesehen hätten.
Als noch direkter stellt Curtis die Verbindungen der dritten von ihr untersuchten Kongregationsgründerin, Anne-Marie Javouhey (1777-1851), zum Kolonialismus dar. In stärkerem Maße als Duchesne oder Vialar konnte sie auf die entschiedene finanzielle und moralische Unterstützung der französischen Regierung zählen. Doch erfuhr ihre Mission keineswegs uneingeschränkten Zuspruch. Über ihr Engagement für den Abolitionismus geriet sie, wie Curtis darstellt, in Konflikt mit den Siedlern und Teilen der französischen Öffentlichkeit. Als eine weitere Quelle des Konflikts hebt die Autorin ihre kompromisslose Haltung gegenüber der männlichen klerikalen Hierarchie hervor. Jedoch ist Curtis' Darstellung keine einseitig heroisierende: gezeigt wird auch die Ambivalenz Javouheys, deren Haltung Afrikanern gegenüber trotz ihres christlichen Humanismus stets von Überlegenheitsbewusstsein bestimmt blieb und die sich auch auf von der französischen Regierung unterstützte Experimente eines christlich informierten social engineering einließ, wenngleich sie nicht vollkommen mit den Zielen und Motivationen des Kolonialministeriums übereinstimmte.
Insgesamt zeigt Curtis an allen drei Frauen überzeugend mehrere Gemeinsamkeiten. Alle waren in ihrer missionarischen Motivation zutiefst von der Erfahrung der französischen Revolution geprägt. Alle überschritten nicht nur räumliche Grenzen, sondern auch "gendered boundaries", nutzten und akzeptierten aber auch männliche Autorität, wo es ihren Zielen dienlich war. Alle kooperierten in unterschiedlichem Grad mit französischen Autoritäten in kolonialen Räumen, verstanden sich jedoch weniger als Exponentinnen des französischen Staates als vielmehr einer französisch-katholischen Kultur.
Methodisch demonstriert Curtis eindrucksvoll, wie fruchtbar es für einen nuancierten Einblick in Mission und Kolonialismus sein kann, einen akteurszentrierten Ansatz mit mikro- und globalgeschichtlichen Perspektiven zu verknüpfen. Damit lässt sie auch den Isolationismus hinter sich, der für Missionsgeschichte lange typisch war. Nicht zuletzt gelingt ihr dies durch Seitenblicke auf die gegenseitige Wahrnehmung katholischer und protestantischer Missionen sowie den Vergleich mit Missionen in anderen Ländern und Regionen anhand neuerer Forschungen. Einzig die Sicht der Missionierten thematisiert Curtis selten: hier hätte eine Lektüre gegen den Strich tentative Rückschlüsse erlaubt. Insgesamt jedoch zeichnet sich ihre Studie durch eine dichte, fundierte und sprachlich elegante Beschreibung aus. Sie dürfte deshalb für eine neue global history wegweisend werden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa Catherine Hall: Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination 1830-1867, Chicago / London 2002. Lora Wildenthal: German Women for Empire, 1884-1945, Durham / London 2001.
[2] Natalie Zemon Davis: Women on the Margins. Three Seventeenth-Century Lives, Harvard 1995.
Julia Hauser