Andrea Siegmund: Der Landschaftsgarten als Gegenwelt. Ein Beitrag zur Theorie der Landschaft im Spannungsfeld von Aufklärung, Empfindsamkeit, Romantik und Gegenaufklärung, Würzburg: Königshausen & Neumann 2011, 456 S., 24 Farbabb., ISBN 978-3-8260-4612-4, EUR 58,00
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Mit ihrer analytisch angelegten Untersuchung gelingt es der Landschaftsarchitektin Andrea Siegmund, eine komplex gefasste Theorie der Landschaft auf die Geschichte der europäischen Landschaftsgartenkunst des 18. und 19. Jahrhunderts zu projizieren und damit den Landschaftsgarten in seiner vielfältigen Auslegung geistesgeschichtlich zu erfassen. Ausgehend vom ästhetischen sowie sinnbildlichen Landschaftsbegriff liefert die Autorin eine Darstellung der unterschiedlichen Landschaftstypen, die im Sinne von Ideallandschaften in Bildern, in gartenkünstlerischen Ausdrucksformen sowie in übergeordneten Bedeutungs- und Werteebenen die variablen Erscheinungsformen des Landschaftsgartens prägen. Die Publikation geht auf Siegmunds an der Technischen Universität München 2010 angenommene Dissertation zurück.
Gegliedert in zwei Teile entfaltet Siegmund den theoretischen Landschaftsbegriff in seiner hermeneutischen Komplexität und entwickelt ausgehend von der Fragestellung nach einer umfassenden und erweiterungsfähigen Systematik ein auf das ideelle Landschaftskonzept ausgerichtetes Modell. Verankert in den epochengeschichtlichen Begriffen der Aufklärung, Empfindsamkeit, Romantik und Gegenaufklärung erarbeitet Siegmund für die Landschaftsgartenkunst ein Modell, das Landschaft typologisch begreift und die im jeweiligen Gesamtkontext enthaltenen Bilder und Sinnebenen analytisch differenziert.
Zur Grundlage ihrer Thesen macht die Autorin die unterschiedlichen Sinnfunktionen von Landschaft, denen wiederum differente Denkstrukturen oder Weltbilder der Moderne zugrunde liegen. Darüber hinaus erweitert Siegmund den imaginären bzw. anschaulichen Landschaftsbegriff um den Aspekt der Landschaftserfahrung und fordert damit ebenso die Rezeptionsästhetik heraus, über die das Gartenkunstwerk-Betrachter-Verhältnis in den Fokus der Betrachtung gerückt wird. Darüber hinaus distanziert sich Sigmund von zeitlichen und räumlichen Abgrenzungen in Bezug auf eine kategorische Einteilung der Landschaftsgartenkunst in stilgeschichtliche Kategorien, historische Phasen und landestypische Erscheinungsformen. Vielmehr versteht sich ihre Arbeit als analytische Darstellung des komplexen Bild- und Bedeutungsspektrums, um auf diese Weise "einen allgemeinen Bezugsrahmen als Deutungsschema" (18) zu entwickeln. Im Zentrum der Untersuchung steht dabei die Frage nach der philosophischen und sozialgeschichtlichen Sinngebung des Landschaftsgartens im 18. und 19. Jahrhundert, dessen ideelles Konstrukt sich auf unterschiedlichen Ebenen entfaltet.
Im ersten Teil A "Die Bilder im Landschaftsgarten" vermittelt Siegmund die im Landschaftsgarten ästhetisch begründete Kategorie "Landschaft" sowie die sinnstiftende Funktion, die dem künstlerischen Ordnungsprinzip zugrunde gelegt wird. Ausgehend von Joachim Ritters Aufsatz "Landschaft - Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft" (1963/1989) erweitert Siegmund den von Ritter dargestellten Ansatz um Bezugnahme auf Utopie-Theorien sowie auf die Ästhetiktheorie nach Kant, sodass im Ergebnis ein "Modell für die idealtypische Deutung nach Sinngehalten" (20) in Verbindung mit einer Ideengeschichte der Landschaftsgartenkunst entwickelt wird.
Dieses Modell beschreibt eine vierteilig differenzierte Typisierung "zur Deutung der Bilder im Landschaftsgarten" (88), die erstens "jeweils das zugrunde liegende Subjektideal in seiner Beziehung zur gesellschaftlichen Sphäre", zweitens "seine Integration in die Landschaftsvorstellung über das ästhetische Ideal sowie das daraus resultierende Bild idealer Landschaft", drittens "die Realisierung in den landschaftlichen Gartenszenen" (96) sowie viertens die Sinnhaftigkeit von Architekturstaffagen in den Gartenbildern beinhaltet. Damit erfolgt die Auslegung der Gartenbilder erstens vor dem Hintergrund sozialgeschichtlicher Zusammenhänge, zweitens auf der rezeptionsästhetischen Ebene, drittens im Hinblick auf die bildnerische Umsetzung und viertens hinsichtlich der Bedeutung von Architekturstaffagen, die eingebunden in ihr gartenkünstlerisches Gesamtbild Landschaft in einen übergeordneten ideellen Bedeutungskontext übersetzen.
Im zweiten Teil B "Die aufklärerische Konzeption des Landschaftsgartens" nimmt Siegmund Bezug auf die maßgeblichen philosophischen Theorien des 17. bis 19. Jahrhunderts, die besonderen Einfluss auf die Landschaftsgartenkunst genommen haben. Fokus bildet hier "allein der Aspekt der Sinnvermittlung durch Landschaftserfahrung und die jeweilige Form der Begründung" (21). Dabei projiziert Siegmund die Begriffe der Aufklärung, Empfindsamkeit, Romantik und Gegenaufklärung auf den sozialgeschichtlichen Bedeutungskontext der Landschaftsgartenkunst. Demnach fungiert der Landschaftsgarten als Spiegel unterschiedlicher Denk- und Gesellschaftsmodelle, die wiederum in idealtypischer Form zum Ausdruck kommen. In einem Tetraeder-Modell (380) stellt Siegmund einen Zusammenhang zwischen den Begriffen der Aufklärung, Romantik, Gegenaufklärung und Empfindsamkeit her, zu welchen die unterschiedlichen Interpretationsansätze von Natur und Landschaft in Beziehung gesetzt werden. Beispielsweise sind Romantik und Gegenaufklärung durch den "sinnstiftende[n] Bezug auf die Vergangenheit" miteinander verbunden, während die Aufklärung und die Gegenaufklärung ein "moralisch bestimmtes Gesellschaftsideal als eigentliche Utopie" beschreiben. Den "Bezug auf die erhabene Natur" stellen Romantik und Aufklärung einander gegenüber, während die Empfindsamkeit erstens "ästhetische Erfahrung als eigentliche Utopie" im Hinblick auf die Romanik beschreibt, zweitens die "gesellschaftseinigende Grundkonstante" eine Verbindung zur Aufklärung schafft sowie die "Idee des Organischen" den Weg zur Gegenaufklärung ebnet. Damit entwickelt Siegmund ein Repertoire, dessen man sich in Bezug auf die Landschafts(garten)kunst verschiedener Sinnentwürfe bedienen kann.
Abschließend führt Siegmund die vier Idealtypen von Landschaft zusammen, um ihre These zu begründen, dass das landschaftsgärtnerisch geforderte Gestaltungsprinzip "Vielgestaltigkeit" auf höchst unterschiedlichen Ebenen greifbar ist. Während das äußere Erscheinungsbild von Landschaft nur geringfügiger Änderung bedarf, um neue und andere Denkmuster zum Ausdruck zu bringen, kann auch der Garten des 18. und 19. Jahrhunderts ohne markante Verwandlungen "zum Ausdrucksmittel konträrer Weltentwürfe" (21) werden. Eben deshalb ist ein mehrere Bild- und Sinnebenen enthaltendes Typisierungsmodell erforderlich, das nicht allein von künstlerischen Gestaltungsprinzipien und anschaulichen Ausdrucksformen ausgeht, sondern sozialgeschichtliche und ideengeschichtliche sowie rezeptionsästhetische Aspekte gleichermaßen einbezieht.
In ihrer Zusammenfassung stellt Siegmund nochmals eine Gliederung ihrer Arbeit auf, in der sie ihre Methode schrittweise und die aufeinander aufbauenden Ergebnisse darin darstellt. Damit ermöglicht sie dem Leser eine unmittelbare und praktische Handhabung ihrer wissenschaftlich anspruchsvollen Untersuchung. Ihre differenziert aufgebaute Arbeit ergänzt Siegmund mit einer umfassenden Bibliografie sowie einem Abbildungsteil.
Siegmunds Arbeit zeichnet eine kritische Betrachtung der Forschungsliteratur zur Gartenkunst des 18. und 19. Jahrhunderts aus, von der ausgehend sie die kategorische Stilgeschichte in Bezug auf die Landschaftsgartenkunst in Frage stellt. Insgesamt gelingt es Siegmund, Landschaftsgartenkunst unter entsprechend angepassten ideengeschichtlichen sowie kunsttheoretischen Aspekten zu beleuchten. In der (Garten-)Kunstgeschichte wird dem Landschaftsgarten auf diese Weise eine neue Stellung eingeräumt, die historische, im Wesentlichen in der Philosophie und bildenden Kunst wurzelnde Maßstäbe einschließt und weiterhin als Konstrukt eines modernen Landschaftsbildes eine neue, aus Subjektidealen abgeleitete Systematik erfordert.
Sonja Geurts