Eva Börsch-Supan (Hg.): Karl Friedrich Schinkel. Arbeiten für König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. (= Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk; Bd. XXI), Berlin: Deutscher Kunstverlag 2011, 723 S., durchgehend z.T. farbig bebildert, ISBN 978-3-422-06542-0, EUR 168,00
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"Habent sua fata libelli" - Bücher haben ihre eigenen Schicksale. Dass der Band zu diesem zentralen Bereich von Schinkels Schaffen jetzt erscheint, setzt den Schlusspunkt hinter eine fast 80 Jahre währende Geschichte der Widrigkeiten. Nachdem sich fünf Autoren vergeblich hieran versucht hatten, ohne über Entwürfe hinauszukommen, muss die Übernahme dieser Arbeit durch Eva Börsch-Supan, die bereits 1997 die grundlegende Monografie über Friedrich August Stüler [1] und 2003 den Band zu Schinkels Werken in Ost- und Westpreußen und im Großherzogtum Posen [2] vorgelegt hat, als ein echter Glücksfall bezeichnet werden.
König Friedrich Wilhelm III., dessen Regierungszeit fast die gesamte Schaffensperiode Schinkels umfasst, und Kronprinz Friedrich Wilhelm (IV.) waren die bedeutendsten Auftraggeber Schinkels. Während ersterer eher ein distanziertes Verhältnis zu den Künsten hatte, war der Kronprinz ein begeisterter, dilettierender Architekt, der - für einen Fürsten ungewöhnlich - ständig zeichnete und mit seinen Skizzen seine Architekten direkt oder indirekt lenkte (43, 51). In der Forschung ist das enge Verhältnis zwischen Schinkel und dem Kronprinzen bisher wenig bearbeitet; neben bloßen Vorschlägen und Ideenskizzen gab es auch gemeinsam erarbeitete Zeichnungen, deren eindeutige Zuschreibung oftmals schwierig ist.
Der enorme Umfang des Materials und die Detailfülle von Börsch-Supans akribischer Forschung zeigt sich bereits an äußeren Bedingungen: der Band wiegt drei Kilo. Auf über 700 Seiten umfasst er einige Hauptwerke Schinkels der Innen- und Außenarchitektur wie das Luisen-Mausoleum, darunter den "Neuen Pavillon" in Charlottenburg und die Bauten auf der Pfaueninsel als Arbeiten für den König Friedrich Wilhelm IV. (Teil II) sowie Arbeiten für den Kronprinzen wie die Anlagen in Charlottenhof, die Wohnung des Kronprinzenpaares im Berliner Schloss und frühe Raumausstattungen im königlichen Palais in Berlin und im Schloss Charlottenburg. Nicht minder bedeutsam sind die nicht ausgeführten Projekte, allen voran für das antikisierende Schloss Belriguardo, das Denkmal Friedrichs des Großen auf dem Mühlenberg oder das Antike Landhaus (Teil III). Doch sind es nicht nur große Bauprojekte, die Schinkel für seine königlichen Auftraggeber ausführte, auch eine große Zahl von Möbeln und anderen Ausstattungsgegenständen von Silberschalen bis zu Bilderrahmen wurde nach seinen Entwürfen gefertigt und bildete einen wichtigen Bestandteil der höfischen Wohnkultur. Der Stellenwert dieser Entwürfe für die Herausbildung neuer ästhetischer Maßstäbe des Kunstgewerbes in Preußen wird zunehmend erkannt und macht weitergehende Untersuchungen und einen gesonderten Band dringend notwendig. Da seine Realisierung indes in weiter Ferne liegen dürfte, ist Börsch-Supans Entscheidung konsequent, im vorliegenden Band auch jene Möbel und Ausstattungsgegenstände des Architekten aufzunehmen, die König oder Kronprinz bestellten oder ankauften.
Die Autorin ist bekannt für ihre äußerst umfassende und gewissenhafte Forschungsarbeit. Daher überrascht es kaum, dass sie ungeachtet der Fülle der bisherigen Literatur zu Schinkel grundlegend neue Erkenntnisse darlegen kann. Durch neue Quellenfunde kann sie beispielsweise nachweisen, dass, anders als bisher allgemein angenommen, Schinkel 1829 auf Betreiben des Kronprinzen zum königlich-preußischen Hofarchitekten ernannt worden war, wohl um damit dessen dienstliche Situation zu verbessern (33). Denn als Hofarchitekt erhielt Schinkel ab 1830 fast nur noch Aufträge für die Prinzen.
Ausführlich analysiert Börsch-Supan - annähernd monografisch - eines der bislang in der Literatur vergleichsweise wenig bearbeiteten Hauptwerke Schinkels: Den "Neuen Pavillon" in Charlottenburg (1824-25). Als ein dem Zeitgeist gemäßes, privates Refugium für Friedrich Wilhelm III. entworfen - und damit ähnlich dem Petit Trianon in Versailles - mutet seine streng kubische Gestalt überraschend modern an. Als Anregung diente Schinkel die nicht mehr erhaltene Villa Reale Chiatamone in Neapel (hier hätte sich der Leser eine Abbildung gewünscht), wo der König 1822 zu Gast war. Daneben schlägt Börsch-Supan auch Fontaines Entwurf für einen quadratischen Pavillon im Park von Mousseaux von 1808, Durands geometrischen, einstöckigen Musterentwurf von 1819 und Palladios Villa Ragona in Ghizzole vor (200). Wie das gleichzeitig entstandene Casino in Glienicke bezog sich der klassizistische Bau auch mit seiner Innenausstattung und dem Landschaftsbezug auf die Antike und Italien. Die Ausstattung ist verloren: Das Inventar wurde schon 1906 weitgehend beräumt, der Pavillon brannte im Krieg bis auf die Außenmauern aus. Umso lobenswerter ist Börsch-Supans Versuch. So konnte das durchkomponierte Innere nur anhand historischer Fotos, der Bauakten und Schinkels Zeichnungen rekonstruiert werden.
Den Höhepunkt der engen, kongenialen Zusammenarbeit und gegenseitigen Inspiration zwischen Schinkel und dem Kronprinzen und Peter Joseph Lenné als Gartenarchitekten bildet Charlottenhof. Konzipiert als ein antikisierendes Landhaus und klassizistisches Gesamtkunstwerk diente es als private Sommerresidenz des Kronprinzenpaars. Heinz Schönemann, einer der besten Kenner der Potsdamer Anlagen, interpretierte sie als "utopisches Gesellschaftsmodell". [3] So überzeugend Schönemanns Argumentation auch ist, scharfsinnig weist Börsch-Supan auf Unstimmigkeiten hin, die sie aus einem genauen Studium des Charakters der Anlage, aber auch aus neu erschlossenen Quellen herleitet. So sei die Paradiesbedeutung des Rosengartens nicht mit dem einst vom Kronprinzen entworfenen, sich erbrechenden Faun als Brunnenfigur vereinbar gewesen (hier hätte man gern erfahren, wo diese von Rauch 1839 ausgeführte Figur verblieben ist). Zudem widerspreche die Deutung des Hippodroms als Elysium dem Desinteresse Friedrich Wilhelms nach seiner Thronbesteigung und mache das Hippodrom allenfalls als Teil der antiken Landhausplanung plausibel, die dann zugunsten von Sanssouci aufgegeben werde (485). Zu keinem anderen Projekt hat der Kronprinz so viele Zeichnungen entworfen. Börsch-Supan vermutet, dass er die architektonische Gestalt vor der Grundstücksschenkung Weihnachten 1825 zunächst allein durchdachte, bevor er Schinkel hinzuzog (491). Detailliert beschreibt sie anhand der Skizzen die Genese des Entwurfs und der verschiedenen verworfenen Planungen auf der Suche nach der endgültigen Gestalt. Als eine Antwort auf Sanssouci erschafft Schinkel in Zusammenarbeit mit dem Kronprinzen in Charlottenhof den Ausgangspunkt für einen anmutigen preußischen Klassizismus.
Umfassender, kritischer und gründlicher sind das Zentrum von Schinkels Schaffen, insbesondere seine Bauprojekte Charlottenhof und der "Neue Pavillon", und seine Beziehung zu Friedrich Wilhelm IV. bisher nicht dargestellt worden. Die Einbindung auch der kunstgewerblichen Objekte und Entwürfe ist auch in diesem Zusammenhang nur konsequent und lobenswert. Der Band ist entsprechend der hohen Qualität des Deutschen Kunstverlags ausgestattet und sorgfältig editiert; die Fotografien und Reproduktionen sind hervorragend und beweisen aufs trefflichste wieder einmal mehr, dass schwarz-weiße Fotografien den farbigen nicht unterlegen sein müssen. Nicht zuletzt macht der elegante und prägnante Stil Börsch-Supans das Buch zu einem großartigen Lesegenuss.
Anmerkungen:
[1] Eva Börsch-Supan / Dietrich Müller-Stüler: Friedrich August Stüler: 1800-1865, hg. vom Landesdenkmalamt Berlin, Berlin / München 1997.
[2] Eva Börsch-Supan: Karl Friedrich Schinkel. Die Provinzen Ost- und Westpreußen und Großherzogtum Posen (= Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk; Bd. 18), München / Berlin 2003.
[3] Z.B. Heinz Schönemann: Theaterelemente in Karl Friedrich Schinkels Entwürfen für Charlottenhof, in: Mitteilungen der Pückler-Gesellschaft N.F. 6 (1989) (Festschrift für Martin Sperlich), 63-78.
Lucas Elmenhorst