Liselotte Douschan: Anton Benya. Österreichischer Gewerkschafts- und Nationalratspräsident, Wien: Böhlau 2011, 323 S., ISBN 978-3-205-78748-8, EUR 29,90
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Die Zahl an biografischen Arbeiten über österreichische Politikerinnen und Politiker der Zweiten Republik sowie an autobiografischen Werken ist zwar nicht gering, doch mangelt es ihnen vielfach an kritischer Reflexion und bislang unbekannten Einblicken in die politische Arena. Konflikte werden meist nur dann thematisiert, wenn diese ohnehin medial bekannt waren. Meist handelt es sich um von den jeweiligen Pressereferenten überarbeitete Lebenserzählungen oder um Elaborate ehemaliger Mitarbeiter und Weggefährten. Auch von Anton Benya (1912-2001), dem langjährigen Präsidenten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (1963-1987), Abgeordneten (1956-1986) und Präsidenten des Nationalrates (1971-1986), liegt eine entsprechende Broschüre vor. [1]
Wie kaum ein anderer Politiker der Zweiten Republik (vielleicht mit Ausnahme von Bruno Kreisky) hat Benya die Politik Österreichs mit gestaltet. Der vielfach mit Recht gepriesene "österreichische Weg", gekennzeichnet durch die Zurückstellung verbandspolitischer Interessen zu Gunsten gemeinsamer längerfristiger gesamtstaatlicher Ziele in der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb des Modells der österreichischen Sozialpartnerschaft, ist untrennbar mit Anton Benya verbunden. Die erfolgreiche Bewältigung der wirtschaftlichen Krisen der siebziger und achtziger Jahre ging auf das Politikmanagement des Präsidenten des Gewerkschaftsbundes, Mitglieds im Parteivorstand der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) und Nationalratspräsidenten - protokollarisch der zweithöchste Mann im Staat - zurück.
Konnte sich Österreich im Laufe der Jahrzehnte einen vorzüglichen Platz im Ranking der Industrienationen sichern, so hatte der Erfolg auch seinen Preis. Die Intransparenz der Entscheidungsfindung innerhalb der Sozialpartnerschaft, die Konzentration der politischen Macht in den Händen weniger sowie die Hintanstellung von Reformen innerhalb der großen Verbände und im gesamtstaatlichen Gefüge führten ab Mitte der achtziger Jahre, in der Zeit "nach dem Boom", zu einer mit Einflussverlust des ÖGB und der Gewerkschaften verbundenen Neuorientierung des politischen Systems. Eine biografische Forschung über politisch handelnde Personen im Zeitraum von den frühen sechziger Jahren bis Mitte der achtziger Jahre sollte sich dieser Entwicklung stellen und potentielle Handlungsperspektiven ausloten.
Um es vorweg zu nehmen: Für Liselotte Douschan stellen sich diese und ähnliche Fragen nicht. Ihre im renommierten Böhlau-Verlag erschienene Dissertation über Anton Benya wird diesem Ansatz nicht gerecht. Die Autorin beschreibt den Lebensweg des ÖGB-Präsidenten nach dessen erwähnten Erinnerungen, aus denen seitenlange Zitate entnommen werden. Darüber hinaus zitiert sie umfangreich veröffentlichte Reden, ohne auch nur ansatzweise in die Entscheidungsfindung Benyas einzudringen. Sie rühmt sich zwar im Vorwort, Zugang zum "Privatarchiv Benya" erhalten zu haben, kann daraus aber keine bislang unbekannten Informationen ziehen.
Gänzlich unverständlich ist es, dass Douschan weder in die entsprechenden Wortprotokolle der Präsidiums- und Vorstandssitzungen des ÖGB, in die umfangreiche Sammlung des Geschichtsinstituts von AK und ÖGB in der Wiener Arbeiterkammer noch in die im "Kreisky-Archiv" und im "Verein der Geschichte der Arbeiterbewegung" (SPÖ-Parteiarchiv) gesammelten Materialien Einblick nahm. Dadurch fehlt in der Arbeit alles, was über bereits Veröffentlichtes hinaus geht und neue Einblicke in diese so wichtige "Boomzeit" der österreichischen Geschichte geben würde. Es werden nur die ohnehin bekannten und in der einschlägigen Literatur schon oft beschriebenen Konflikte und deren Bewältigung erwähnt. Bislang unbekannte Interna sucht man in diesem Buch vergeblich.
Douschans deskriptiv-heroisierende Biografie genügt weder den Anforderungen einer dem Stand der heutigen Geschichtswissenschaft entsprechenden biografischen Forschung, noch bietet sie neue Erkenntnisse. Dessen ungeachtet mag der Band für Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre oder für ehemalige Weggefährten und Mitarbeiter von Benya eine nette Erinnerungslektüre darstellen.
Anmerkung:
[1] Anton Benya: Mein Weg. Lebenserinnerungen eines Gewerkschafters und Demokraten ergänzt um Aussagen aus seinem letzten Lebensjahrzehnt, Wien, 2. Auflage 2002. Die 142 Seiten starke Broschüre wurde nach Gesprächen mit Benya vom Pressereferenten des ÖGB, Hans Fellinger, verfasst und von Brigitte Pellar für die letzten Lebensjahre ergänzt.
Klaus-Dieter Mulley