Rezension über:

Birgit Ulrike Münch: Geteiltes Leid. Die Passion Christi in Bildern und Texten der Konfessionalisierung. Druckgraphik von der Reformation bis zu den jesuitischen Großprojekten um 1600, Regensburg: Schnell & Steiner 2009, 488 S., 263 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-2174-8, EUR 89,00
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Rezension von:
Lorenz Enderlein
Kunsthistorisches Institut, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Lorenz Enderlein: Rezension von: Birgit Ulrike Münch: Geteiltes Leid. Die Passion Christi in Bildern und Texten der Konfessionalisierung. Druckgraphik von der Reformation bis zu den jesuitischen Großprojekten um 1600, Regensburg: Schnell & Steiner 2009, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 1 [15.01.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/01/21228.html


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Birgit Ulrike Münch: Geteiltes Leid

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Die Bewertung des Konfessionalisierungsprozesses für die sakrale Kunst des 16. Jahrhunderts hat sich in den letzten Jahren stetig gewandelt. Die Fokussierung auf die bildkünstlerischen Entwicklungen in den religiösen Lagern, wie sie noch Joseph Leo Koerners Buch zum protestantischen Kultbild von 2004 prägt, ist einem weiter gefassten Interesse für die Verflechtungen und die Vielschichtigkeit der Bemühungen um das religiöse Bild gewichen. Spätestens in den 1990er-Jahren hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Bildproduktion in mehrkonfessionellen Räumen letztlich vor dem Hintergrund einer Diskursgemeinschaft (Strecker) bewertet werden müsse - kürzlich mit der Mahnung verbunden, "konfessionelle (Forschungs-)vorurteile" (Wimböck) abzubauen. [1]

Mit der Dissertation von Birgit Ulrike Münch liegt nun ein Werk vor, in dem reformatorische und gegenreformatorische druckgrafische Zyklen zur Passion gemeinsam behandelt werden. Der programmatische Titel verweist auf die schon in den vorreformatorischen Bildfolgen wirksame Intention der Erzeugung von compassio bei den Gläubigen wie auch auf die kirchliche Teilung Mitteleuropas im 16. Jahrhundert. Dabei geht es Münch darum, die Entwicklung und Kontextualisierung nachreformatorischer Passionsikonografie konfessionsübergreifend nachzuzeichnen. Die Relevanz religiöser Parteienzugehörigkeit für die jeweiligen Werke wird in einer gleichsam archäologisch vorgehenden Materialaufarbeitung hinterfragt. Das Augenmerk der Autorin liegt dabei auf Darstellungen, die in Textmedien unterschiedlichen Typs eingebunden waren: illustrierten Bibeln, religiöser Erbauungsliteratur, Postillen, Katechismen, Flugschriften und Figurenbänden. Die Fülle des ausgebreiteten Materials erlaubt es, vorgeprägte Periodisierungen in der Kunst zu relativieren und im Gegenzug die einzelnen Bildprojekte auf ihre konfessionelle Prägung hin abzuklopfen.

In neun unterschiedlich gewichteten Kapiteln gibt Münch einen chronologischen Überblick über die gedruckten Passionsbilder vom Beginn der Reformation bis in die Zeit um 1600, ergänzt um Exkurse zur Übertragung von Passionsmetaphern in die konfessionelle Polemik und der Insertion von Passionsmotiven in Reiseberichte oder religiös inspirierte Kartenwerke. Der Schnitt um 1600 mag etwas willkürlich erscheinen, gerade im Hinblick auf die allmählichen und widersprüchlichen Veränderungen in Bildsprache und Ikonografie schon während des 16. Jahrhunderts, ist aber gerechtfertigt angesichts des ohnehin reichhaltigen Bild- und Quellenmaterials, das die Autorin gesichtet hat.

Einleitende Beobachtungen gelten den druckgrafischen Folgen zur Passion in den Jahrzehnten vor der Reformation. Sie lassen sich vor allem in Erbauungsbüchern nachweisen - eine Tatsache, die für die Verwendung der Bilder im Kontext spätmittelalterlichen Compassio-Verständnisses signifikant ist, ihre inhaltliche Konzeption und ikonografischen Eigenheiten mitgeprägt hat. Die Untersuchung unterschiedlicher Typen des Bild-Text-Verhältnisses belegt zudem, dass die Illustrationspraxis in der frühen Phase des Buchdrucks von vielen Zufälligkeiten abhängig war, merkantile Überlegungen die Entscheidung für oder gegen eine Illustration bestimmten oder nicht selten schon vorhandene Illustrationsfolgen in neue Buchkonzepte integriert wurden. Die (Bild-)Praktiken spätmittelalterlicher Passionsfrömmigkeit bilden die Folie, vor der sich die frühe Erbauungsliteratur im Umkreis Luthers entwickelt, die sich vor allem gegen Ablasswesen und Reliquienkult wandte. Die nun angestrebte Rückbindung des Bildrepertoires an die Evangelientexte führte in der Praxis oft einfach dazu, dass man aus dem vorhandenen Bildvorrat die passenden Szenen auswählte. So greifen etwa die Illustrationen von Luthers Passional, mit dem er katholische Andachtsbücher zu ersetzen suchte, Bildfindungen aus Dürers Passionszyklen auf.

Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Auswertung von Bibelillustrationen zwischen 1517 und 1600. Dies geschieht bewusst unabhängig von der jeweiligen sprachlichen Fassung des Textes und Fragen der konfessionellen Zugehörigkeit. Die Konfessionen, so das Ergebnis der Autorin, spielen im Herstellungsprozess von Bibeldrucken zunächst eine eher untergeordnete Rolle. Die Illustrationspraxis zeigt, dass sich die Verleger mitunter im gegnerischen Lager bedienten oder Buchprojekte in überkonfessioneller Zusammenarbeit entstanden. Einen Sonderfall der Bibelillustration stellte die noch im 16. Jahrhundert verbreitete Gattung der Bilderbibel dar, ein Buchtypus, der durch die Folge der Bilder strukturiert war, denen kurze Begleittexte in Vers oder Prosa beigeordnet wurden. Als besonders auf die neue Laienschicht zugeschnittenes Medium liefern die Werke in ihren Vorworten überdies ausführliche Begründungen für einen "korrekten" Bildgebrauch.

Die Neuorientierung gegenüber dem Phänomen der Passionsfrömmigkeit im Kontext der katholischen Reform und der Bilderfrage nach dem Tridentinum verhandelt Münch im umfangreichen sechsten Kapitel. Neben einigen Gemeinsamkeiten mit der protestantischen Bilddiskussion - etwa der Treue zum Bibeltext - konturieren sich die Unterschiede vor allem im Verständnis der Bildfunktionen. Auch im altgläubigen Milieu, so noch in den Kupferstichen von Benito Arias Montanos "Humanae salutis monumenta" (1571), greift man zunächst auf Dürers Bildlösungen zurück. Erst im späten 16. Jahrhundert, beispielsweise in Gerard de Jodes "Thesaurus veteris et novi testamenti" (1579/85), erneuern sich die bildlichen Referenzen. Aufschlussreich schließlich ist die Analyse der "Evangelicae historiae imagines" des Jesuiten Hieronymus Nadal (1595), einem der Schlüsselwerke gegenreformatorischer Bibelillustration. Die Autorin führt Nadals Auswahl und Gestaltung der Passionsszenen auf die Auseinandersetzung mit dem Illustrationsprojekt des Karthäusers Willem van Branteghem "Iesu Christi vita" (1537) zurück, das bezeichnenderweise auch im protestantischen Milieu zirkulierte. Der ikonografische Rekurs auf eine ältere Bilderfolge ist also selbst in dieser späten Phase noch konstitutiv für die Neukonzeption eines Zyklus, ohne dass kompositorische oder stilistische Eigenheiten übernommen werden mussten. Man hat es, das zeigt das Beispiel exemplarisch, mit komplexen Transfervorgängen und mehrdimensionalen Formen von Abhängigkeit zu tun.

Wenn Münchs Arbeit streckenweise einen heterogenen Eindruck vermittelt, liegt das vor allem daran, dass sich die Autorin - sicher auch der Menge des gesichteten Materials wegen - den Gegenstandsbereichen nicht mit gleichbleibender Intensität widmet. Über weite Teile des Buches reihen sich katalogartige Textbausteine, die sich auf eine kurze Charakterisierung der Publikationsprojekte und eine numerische Erfassung der Szenen beschränken, ohne dass weitergehende inhaltliche oder formale Fragestellungen am Bildmaterial entwickelt werden. Dem stehen dezidierte Positionierungen in aktuellen Debatten etwa zur Laiendidaxe, Emblematik oder der zeitgenössischen Mnemo- und Meditationstechnik gegenüber. Es bleibt Münchs Verdienst - und das ist sicherlich nicht wenig -, einen großen Teil der grafischen Passionszyklen im Jahrhundert der Konfessionalisierung systematisch erfasst, klassifiziert und beschrieben zu haben. Der gut ausgestattete Band leistet so einen Beitrag zu einer umfassenderen Bildgeschichte der frühen Neuzeit.


Anmerkung:

[1] Joseph Leo Koerner: The Reformation of the Image, London 2004; Freya Strecker: Augsburger Altäre zwischen Reformation (1537) und 1635. Bildkritik, Repräsentation und Konfessionalisierung, Münster 1998, 20; Susanne Wegmann / Gabriele Wimböck (Hgg.): Konfessionen im Kirchenraum. Dimensionen des Sakralraums in der Frühen Neuzeit, Korb 2007, 46.

Lorenz Enderlein