Rezension über:

Wichard Woyke: Die Außenpolitik Frankreichs. Eine Einführung (= Studienbücher Außenpolitik und Internationale Beziehungen), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, 337 S., ISBN 978-3-531-13885-5, EUR 24,90
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Rezension von:
Verena Sattler
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Verena Sattler: Rezension von: Wichard Woyke: Die Außenpolitik Frankreichs. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20818.html


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Wichard Woyke: Die Außenpolitik Frankreichs

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Eine Einführung in die Außenpolitik Frankreichs vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart bietet Wichard Woykes unlängst erschienene Fortsetzung seiner 1987 publizierten Monographie Frankreichs Außenpolitik von de Gaulle bis Mitterrand. Das in der Reihe Studienbücher Außenpolitik und Internationale Beziehungen des Verlags für Sozialwissenschaften veröffentlichte Lehrbuch richtet sich in erster Linie an Studierende, denen es, einem analytischen und problemorientierten Ansatz folgend, einen ersten Überblick über Inhalte und Strukturen der französischen Außenpolitik bietet.

Vor dem Hintergrund des außen- und europapolitischen Entscheidungssystems der Fünften Französischen Republik wählt Woyke als Gliederung seiner neuesten Studie eine Einteilung nach den Amtszeiten der einzelnen Staatspräsidenten, wobei der selbsterklärte Schwerpunkt auf den Präsidentschaften François Mitterrands und Jacques Chiracs liegt (6).

Vorangestellt sind ein kurzes Kapitel zu den Grundzügen der Außenpolitik der Vierten Republik (13) sowie ein Kapitel zu den Lebensläufen der Präsidenten (29).

Das erste Drittel des Buches reicht vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis einschließlich zur Präsidentschaft Valéry Giscard d'Estaings und stellt im Wesentlichen eine Wiederholung der bereits erwähnten ersten Monographie Woykes zu Frankreichs Außenpolitik dar. Skizziert werden zunächst Frankreichs Stellung in einem durch Bipolarität gekennzeichneten internationalen System sowie die grundlegenden Herausforderungen an die französische Außenpolitik zu jener Zeit. Ein besonderes Augenmerk legt Woyke dabei auf den Ost-West-Konflikt, auf Frankreichs Beziehungen zur Bundesrepublik, auf den Prozess der Entkolonialisierung und schließlich auf Frankreichs Rolle in Europa. Unter besonderer Berücksichtigung sicherheits- und verteidigungspolitischer Aspekte hebt der Verfasser dabei Frankreichs unablässiges Streben nach Unabhängigkeit hervor. Im Anschluss werden die wichtigsten Stationen in der politischen Laufbahn der französischen Staatspräsidenten von Charles de Gaulle bis Nicolas Sarkozy beleuchtet und einführende Erläuterungen zum außenpolitischen Entscheidungsprozess - unter besonderer Berücksichtigung der häufig diskutierten Frage nach Frankreichs Außenpolitik als "domaine réservé" des Präsidenten - gegeben.

Es folgen Schlaglichter der französischen Außenpolitik während der Präsidentschaften von General de Gaulle, Georges Pompidou und Valéry Giscard d'Estaing, wobei die beinahe schon sprichwörtlich gewordene Janusköpfigkeit linksrheinischer Außenpolitik eingehend besprochen wird. Frankreichs ambivalente Haltung zur NATO, zu entscheidenden Fragen der europäischen Integration sowie zur Sowjetunion werden in diesem Sinne nachgezeichnet. Der Grundton der Analyse ist hierbei ein deterministischer. Die französischen Staatspräsidenten werden als Akteure gesehen, die unveränderliche nationale Interessen umzusetzen suchten. Handlungsspielräume oder gar Zwangslagen werden nur angerissen.

Am ausführlichsten wird auf die Präsidentschaften von François Mitterrand und Jacques Chirac eingegangen. Für die Außenpolitik Mitterrands sind nach Woyke zwei Faktoren konstitutiv: zum einen die überraschend schnell vollzogene Abkehr von sozialistischen Idealvorstellungen und zum anderen der Strukturbruch des internationalen Systems von 1989/90. So skizziert der Verfasser das Bild eines in seiner praktischen Politik durch und durch gaullistisch agierenden Mitterrand, der sich nur vermeintlich der NATO annähert, sich selbst als die Verkörperung der Abschreckung bezeichnet und in Bezug auf Europa (147) und die Dritte Welt (188) primär nationale und ökonomische Interessen zu realisieren sucht. Die deutsche Wiedervereinigung wird angesichts des sich abzeichnenden Macht- und Statusverlusts Frankreichs als problematisch dargestellt; zum Zwecke einer leichteren Kontrolle wollte Mitterrand diese in den europäischen Integrationsprozess eingebettet sehen (160).

Ganz im Zeichen der europäischen Integration beschreibt Woyke die Außenpolitik Jacques Chiracs, der sich selbst als "europragmatique" bezeichnete (205). Insbesondere nach den Querelen um den Maastrichter Vertrag, der Debatten über das Verhältnis von Nationalstaatlichkeit und europäischer Integration auslöste (170), war Chirac um die Demonstration von Stärke und politischer Handlungsfähigkeit bemüht (206); der Versuch, eine aktive Rolle beim Ausbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (276) sowie bei der Ausarbeitung einer europäischen Verfassung (235) zu spielen, werden hierfür als Belege angegeben. Den negativen Ausgang des Verfassungsreferendums in Frankreich im Mai 2005 bezeichnet Woyke als Chiracs Waterloo (237) und den Präsidenten in der Folge als "lame duck" (287). Im Verhältnis zu den USA konstatiert Woyke Dissonanzen anlässlich des Irak-Krieges 2003, bezeichnet die französisch-amerikanischen Beziehungen ab 2004 allerdings als entspannt (247). Der Afrikapolitik Chiracs wird vergleichsweise wenig Raum gewährt; sicherheits- und geopolitische Interessen werden hier ebenso hervorgehoben wie Frankreichs Wunsch nach einer Europäisierung seiner Afrikapolitik (260).

Chiracs Nachfolger Nicolas Sarkozy betrachtet Woyke eher als Realpolitiker denn als Gaullisten. Gelegentlich ob seiner Umtriebigkeit belächelt, führte Sarkozy Frankreich zurück in die militärische Struktur der NATO (297), sprach sich offen gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus (295) und suchte insbesondere seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 die enge Kooperation mit dem deutschen Partner (304).

Die Stärken des Buches von Woyke liegen sicher in der Fähigkeit, einen so weiten Untersuchungszeitraum wie den der Fünften Französischen Republik zu erfassen und dabei Querverbindungen aufzeigen zu können. Kontinuitäten und Brüche französischer Außenpolitik werden anschaulich herausgearbeitet. Der Verfasser erweist sich dabei ein weiteres Mal als Experte der deutsch-französischen Beziehungen sowie der französischen USA- und Europapolitik. Die Kongruenz dieser Gebiete mit den bevorzugten Forschungsfeldern deutscher Politologen im Bereich der internationalen Beziehungen ist offenkundig. Wenngleich der Autor bemüht ist, die wesentlichen Entwicklungen im Mittelmeerraum und in Afrika zu berücksichtigen, werden hier analytische Schwächen deutlich. Dass sich im gesamten Buch kein einziges Mal der Begriff der "politique arabe" findet, wohl aber mehrfach der eines "Europe puissance" (217, 225, 235 f., 241, 244, 275, 282-285), ist nur ein Hinweis auf Verzerrungen in der Gewichtung der einzelnen Aktionsfelder französischer Außenpolitik. Ferner mag der tendenziell holistische und deterministische Grundtenor der Untersuchung Anhänger modernerer Analysemethoden unbefriedigt zurücklassen.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Überblick über die französische Außenpolitik allerdings um eine gelungene Einführung. Der Aufbau ist klar und übersichtlich, der Stil ist leicht verständlich. Die für ein deutschsprachiges Publikum besonders bedeutsamen Akteure finden ausreichend Beachtung. Studierenden der Politikwissenschaften ist dieses Lehrbuch daher als Einstieg in die Thematik zur Lektüre zu empfehlen.

Verena Sattler