Gabriel Herman (ed.): Stability and Crisis in the Athenian Democracy (= Historia. Einzelschriften; Heft 220), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, 168 S., ISBN 978-3-515-09867-0, EUR 46,00
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Zum Gedenken an Alexander Fuks, den 1978 verstorbenen jüdischen Althistoriker, fand im Oktober 2008 an der Hebrew University of Jerusalem eine Tagung zu "Stability and Crisis in the Athenian Democracy" statt. Vorliegender Sammelband fasst nun die Mehrzahl der dort gehaltenen Vorträge zusammen. [1]
Moshe Amit würdigt zunächst Leben und Werk Alexander Fuks' (11-12), der 1917 in Polen geboren, ab 1935 Altertumswissenschaften, Geschichte und Philosophie an der noch jungen Hebrew University in Jerusalem studierte und dort ab 1962 als Professor für Alte Geschichte tätig war. Neben seiner Mitwirkung am "Corpus Papyrorum Judaicarum" zählen zu seinen bekanntesten Arbeiten "The Ancestral Constitution" (1953) und die posthum herausgegebene Monographie "Social Conflict in Ancient Greece" (1984). [2]
Der erste thematische Beitrag stammt von P. J. Rhodes und widmet sich den "Appeals to the Past in Classical Athens" (13-30). Rivalisierende Gruppierungen beriefen sich stets auf die Vergangenheit, aber in verschiedener Deutung. Besonders markant sind dabei die oligarchischen Umstürze, in denen sich sowohl Demokraten als auch Oligarchen auf die 'traditionelle Verfassung' beziehen konnten, um ihr jeweiliges Vorgehen zu legitimieren. Die Verweise auf die demokratische Vergangenheit ermöglichten im 4. Jahrhundert sogar 'undemokratische' Modifikationen im Gesetzgebungsverfahren (Nomothesie) und im Bereich der öffentlichen Finanzen (Theorikon-Kasse).
Ausgehend von den Abgrenzungstendenzen, die in den ersten zwei Generationen nach Kleisthenes als konstitutive Elemente der athenischen Demokratie angesehen werden können, zeigt Robert W. Wallace in seinem Aufsatz "Integrating Athens, 463-431 BC" (31-44), wie sich ab den 460er Jahren Tendenzen feststellen lassen, die negative Einstellung gegenüber Frauen und Metöken, später auch gegenüber Sklaven und sogar gelegentlich gegenüber Fremden zu relativieren.
Gabriel Herman unternimmt in seinem Aufsatz "The Problem of Moral Judgment in Modern Historical Writing on Ancient Greece" (45-66) den methodologischen Versuch, die moralische Beurteilung eines Phänomens (etwa Homosexualität, Sklaverei, Misogynie) mittels der Bewusstwerdung der eigenen Zeitgebundenheit und durch den Vergleich verschiedener historischer Gesellschaften zu objektivieren. Wie problematisch derartige Werturteile unter dem Deckmantel angeblicher Objektivität sind, zeigt das Durchexerzieren seiner 'Methode' am Beispiel der athenischen Frau und der Sklaverei.
Dass die Abwesenheit spartanischer Befehlshaber vom heimatlichen Kosmos destabilisierend auf das gesellschaftliche und politische Gefüge Spartas wirkte, ist weithin bekannt. Davon ausgehend untersucht Polly Low in "Athenian Foreign Policy and the Quest for Stability" (67-86), wie Athen mit unautorisierten Aktionen athenischer Strategen, Gesandten und Trierarchen umging. Zwei Strategien wurden dabei angewendet, um unerwünschtes Verhalten von Repräsentanten Athens im Ausland zu vermeiden: Sanktionen in Form von Prozessen und Belohnungen durch Ehrungen.
Shimon Epstein geht in seinem Beitrag "Direct Democracy and Minority Rule: The Athenian Assembly in its Relation to the Demos" (87-102) der Frage nach, ob und wie die athenische Demokratie trotz der in den Quellen bezeugten differierenden politischen Orientierungen, Einheit der Interessen propagierte und herstellte.
In "The Guardian of the Land: The Areopagos Council as a Symbol of Stability (103-126) untersucht Rachel Zelnick-Abramovitz die auf den ersten Blick als Fremdkörper in der entwickelten Demokratie wirkende Institution des Rates auf dem Areshügel. Obwohl der Areopag aus einem aristokratischen Adelsrat hervorgegangen ist, kann die Autorin durch eine genaue Analyse der bekannten Zeugnisse zeigen, dass die angesehene Versammlung der ehemaligen Archonten in Krisenzeiten (480, 405, 338) als Hüter der demokratischen Ordnung agierte oder angesehen wurde. Trotz ihrer überzeugenden Ausführungen bleiben teilweise Bedenken, so z. B. wie in diesem Zusammenhang das Eukrates-Dekret von 336 einzuordnen ist.
Die Gegenüberstellung des Verhaltens einerseits der Athener nach dem katastrophalen Ausgang der Sizilischen Expedition und andererseits der Römer nach der Schlacht von Cannae nimmt David M. Schaps in "The Athenians and Their Gods in a Time of Crisis" (127-138) als Ausgangspunkt, um zu zeigen, dass die Athener in politischen und militärischen Krisen ihr Verhältnis zu den Göttern weit pragmatischer definierten als die Römer.
Auch Alexander Yakobson geht in dem Beitrag "Political Stability and Public Order - Athens versus Rome" (139-156) von einem Vergleich zwischen Athen und Rom aus. Während in Athen skythische Bogenschützen als eine Art Polizei die öffentliche Ordnung gewährleisteten, fehlte im spätrepublikanischen Rom Vergleichbares. Yakobson nennt insbesondere zwei Gründe, weshalb - trotz gewalttätiger Konflikte - keine reguläre aus Staatssklaven gebildete "Polizei" geschaffen wurde: Die römische Gesellschaft war stark elitär geprägt; es wäre undenkbar gewesen, dass öffentliche Sklaven Hand an einen römischen Bürger, vor allem an einen Senator, legten. Die Kommandogewalt über eine bewaffnete Truppe hätte die Kräfteverhältnisse innerhalb der Gruppe der Senatoren gestört.
Ein genereller Index und eine Liste der Beiträgerinnen und Beiträger schließen den Band ab.
Der Leser bleibt etwas ratlos zurück. Es handelt sich nicht um eine Gedenkschrift im strengen Sinn - die wenigsten Autoren nehmen Bezug auf Schriften Alexander Fuks' oder sind Schüler des gewürdigten Althistorikers. Der Herausgeber beabsichtigte aber auch nicht, einen in sich kohärenten Sammelband vorzulegen (9). Auch wenn keine umfassende Behandlung von Stabilität und Krise in der athenischen Demokratie intendiert war, so hätten längere einleitende oder zusammenfassende Bemerkungen, einen Zusammenhang zwischen den Beiträgen herstellen und die Faktoren, Akteure und Kontexte benennen können, die Kontinuitäten und Brüche prägten. Dies ist keine grundsätzliche Kritik an den einzelnen Aufsätzen, die - wie meist in Sammelbänden - von unterschiedlicher Qualität sind und in erster Linie das Interesse der einzelnen Verfasserinnen und Verfasser widerspiegeln. Es mag aber die polemische Frage erlaubt sein, ob die lesenswerten Beiträge nicht besser in einer Zeitschrift zeitnah zugänglich gemacht worden wären.
Anmerkungen:
[1] Der Herausgeber hatte seinen auf der Tagung gehaltenen Vortrag "The Best Few and the Bad Many: Decision Making in the Athenian Democracy" bereits an anderer Stelle eingereicht (erschienen in: H. Lohmann / Th. Mattern (Hgg.): Attika - Archäologie einer 'zentralen' Kulturlandschaft, Philippika 37, Wiesbaden 2010, 231-244).
[2] Ein ausführlicherer Nachruf - ebenfalls von Moshe Amit verfasst - findet sich in: Aegyptus 59 (1979), 268-270. Eine Bibliographie des Werkes von Alexander Fuks fehlt in dem vorliegenden Band. Siehe dazu Deborah Levine Gera: Bibliography of the Writings of Alexander Fuks, Scripta Classica Israelica 5 (1979-1980), 2-7.
Dorothea Rohde