Elizabeth Heineman: Before Porn was Legal. The Erotica Empire of Beate Uhse, Chicago: University of Chicago Press 2011, XII + 225 S., zahlreiche s/w-Abb., ISBN 978-0-226-32521-7, USD 35,00
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Eine Geschichte der deutschen Erotikindustrie? In vielen historischen Seminaren hierzulande würde ein solcher Gegenstand mit Sicherheit immer noch für erhobene Augenbrauen sorgen. Sehr zu unrecht, denn wie Elizabeth D. Heineman in Before Porn Was Legal zeigt, eignet sich Beate Uhse - die Person wie das nach ihr benannte Unternehmen - auf geradezu ideale Weise, eine "andere" Geschichte der Bundesrepublik zu schreiben: eine Geschichte, die die Haupt- und Staatsaktionen als bekannt voraussetzt und Themen wie Sexualität und Konsum den Vorrang einräumt. Dabei verliert Heineman die Politik keineswegs aus den Augen, denn Sexualität ist für sie "a site for learning liberalism" (2) und dementsprechend der Gegenstand, anhand dessen sie der gesellschaftlichen und politischen Liberalisierung der Westdeutschen nach 1945 nachgeht.
Before Porn Was Legal besteht aus vier großen Kapiteln, die chronologisch die "freizügig-prüden" 50er Jahre, das "Wirtschaftswunder im Schlafzimmer" der späten 50er, die "Sexwelle" der 60er und die "Pornowelle" der 70er Jahre zum Thema haben. Dazwischengeschaltet sind drei kürzere Kapitel, in denen Heineman den "Beate Uhse-Mythos" behandelt. Grundstein des späteren Unternehmens war die Schrift X, eine Broschüre, in der Uhse die Verhütungsmethode nach Knaus-Ogino allgemeinverständlich beschrieb und die sie auf dem Postweg vertrieb. Mit dem erwirtschafteten Gewinn baute sie ihre Produktpalette in den folgenden Jahren immer weiter aus. Als Versandhandel fiel ihre Firma nicht unter das Gesetz gegen die Verbreitung jugendgefährdender Texte und Bilder. Überdies garantierte der postalische Vertriebsweg den Kunden ein Maß an Anonymität, das Frauen wie Männern erlaubte, die Kataloge zu konsultieren und Produkte zu bestellen. Wie Heineman zeigt, richteten diese sich anfangs im Zeichen der "Ehehygiene" vor allem an verheiratete Paare, die auch die Mehrheit der Kunden stellten. Ohne die tradierten Geschlechterverhältnisse umstürzen zu wollen, besaßen die vertriebenen Schriften ein emanzipatorisches Potential, da sie die sexuellen Bedürfnisse von Frauen ernst nahmen und das gleichberechtigte Miteinander von Paaren betonten. Erst die Pornowelle der 70er Jahre führte Heineman zufolge dann zu einer einseitigen Ausrichtung an männlichen Konsumenten.
Wie schon Sybille Steinbacher in Wie der Sex nach Deutschland kam, argumentiert auch Heineman, dass die 50er Jahre wesentlich weniger prüde und repressiv waren als dies lange Zeit und zum Teil bis heute angenommen wird. [1] Während Steinbacher vom Schundkampf ausgeht und Beate Uhse als ein Beispiel heranzieht, dient Heineman dieses Erotikunternehmen als roter Faden. Seine Entwicklung wird jedoch breit kontextualisiert. Trotz mancher Unterschiede im Detail - so spricht Steinbacher vom Durchbruch zur "kulturellen Moderne", Heineman von "Liberalisierung" - bestätigen die beiden Studien einander weitgehend. Beide schwächen die Bedeutung des Schmutz- und Schundkampfes der Adenauer-Zeit ab, den ihnen zufolge kirchliche und rechtskonservative Kreisen trugen. Der Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung hingegen sei - wie der Erfolg der Erotikindustrie belegt - sexuell wesentlich liberaler eingestellt gewesen. Dies hätten die Gesetzesreformen der 60er und 70er Jahre lediglich nachvollzogen. Beide relativieren damit ein Stück weit Dagmar Herzogs bahnbrechende Studie Die Politisierung der Lust, in der sie die 50er Jahre als repressives Zwischenspiel zwischen der sexuellen Freizügigkeit der NS-Zeit (beschränkt auf heterosexuelle Arier) und der Sexwelle der 60er Jahre charakterisierte. [2] Zugleich jedoch verdanken sie ihr wesentliche Anregungen, denn Herzog war eine der ersten Historikerinnen, die auf die enge Verbindung von Sex und Politik hinwies. Vor allem zeigte sie, wie die Deutschen in Diskussionen über Sexualität ihre eigene Vergangenheit erinnerten und konstruierten. Heineman greift diese Erkenntnis auf und konkretisiert sie auf originelle Weise am Beispiel des Beate Uhse-Mythos, der ihr zufolge ein "vehicle for understanding German history" (163) war. Immer wieder passte Beate Uhse ihre Biografie geschickt den sich verändernden Zeitläufen an - so insbesondere ihre Tätigkeit als Pilotin der Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges. Da die Medien diese Narrative bereitwillig aufgriffen und weiterspannen, zeigen sie anschaulich, wie die Deutschen zu einem bestimmten Zeitpunkt über ihre Vergangenheit dachten.
Obschon Heineman in weiten Zügen eine sehr deutsche Geschichte erzählt, verweist sie erfreulicherweise immer wieder auf deren internationale Dimensionen. Wie sie zeigt, bezogen sich bereits die zeitgenössischen Akteure vielfach auf das Ausland - mal als abschreckendes Beispiel, mal als nachzuahmendes Vorbild. Eine sich besonders aufdrängende Parallele ist jene zum Playboy. Tatsächlich ist diese noch ausgeprägter als Heineman zulässt. Denn anders als sie meint, erforderte Hefners (den sie überdies fälschlich mit zwei f schreibt) Vorstellung von Vergnügen keineswegs die Aufgabe von "the constraints of marriage, family, and bourgeois respectability" (123). Wie die neuere Forschung zeigt, war der Playboy mehr als ein reines Männermagazin, nämlich ein wichtiges Forum zur Verhandlung von Themen, die von Geschlechteridentitäten und Konsum bis hin zu Feminismus und Homosexualität reichten. [3] Ganz ähnliche Bezugspunkte macht Heineman im Fall von Beate Uhse aus.
Da die Forschung zum Playboy zwar auf das Unternehmensarchiv zurückgriff, wirtschaftliche Gesichtspunkte aber nahezu vollständig außen vor ließ, beansprucht Heineman zu Recht, die erste sexualgeschichtliche Studie geschrieben zu haben, die auf Unternehmensakten basiert. Dennoch ist ihr Buch weit mehr als eine Unternehmensgeschichte (die von Heineman nicht angestrebt wird und für die es ihr auch an ökonomischem Tiefgang fehlt). So berücksichtigt sie neben den Konsumenten und der Konkurrenz von Beate Uhse auch den sich wandelnden gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen die Firma tätig war sowie den Schundkampf und die juristischen Maßnahmen, mit denen diese sich konfrontiert sah. Manche Themen werden aufgrund dieser Vielfalt nur angerissen oder in Kürze abgehandelt, so dass man sich mitunter mehr Details wünscht. Zumal die Sexualität droht bisweilen über der Politik aus den Augen zu geraten. Dennoch zeichnet sich Before Porn Was Legal durch die durchweg geglückte Verbindung von Sexual-, Politik-, Wirtschafts-, Unternehmens- und Konsumgeschichte aus, wobei diese Stränge konsequent nebeneinander hergeführt werden, ohne dass dabei die Erzählung auseinander fällt - wahrlich keine geringe Leistung.
Anmerkungen:
[1] Sybille Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011.
[2] Dagmar Herzog: Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, München 2005.
[3] Siehe Carrie Pitzulo: Bachelors and Bunnies. The Sexual Politics of Playboy, Chicago 2011 sowie meine Besprechung von Beatriz Preciado: Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im Playboy, Berlin 2012 in dieser Ausgabe der sehepunkte [http://www.sehepunkte.de/2012/12/21392.html].
Tobias Becker