Gerson Moreno-Riaño / Cary Nederman (eds.): A Companion to Marsilius of Padua (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 31), Leiden / Boston: Brill 2012, XII + 354 S., ISBN 978-90-04-18348-3, EUR 128,00
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Der Verlag hat eine eigene Reihe für Companions zur vormodernen Kulturgeschichte des Christentums eingerichtet [1], für jene Kurzführer also in belebte Forschungslandschaften, die ein thematisch zentriertes Feld neuerer Forschungen für Studenten und ferner stehende Interessenten erschließen wollen. Hier wird ein solcher Wegbegleiter oder Reiseführer (es ist bereits der 31. Band der Serie!) zu einem der bekanntesten Theoretiker der Politik des Mittelalters vorgelegt, herausgegeben von zwei US-amerikanischen Politikwissenschaftlern, die sich bereits zuvor mehrfach mit dem italienischen Magister der Artes und Studenten der Theologie an der Universität Paris, Marsilius von Padua, beschäftigt haben. [2]
Der Blumenstrauß, der die Leser erwartet, ist bunt und üppig: Zwei Artikel blicken auf die Biographie des Marsilius. Frank Godthardt (The Life of Marsilius of Padua, 13-55) tut das allgemein und ausführlich mit besonderer Berücksichtigung des Italienzugs des deutschen Herrschers Ludwigs des Bayern und seiner römischen papstfreien Kaiserkrönung, deren phantasievolle Repräsentation in dem heute im Bayerischen Landtag zu findenden historistischen Gemälde Augusts von Kreling (†1876) den bunten Einband des Buches jetzt ziert. Godthardt möchte in vielen Punkten, gestützt auf seine inzwischen erschienene Hamburger Dissertation [3] teilweise kräftig gängige Forschungsmeinungen revidieren. Nicht immer gerät das aber überzeugend, so etwa wenn (25-27) die zweifellos eilige Abreise von Marsilius und Jandun aus Paris nicht wie bisher zumeist auf Schwierigkeiten zurückgeführt werden soll, die der Autor des Defensor pacis beim Bekanntwerden dieses Textes bekam, sondern auf den ehrgeizigen Wunsch der beiden Pariser Magister, am Hofe des deutschen Herrschers Karriere zu machen.
Ein anderes Beispiel für eine leicht irreführende Revision ist die etwas umständlich verklemmte Interpretation (39ff.) des in einem Brief des Papstes Johannes' XXII. enthaltenen Vorwurfs, Marsilius sei in Rom pretextu vicariatus quem ibidem sibi per dictum Ludovicum commissum asserit gegen Kleriker und ihre Verwandten vorgegangen, was Godthardt nach verschlungenen Erörterungen nicht als Wahrnehmung eines Marsilius durch Ludwig aufgetragenen Amtes verstehen möchte, was doch der Wortlaut eigentlich nahelegt. Dass Marsilius gewiss niemals eine Bischofsweihe erlangt hat (43), hindert doch nicht die Annahme einer Übertragung eines kaiserlichen (!) Vikariatsamtes über römische Kleriker in weltlichen oder/und geistlichen Angelegenheiten, wie es Marsilius in Mailand kurz zuvor jedenfalls erhalten hatte und auch ausgeübt hat. [4] Von einer Übertragung der geistlichen Kompetenz des Papstes über seine Bischofsstadt (also des Amtes eines päpstlichen vicarius in spiritualibus in urbe) kann ja ohnehin auf keinen Fall die Rede sein, denn dieses Amt hätte der Kaiser gar nicht übertragen können und er hat es, soweit wir wissen, auch niemals zu übertragen versucht!
William J. Courtenay behandelt sodann (Marsilius of Padua at Paris, 57-70) erneut die Pariser Jahre des Marsilius. [5] Er leistet eine präzise Auslegung der wenigen spröden Zeugnisse, etwa der Suppliken aus den (heute verlorenen, aber zumindest teilweise wieder rekonstruierbaren) "Suppliken-Rotuli" der Pariser Universität an die päpstliche Kurie in Avignon oder von päpstlichen Schreiben des diplomatischen Verkehrs, denen hier mit Scharfsinn und Umsicht ein Maximum an Informationen über den Wandel der politischen Absichten des jungen Marsilius und auch zur Pfründenkarriere des Paduaners abgewonnen wird.
Takashi Shogimen (Medicine and Body Politic in Marsilius of Padua's "Defensor pacis", 71-115) stellt einen bisher nur selten behandelten Hintergrund des politischen Denkens des Marsilius vor, seine medizinischen Vorstellungen, wie sie sich in seinem Studium entwickelt haben mochten und wie sie im Defensor pacis bisweilen (aber doch höchst selten) aufscheinen. Shogimen, der sich bisher meist mit verschiedenen Aspekten der Sozialtheorie des Franziskanertheologen Wilhelm von Ockham beschäftigt hat, legt hier eine eindringliche Untersuchung der traditionellen Bezüge einer anderen Fakultät auf politische Theoriebildung vor, was die Breite des Gesichtsfeldes für politische Fragen an der mittelalterlichen Universität wieder einmal sichtbar macht.
Die beiden Herausgeber Gerson Moreno-Riaño und Cary Joseph Nederman greifen die zentralen Absichten des Defensor pacis heraus, wenn sie in einem gemeinsamen Essay "Principles of Secular Politics" vorstellen (117-138). Bettina Koch, die bereits mit ihrer Dissertation [6] Marsilius in der allgemeinen Geschichte des politischen Denkens zu verorten versucht hatte, geht dem Verhältnis von Kirche und Staat nach (Marsilius on Church and State, 139-179), ohne allerdings in ihren Darlegungen, die schließlich mit einem graphischen Schaubild (177) auch die Konzilstheorie des Marsilius veranschaulichen wollen, eigens die Frage aufzuwerfen, ob mit diesen "modernen" und hier "modern" verwendeten Begriffen die damaligen Institutionen wirklich bereits getroffen sind.
Theologische Überlegungen des Marsilius verfolgt Michael J. Sweeney (The Spirituality of the Church: Scripture, Salvation, and Sacraments, 181-227). Er behandelt nach seiner eigenen Aussage (184) "one of the least developed areas of his thought", lässt sich allerdings die Chance entgehen, die Auseinandersetzung des Theologen Ockham, des Mitexulanten des Marsilius am Münchener Kaiserhof [7], unter dieser Leitfrage schärfer in den Blick zu nehmen, in der es zumindest Ockham vorwiegend um theologische Fragen ging.
Generell betraf dieser Streit auch Probleme, die von kirchengeschichtlicher Seite durchaus Behandlung erfahren haben. Solche Studien aber sucht man hier vergeblich, ausschließlich Literatur zu Marsilius erscheint in den Nachweisen. Doch erhält man einen Überblick über sakramentale und ekklesiologisch-konziliare Vorstellungen des Paduaners.
Roberto Lambertini (Marsilius and the Poverty Controversy in Dictio II, 229-263) berichtet umfassend, gestützt auf die hier weitgreifend wiedergegebene Diskussion der internationalen Forschung, über die vielbehandelten Wirkungen der "franziskanischen Frage" auf die Theorie(n) des Marsilius. Damit wird deutlicher, was der Paduaner diesem lebhaften und fast allgegenwärtigen Streit der Zeitgenossen verdankt. Auch ruft das wiederum Ockham und seine Freunde, die Franziskanerdissidenten und ihre kurialen sowie dominikanischen Gegner in Erinnerung und spiegelt so die Zeit, in der Marsilius wirkte. Hier kann man sich über die Argumente aller Seiten gediegene und präzise Auskunft holen.
Gianluca Briguglia (The Minor Marsilius: The Other Works of Marsilius of Padua, 265-303) geht mit erfreulicher Eindringlichkeit auf die "kleinen" Schriften des Marsilius ein, die nach Abschluss des Defensor pacis entstanden sind. Auch wenn nicht sämtliche Rätsel dieser Texte zu klären sind, entrollen diese Aufstellungen doch ein willkommenes Panorama der allzu häufig vernachlässigten "Nebentexte" des Marsilius. Schließlich wirft Thomas M. Izbicki noch einen knappen Rundblick auf die Wirkungen der Theorien des Marsilius (The Reception of Marsilius, 305-333), bleibt aber recht allgemein und pointillistisch. Er versucht auch nicht, spezifische Rückbezüge späterer Autoren auf Marsilius umfassend auszuloten. Nur beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass er bei seinen Bemerkungen zum Gebrauch, den Nikolaus von Kues vom Defensor pacis gemacht hat, fast völlig davon absieht, dass Gerhard Kallen [8] und ebenso Paul E. Siegmund [9] vor mehr als 5 Jahrzehnten eindeutig nachgewiesen haben, dass der Cusanus in der Concordantia catholica alle von ihm aus der aristotelischen "Politik" gebrachten Zitate nur indirekt zitiert hat, da er sie sämtlich (!) aus Marsilius bezog, den er also doch wohl sehr viel intensiver gelesen haben muss, als Izbicki das (315) zugestehen möchte: Mit einer abenteuerlichen und jedenfalls methodisch abwegigen Vermutung [10] will Izbicki die Bekanntschaft des Cusanus mit dem Paduaner minimieren. Man wird auch, so meine ich, überhaupt die Wirkungen des Marsilius auf die Debatten des Basler Konzils keinesfalls so gering einschätzen dürfen, wie das hier geschieht.
Die beiden Herausgeber geben am Ende noch einen kurzen Ausblick auf die Absicht ihres Bandes und auf die nach ihrer Meinung noch offenen Fragen, die der künftigen Forschung aufgegeben seien. Doch bleiben sie dabei wiederum recht allgemein und zudem ganz im Gefolge der schon 2006 angestellten und hier auch zitierten Überlegungen. [11] Einen Blick auf die benachbarten Traditionen jüdischer und islamischer Politiktheorie, wie sie für das Denken des Marsilius vor allem Vassileios Syros [12] seit einigen Jahren erfolgreich verfolgt, haben sie nicht ausdrücklich geworfen, dafür weisen sie vor allem auf die mit der Medizin damals eng verbundenen astrologischen Spekulationen hin, die freilich erst zu etwas späterer Zeit (vom 15. Jahrhundert an) in Europa wirklich allgemein verbreitet waren. Man wird den Band mit Gewinn benutzen können, sollte aber auf keinen Fall sich von ihm die Lektüre der Texte des Marsilius selbst verstellen lassen. Auch dieser Companion sollte einen Besuch dorthin nur begleiten, darf ihn jedoch nicht ersetzen.
Anmerkungen:
[1] Der Untertitel der Reihe heisst etwas vollmundig: A series of handbooks and reference works on the intellectual and religious life of Europe 500-1700.
[2] Insbesondere Cary Joseph Nederman, dem eine der wichtigsten Monographien der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts zu Marsilius zu verdanken ist: Community and Consent. The Secular Political Theory of Marsiglio of Padua's "Defensor Pacis", Lanham, Md. / London 1995; vgl. auch den Sammelband (mit überwiegend den gleichen Beiträgern, die auch hier antreten) Gerson Moreno-Riaño (ed.): The World of Marsilius of Padua (Disputatio, 5), Turnhout 2007.
[3] Frank Godthardt: Marsilius von Padua und der Romzug Ludwigs des Bayern. Politische Theorie und politisches Handeln (Nova Mediaevalia, Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter, 6), Göttingen 2011; vgl. Ders.: The Philosopher as a Political Actor - Marsilius of Padua at the Court of Ludwig the Bavarian: The Sources Revisited, in: Gerson Moreno-Riaño: The World of Marsilius of Padua (n. 2) (Disputatio, 5), 29-46.
[4] Alberto Cadili: Marsilio da Padova ammistratore della Chiesa ambrosiana, in: Pensiero Politico Medievale 3-4 (2005-2006), 193-225.
[5] Vgl. vor allem William J. Courtenay: University Masters and Political Power: The Parisian Years of Marsilius of Padua, in: Theoretische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters, Political Thought in the Age of Scholasticism (Studies in Medieval and Reformation Thought 103), hg. v. Martin Kaufhold, Leiden / Boston 2004, 209-223.
[6] Bettina Koch: Zur Dis-Kontinuität mittelalterlichen politischen Denkens in der neuzeitlichen politischen Theorie: Marsilius von Padua, Johannes Althusius und Thomas Hobbes im Vergleich (Beiträge zur politischen Wissenschaft, 137), Berlin 2005.
[7] Ockham zitiert und erörtert Thesen des Marsilius ausführlich mehrmals in III Dialogus I.iii-iv, jetzt (kritisch) ediert bei John Kilcullen / John Scott in: William of Ockham: Dialogus, part 2, part 3, tract 1 (Auctores Britannici medii aevi, 20), Oxford 2011, hier 237-353; zu Marsilius' Antworten im Defensor Minor vgl. im vorliegenden Band G. Briguglia (mit Rücksicht auf Ockham) behandelt, bes. 290ff.
[8] Herausgeber der kritischen Ausgabe: Nicolaus de Cusa: De concordantia catholica (Nicolai de Cusa Opera omnia, iussu et auctoritate Academiae Literarum Heidelbergensis edita XIV), Hamburg 21959-1964.
[9] Paul E. Sigmund: The Influence of Marsilius of Padua on XVth Century Conciliarism, in: Journal of the History of Ideas 23 (1962), 392-402, hier insbesondere 396-399.
[10] "The possibility also exists that Marsilius and Cusanus simply employed the same version of Aristotle's Politics, creating an impression of borrowing by the later writer from the earlier one." Izbicki beruft sich für diese observation auf James H. Burns, doch ist diese "positivistische" Aufhebung eines philologischen Nachweises einer durchgängigen Benutzung des Defensor durch keinerlei spezielle "Beobachtungen" am Text einer Plausibilität auch nur angenähert.
[11] Gerson Moreno-Riaño: The World of Marsilius of Padua (n. 2) (Disputatio, 5), 11-25.
[12] Er wird auf Seite XI einmal kurz und unspezifisch erwähnt, seine Heidelberger Dissertation erscheint aber nicht im Literaturverzeichnis (345).
Jürgen Miethke