Ulrike Ludwig / Barbara Krug-Richter / Gerd Schwerhoff (Hgg.): Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 23), Konstanz: UVK 2012, 372 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-86764-319-1, EUR 54,00
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Wie sich die Zeiten ändern: In den 1990er Jahren diskutierten wir das Phänomen 'Duell' vor dem Hintergrund der langlebigen Debatte um einen deutschen Sonderweg. Zwanzig Jahre später hat sich der Blickwinkel geweitet: Die kulturgeschichtliche 'Wende' rückt das Duell als epochenübergreifendes Gewaltphänomen in den Fokus von Historikern, Literaturwissenschaftlern, Anthropologen und Soziologen. Jetzt geht es darum, "die Spezifik des Duells als kultureller Praktik im Kontext sich wandelnder Wertesysteme zu erfassen" (14). Dafür tut einerseits der Rückgriff auf vormoderne Gesellschaften not, andererseits der Vorgriff auf spätmodern-zeitgenössische Verhältnisse unserer Tage. Denn nicht nur aus der Perspektive von Mittelalter- und Frühneuzeitspezialisten ergeben sich neue Fragen (Was war eigentlich so besonders am 'klassischen' Duell des langen 19. Jahrhunderts? Was verband es mit den Zweikämpfen früherer Zeiten, was unterschied es von diesen? Wie nahm es sich im Kontext anderer "Instrumente der Ex- und Inklusion" aus?). Auch und vor allem angesichts der jüngeren Debatte um Ehrvorstellungen, wie sie Migranten türkischer, pakistanischer oder albanischer Herkunft in westlichen Gegenwartsgesellschaften praktizieren, hat sich die Frage nach der "raumzeitlichen Verortung und kulturellen Bedingtheit von Ehre und Ehrkämpfen" (13) neu gestellt.
Solchen Fragen geht der Sammelband, der aus einer von Mitarbeitern Dresdener und Münsteraner Forschungsprojekte organisierten Tagung am Bielefelder Zentrum für Interdisziplinäre Forschung hervorging, auf beeindruckend dichte und konzentrierte Weise nach. In 25 Beiträgen werden disziplinäre "Ansichten zum Duell" vorgestellt, "Vor- und Frühgeschichten des Duells" erkundet, "Diskursfelder" aufgespannt, "Praktiken im ständischen Kontext" (von Fürsten, Adligen, Militärs, Handwerkern und Studenten) beleuchtet und "Darstellungskonventionen" in der bildenden Kunst und im Film analysiert. Allen Beiträgen liegt ein weiter Duell-Begriff zugrunde, wie ihn die Einleitung der Herausgeber skizziert. Es handelt sich dabei also nicht nur um das sogenannte klassische Duell, wie es als adlig-bürgerliche Konvention seit der Frühen Neuzeit entstand und im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt fand. Vielmehr werden, mithilfe eines phänomenologisch-praxeologischen Zugriffs, auch andere Formen ritualisierter Zweikämpfe einbezogen: die "Duelle bei muslimischen Jugendlichen in Deutschland", die zuweilen die Form von Massenschlägereien annehmen; Fechtkämpfe bis hin zu den Ultimate Fighting Championships, in denen Vertreter unterschiedlicher Kampfsportarten gegeneinander antreten; spätmittelalterliche Turniere und Gottesurteile; Kampfofferten europäischer Kaiser und Könige aus dem 16. Jahrhundert; Degenkämpfe, wie sie Soldaten, Bauern- und Handwerksburschen im 17. Jahrhundert mit- und untereinander ausfochten; studentische Rencontres und Duelle zwischen Offizieren.
Gemeinsam sind all diesen Formen der Auseinandersetzung zum einen die Männlichkeit der Beteiligten und zum anderen die Gewalttätigkeit, mit der hier vorgegangen wird. Beide Merkmale ziehen sich durch, vom Mittelalter bis heute. Man könnte, mit gewissen Abstrichen, auch die Jugendlichkeit der Teilnehmer hinzufügen: Handwerksburschen, Bauernsöhne, Studenten, türkische Power Boys, britische Internatszöglinge und die Jungen, die sich in Louis Pergauds Kinderbuchklassiker Krieg der Knöpfe ritualisierte Prügelorgien liefern, kommen allesamt aus einer Altersgruppe, die heute als Adoleszenz bezeichnet und mit besonderen Herausforderungen und Gefährdungen assoziiert wird. Schaut man sich die Rhetorik der Beleidigungen an, die den Prügeleien üblicherweise vorausgehen oder sie begleiten, fallen weitere Ähnlichkeiten ins Auge: Sowohl Pergauds Helden von 1912 als auch die muslimischen Jugendlichen von heute übertreffen einander in sexuellen Anspielungen und Angriffen, die fast immer auch weibliche Familienangehörige (Mütter, Schwestern) einbeziehen. Hier geht es offenbar um die Bestätigung dessen, was Männlichkeit und männliche "Ehre" im umfassenden Sinn ausmachen: die Fähigkeit und Bereitschaft, auf Frauen zuzugreifen, entweder attackierend-aggressiv oder beschützend-defensiv. Ob dies nur auf moderne Jungmänner-Kämpfe zutrifft oder auch in der Frühen Neuzeit und im Mittelalter bereits eine Rolle gespielt hat, wäre eine geschlechtergeschichtlich interessante und weiterführende Frage, die der Sammelband leider ebenso wenig systematisch verfolgt wie die in der Einleitung angesprochene Beziehung zu anderen Ex- und Inklusionsinstrumenten.
Dagegen überzeugt die Perspektive, das Phänomen 'Duell' zeitlich-sozial zu entgrenzen und damit die Vielfalt männlich-gewaltsamer Auseinandersetzungen in den Blick zu nehmen. Sie öffnet den Blick für übergreifende Strukturen und schärft die Aufmerksamkeit für spezifische Bedingungen und Konstellationen. Das hat viele Vorteile, die der Sammelband exemplarisch herausarbeitet und die im scharfsinnigen Beitrag von Monika Mommertz auf den Punkt gebracht werden. Er wirft allerdings auch die berechtigte Frage auf, ob man nicht besser den Begriff des 'ritualisierten Zweikampfs' als titelgebendes Konzept hätte wählen sollen. Die Herausgeber haben dem 'Duell' den Vorzug gegeben, aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen. Sie weisen zwar darauf hin, dass das Duell als "analytischer" Begriff, der einen 'idealen', an seiner klassischen Variante geformten Typ voraussetzt, zu eng gefasst ist. Zugleich aber halten sie an dem Begriff fest und mahnen lediglich an, "die Differenzen der beiden Konzepte [des phänomenologisch-praxeologischen und des analytischen] im Blick zu behalten" (17).
Was damit, gegenüber dem Begriff des 'ritualisierten Zweikampfs', gewonnen wird, erschließt sich nicht. Was verloren geht, ist die Sensibilität für die besondere Strahlkraft des Duell-Begriffs im europäischen-westlichen Raum. So wie das elisabethanische England eine gewichtige verbale Auseinandersetzung als duel bezeichnete, greifen US-amerikanische und deutsche Journalisten heute auf die Semantik des Duells zurück, wenn sie presidential debates oder die Wortgefechte von Kanzlerkandidaten Duelle nennen. Diese Semantik heißt es ernst zu nehmen, denn aus ihr erschließen sich nicht nur phänomenologische Differenzen (paradigmatisch im Konzept des Wettkampfs, oder in der Ausrichtung auf Sieg und Niederlage - beides war dem 'klassischen' Duell fremd), sondern auch zeit-, raum- und sozialtypische Imaginationen, Faszinationen und Obsessionen. Der Kampf um Begriffe und Bezeichnungen spiegelte schon im 18. und 19. Jahrhundert den Wunsch nach sozialen Grenzziehungen und ging für die adlig-bürgerliche Oberschicht erfolgreich aus: Sie ließ sich 'ihr' Duell rechtlich patentieren. Ob es im Gegenzug nicht auch auf eine politische Strategie der Einvernahme hinausläuft, wenn, wie in diesem Band, Massenschlägereien türkischer Jugendlicher oder Dorfbalgereien französischer Knaben als Duelle firmieren, sei dahingestellt. Der Begriff des 'ritualisierten Zweikampfs' wäre jedenfalls für alle Formen analytisch treffsicher und angemessen gewesen.
Ute Frevert