Rezension über:

Ruthy Gertwagen / Elizabeth Jeffreys (eds.): Shipping, Trade and Crusade in the Medieval Mediterranean. Studies in Honour of John Pryor, Aldershot: Ashgate 2012, XXVI + 420 S., einige s/w-Abb., ISBN 978-1-4094-3753-6, GBP 75,00
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Rezension von:
Marie-Luise Favreau-Lilie
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Marie-Luise Favreau-Lilie: Rezension von: Ruthy Gertwagen / Elizabeth Jeffreys (eds.): Shipping, Trade and Crusade in the Medieval Mediterranean. Studies in Honour of John Pryor, Aldershot: Ashgate 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/21777.html


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Ruthy Gertwagen / Elizabeth Jeffreys (eds.): Shipping, Trade and Crusade in the Medieval Mediterranean

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Wie schon in der Antike, so war auch während des Mittelalters die Mittelmeerregion ein Raum, in dem Kaufleute, Pilger, Gelehrte, Künstler und Diplomaten friedlich agierten, während andere, politische Mächte wie Einzelpersonen, ihn als Kampfplatz zur Verwirklichung wirtschaftlicher oder politischer Interessen nutzten. Das Transportmittel schlechthin für die Beförderung von Menschen, Ausrüstungen und Waren, sowohl quer über das Mittelmeer als auch von der Küste ins Hinterland war das Schiff, und entscheidende Voraussetzung für die Fähigkeit zu kommerziell-kulturellem Austausch und zu maritimer Aggression war die Verfügungsgewalt über eine hinreichende Anzahl von Schiffen, deren technische Ausstattung (mit Rudern und/oder Segeln) über den Erfolg ihres Einsatzes entschied. Neben den Überfällen christlicher und muslimischer Piraten auf christliche und muslimische Handelsschiffe und dem Kaperkrieg der einen gegen eine andere mediterrane Seemacht wurde seit dem Ende des 11. Jahrhunderts das maritime Aggressionspotential im Mittelmeer durch jene Flotten gesteigert, die aus Genua, Pisa und Venedig zur Unterstützung der durch die römische Kirche sanktionierten, zunächst nur auf die Eroberung und Rückeroberung Jerusalems abzielenden, gegen die großen islamischen Mittelmeermächte gerichteten offensiven Kriege (Kreuzzüge) entsandt wurden und auch im Kampf gegen das von schismatischen Griechen regierte byzantinische Reich und insbesondere bei der Eroberung seiner Hauptstadt Konstantinopel zum Einsatz kamen.

Der seit 1974 an der Universität von Sydney lehrende australische Mediävist John Pryor hat sich in seiner bereits rund vierzig Jahre andauernden Forschungstätigkeit sowohl mit dem mediterranen Handel und seiner Organisation, also mit gewaltfreier Interaktion beschäftigt, als auch mit einigen Aspekten unfriedlicher Interaktion, der Kreuzzugsgeschichte.

Die Präsenz John Pryors in mehreren, miteinander korrespondierenden Forschungsfeldern - von bleibender Bedeutung sind seine Beiträge zur Erforschung der südfranzösischen Notariatsurkunden als Spiegel der Einbindung Marseilles in den Mittelmeerhandel des 13. Jahrhunderts und vor allem seine innovativen Studien zu den Rahmenbedingungen der Seekreuzzüge des 12./13. Jahrhunderts ins Heilige Land, zur mediterranen Schifffahrtsgeschichte und zur Praxis der Seereisen im Zeitalter der Kreuzzüge, nicht zuletzt seine wegweisenden Forschungen über Schiffbau und Schiffstypen im Mittelmeer, besonders über die byzantinische Dromone - lässt die vorzustellenden Aufsatzsammlung mit ihren auf die drei Abteilungen Schifffahrt, Fernhandel und Kreuzzug verteilten 20 Beiträgen erkennen.

Zunächst ein kurzer Überblick über die Themen, denen sich bekannte und weniger bekannten Autoren, Kollegen, Freunde und Schüler Pryors in diesem Band widmen: Der Sektion Schiffahrt zugeordnet sind die Aufsätze von Benjamin Z. Kedar (Prolegomena to a World History of Harbour and River Chains, 3-37), Hadas Mor (The Socio-Economic Implications for ship construction: Evidence from Underwater Archaeology and the Codex Theodosianus, 39-63), David Jacoby (An Unpublished Medieval Portolan of the Mediterranean in Minneapolis, 65-83), Richard W. Unger (Difficult Sources: Crusader Art and the Depiction of Ships, 85-104), Sergej Karpov (Les vices et la criminalité des marins vénitiens à bord des navires voyageant ver la Mer Noire, XIVe-XVe siècles, 105-114) und Ruthy Gertwagen (Byzantine Shipbuilding in the Fifteenth-century Venetian Crete: War Galleys and the Link to the Arsenal in Venice, 115-127).

Mit Aspekten des internationalen Fernhandels vom 10. bis zum 15. Jahrhundert beschäftigen sich die Beiträge von Yaacov Lev (A Mediterranean Encounter: The Fatimids and Europe, Tenth to Twelfth Centuries, 131-156), David Abulafia (Local Trade Networks in Medieval Sicily: the Evidence of Idrisi, 157-166), Lawrence V. Mott (Aspects of Intercoastal Trade in the Western Mediterranean: The Voyage of the Santa María de Natzare, 167-196), Laura Balletto (Brevi note su Pera genovese a metà del XIV secolo, 197-222) und Gabriella Airaldi (Genoa e Barcelona: Two Hypotheses for a "Global" World, 223-228).

Überproportional hoch ist die Zahl der Beiträge, die der Sektion "Kreuzzug" zugeordnet wurden, wobei der klassische Kreuzzug ins Heilige Land kaum eine Rolle spielt und einige Beiträge ganz offensichtlich nicht wegen ihres Inhaltes, sondern nur deshalb in dieser Abteilung gelandet sind, weil ihre Autoren ausgewiesene Kreuzzugshistoriker sind. Im einzelnen begegnen hier Bernard S. Bachrach (The Crusader March from Dorylaion to Herakleia, 4 July-ca. 2 September 1097, 231-254), Alan V. Murray (Sex, Death and the Problem of Single Women in the Armies of the First Crusades, 255-270), John E. Dotson (Caffaro, Crusade, and the Annales Januensis (sic!): History and its Uses in Twelfth-century Genoa, 271-288), John France (Mercenaries and Capuchins in Southern France in the Late Twelfth Century, 289-316), Thomas F. Madden (Triumph Re-imagined - The Golden Gate and Popular Memory in Byzantine and Ottoman Constantinople, 317-328), Mark Gregory Pegg (The Cathars and the Albigensian Crusade, 329-250), Amanda Power (The Importance of Greeks in Latin Thought: The Evidence of Roger Bacon, 351-378), Jonathan Riley-Smith (The Roles of Hospitaller and Templar Sergeants, 379-386) und Michel Balard (Buondelmonti and the Holy War, 287-396).

Die Vielfalt der in dem Band behandelten Themen lässt mehreres erkennen: Zunächst einmal bestätigt sich die bereits von John Pryor herausgearbeitete Abhängigkeit menschlichen und politischen Agierens, friedlicher und unfriedlicher Interaktionen von natürlichen und humanen Ressourcen, deren Statik und Variabilität. Unübersehbar ist leider eine gewisse Selbstbezogenheit vieler Autoren, die außerstande sind, die Relevanz des von ihnen bearbeiteten Themas für ein größeres Ganzes verständlich zu machen. Dass mancher von ihnen, darunter auch D. Jacoby, dessen Beitrag zumindest aus der Sicht der Rezensentin zum fachlich Besten in dem Band gehört, offenbar nur für ebenbürtige Spezialisten als imaginäre Leser schreiben möchte, ist sehr schade, sollte aber Interessierte nicht von der Lektüre abhalten. Erfreulicherweise gibt es aber auch andere (etwa B. Kedar, Y. Lev), die dem Leser freundlicher gesonnen sind und bei aller Liebe zum Detail die verständliche Darstellung von Zusammenhängen nicht vernachlässigen. Ein Verfallsdatum keinesfalls fürchten müssen jene Aufsätze, in denen bisher noch unveröffentlichte Archivalien ediert und, besser noch, um eine Übersetzung ergänzt werden. Eine solche Kombination von Edition und Übersetzung verdanken wir L.V. Mott (186-190, 190-193), der einen Schiffschartervertrag, den er in seinem Beitrag über die Küsten- und Binnenschifffahrt zwischen Barcelona und Sevilla analysierte und interpretierte, im Anhang (186-190, 190-193) auch publizierte (Archivo de la Corona de Aragon, Jaime II, Pergemino 120). Laura Balletto stellte vier in Genua ausgefertigte Notariatsurkunden aus den Jahren 1354, 1357 und 1358 bereit (211-221), die sie in ihren Ausführungen über den Schwarzmeerhandel Genuas um die Mitte des 14. Jahrhunderts und die Verhältnisse in der Kolonie Pera ausgewertet hat (A.S.G., Notai Antichi, cart 354/II, notaio Antonio di Ponzò, cc. 80r-81r; ebd. 358/II, notaio Pietro di Carpena, cc. 28v-29r, 34v-35r; ebd., cart. 361, notaio Raffaele de Guascho di Moneglia, cc. 153v-156r). Aber auch die Untersuchungen von S. Karpov und R. Gertwagen zur Sozial- und Kriminalgeschichte der venezianischen Schifffahrt und zum venezianischen Schiffbau auf Kreta, die in wesentlichen Teilen auf Nachrichten aus den venezianischen Behördenakten des 14. und 15. Jahrhunderts beruhen, werden längerfristig von Nutzen sein.

Neben durchaus brauchbaren, wenn auch meist sehr stark spezialisierten Abhandlungen finden sich in der Sektion "Kreuzzug" leider auch Beiträge, die man, um es freundlich auszudrücken, als weniger geglückt bezeichnen muss. Sie stammen von Autoren, die sich außerhalb der Kreuzzugsforschung durchaus einen Namen gemacht haben (J. Dotson, B. Bacharach), aber aus unerfindlichen Gründen trotz ihrer Unkenntnis der aktuellen Forschungen im Bereich des von ihnen bearbeiteten Themas Beiträge abgeliefert haben, die in der vorliegenden Form besser nicht gedruckt worden wären. Ihnen hätte schon ein Rückgriff auf die einschlägigen Artikel in dem vor wenigen Jahren erschienenen Nachschlagewerk zur Kreuzzugsforschung [1] als Ausgangspunkt weitergehender Recherchen geholfen. Es ist schade, dass Ruthy Gertwagen als Herausgeberin außerstande war, ein annähernd gleichmäßiges Niveau aller Beiträge zu erreichen.

Es hat den Anschein, dass gegenwärtig nur in den Themenfeldern "Schifffahrt" und "Kreuzzug" neue Akzente gesetzt werden, aber vermutlich ist dieser Eindruck der Auswahl der Autoren geschuldet. In der Tat lieferten einige jüngere Autoren überdurchschnittlich anregende Studien (Hadas Mor, und M. G. Pegg, A. Power): hier ein überzeugendes Plädoyer für die Bedeutung des Beitrags der Unterwasserarchäologie auch in Verbindung mit Schriftquellen zur Erforschung des mediterranen Schiffbaus, dort eine Hinwendung zu zwei von der bisherigen Kreuzzugsforschung eher vernachlässigten Themen: zur Bedeutung gelehrter Franziskaner für die Wahrnehmung der Griechen im lateinischen Europa in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, und zur Erprobung wahrnehmungs- und mentalitätsgeschichtlicher Methoden bei der Erforschung des Katharismus und des Selbstverständnisses seiner Anhänger.

Der schön gestaltete Umschlag des Bandes mit einer Luftaufnahme der Altstadt der israelischen Küstenstadt Akko - im 12./13. Jahrhundert eine für den internationalen Mittelmeerhandel sehr bedeutsame Hafenstadt an der Küste des Kreuzfahrerkönigreichs Jerusalem - verspricht einen gefälligeren, homogeneren Inhalt, als von einer solchen "Festschrift" erwartet werden darf. Der Band spiegelt die hinsichtlich des Niveaus und der Forschungsthemen in der Tat sehr heterogene und dazu sehr internationale, durch unterschiedliche Wissenschaftskulturen geprägte mediävistische Mittelmeerforschung in den Bereichen Schifffahrts-, Seehandels- und Kreuzzugsgeschichte nur unvollkommen, weil sein Inhalt bestimmt wird durch die zum Teil eingeschränkten Interessen und Kapazitäten der an dem Bande beteiligten Autoren.


Anmerkung:

[1] The Crusades. An Encyclopedia, ed. by Alan V. Murray, 3 vol., Santa Barbara 2007.

Marie-Luise Favreau-Lilie