Michael März: Linker Protest nach dem Deutschen Herbst. Eine Geschichte des linken Spektrums im Schatten des 'starken Staates', 1977-1979 (= Bd. 32), Bielefeld: transcript 2012, 420 S., ISBN 978-3-8376-2014-6, EUR 32,80
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Michael März hat sich in seiner Dissertation eines schwierigen Themas angenommen. Eine Geschichte der westdeutschen Linken nach 1977 zu schreiben, ist schon wegen deren extremer Zersplitterung eine Herausforderung. Der Autor hat zudem eine "Scharnierzeit" herausgegriffen, die bislang noch wenig erforscht wurde. Zwischen einer stark auf die RAF fixierten Geschichtsschreibung zur Neuen Linken und Arbeiten über die neu entstehenden Grünen sowie Protest- und Alternativbewegungen bestehen Lücken, zu deren Schließung Michael März nun einen wichtigen Beitrag geleistet hat.
Sein anspruchsvolles Vorhaben operationalisiert der Autor, indem er vier - überzeugend ausgewählte - "Protestphänomene" (387) aus nächster Nähe betrachtet: die Initiativgruppen von Angehörigen und Sympathisanten inhaftierter Terroristen, den spontaneistisch initiierten TUNIX-Kongress, das "Russell-Tribunal zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland" und den Kongress "für und über" den DDR-Dissidenten Rudolf Bahro. Indem er durchgehend und konsequent nach dem "Verhältnis Linker zum Staat" (54) fragt, gelingt es März, diese unterschiedlichen Phänomene plausibel miteinander in Beziehung zu setzen. Argumentativer Ausgangspunkt ist dabei die These, dass der Deutsche Herbst eine teilweise tiefe "Verunsicherung gegenüber dem Staat" (13) evoziert habe. Der Autor will deshalb klären, ob es nach dem Deutschen Herbst unter Linken zu einer weiteren Distanzierung vom Staat gekommen oder ob vielmehr eine Rückbesinnung auf demokratische und rechtsstaatliche Werte zu beobachten sei.
Die Gruppen von Angehörigen und Sympathisanten inhaftierter Terroristen durchliefen laut März nach dem Deutschen Herbst zunächst einmal einen "Ausdünnungsprozess" (196), da sich viele bisherige Unterstützer aus dem linken Spektrum von der Mitarbeit zurückzogen. Fortan hätten Sympathisanten des bewaffneten Kampfes auf der einen und Angehörige von Inhaftierten auf der anderen Seite getrennte Wege beschritten. Die Sympathisanten seien "unter den Einfluss der RAF geraten" (197) und teilweise selbst zu gewaltsamen Aktionen übergegangen. Die Angehörigengruppen dagegen hätten vor allem Unterstützung bei ausländischen Menschenrechtsaktivisten und internationalen Organisationen gesucht. Weder die Sympathisanten noch die Angehörigen seien indes von ihren antistaatlichen Haltungen abgerückt.
Auch dem TUNIX-Kongress attestiert März einen Hang zu "universellen Vorwürfen gegenüber dem Staat" (387). Allerdings hätten diese nur die Grundierung für eine vorwärtsgerichtete Aufbruchsperspektive gebildet: In einem geradezu selbstironischen Gestus hätten auf dem TUNIX-Kongress Spontaneisten und undogmatische Linke Abschied von alten Debatten genommen. Damit habe der Kongress eine "Initialwirkung auf die Annäherung von Spontis zur Alternativbewegung" (241) entfalten können. Dass diese Annäherung auch den Rückzug von direktem politischen Engagement bedeute, verdeutlicht März am Beispiel der Kongressinitiatoren. Wie diese hätten auch viele undogmatische Linke aus TUNIX den Impuls gezogen, "ihren Protest in (Lebens-)Praxis umzusetzen und Konflikten mit dem Staat fortan aus dem Weg zu gehen" (383).
Nicht weniger geriet laut März auch das Russell-Tribunal zu einer Abrechnung mit dem Staat. Dabei sei es, so der Autor, den Initiatoren der Veranstaltung durchaus um eine Aussöhnung der Linken mit dem Rechtsstaat gegangen: "Die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik sollte mehr Fürsprecher als bislang unter ihnen finden" (384). Die Unterstützer des Tribunals jedoch seien mehrheitlich vom "Wunsch nach einer Schuldzuweisung gegenüber dem Staat" (315) getrieben gewesen. Für sie hätten die "Schuldsprüche", die am Ende der beiden Sitzungsperioden gefällt wurden, die gleichsam offizielle Bestätigung ihrer staatskritischen bis antistaatlichen Vorbehalte bedeutet.
Mit dem Bahro-Kongress nimmt März schließlich eine Großveranstaltung in den Blick, die sich an staatlicher Unterdrückung in der DDR entzündete. Anstatt schlicht eine Solidaritätsveranstaltung für den inhaftierten Dissidenten Bahro abzuhalten, hätten die Veranstalter jedoch das thematische Spektrum erweitert und den Kongress "als eine Art Ost-West-Forum" (378) europäischer Linker angelegt. Am Verlauf der Veranstaltung sei deutlich geworden, wie wenig die Teilnehmer gewillt waren, von der Suche nach Alternativen zum westlichen Modell abzurücken. Am Ende des Kongresses habe aber auch das Bekenntnis gestanden, dass Sozialismus und Demokratie nur zusammen denkbar und anzustreben seien.
Insgesamt kann März mit seinen Fallstudien zeigen, wie nach dem Deutschen Herbst in einer "Mischung aus heftiger Repressionskritik und zaghafter Selbstkritik" Linke ganz unterschiedlicher Schattierungen "spektrumsübergreifend zueinander" fanden (390) - wenn auch unter Schwierigkeiten und lediglich punktuell. Die hierbei relevanten personellen und organisatorischen Netzwerke filigran ausgeleuchtet zu haben, ist eines der Verdienste seiner Studie.
Michael März ist ein äußerst detailreiches und anregendes Buch gelungen. Der übersichtliche Aufbau gewährleistet eine gute Handhabbarkeit. Der Band bietet eine lohnende Lektüre nicht nur zur Geschichte der westdeutschen Linken, sondern auch zu jener der Bundesrepublik in den Siebziger Jahren. Nicht zuletzt lässt die Studie auch weiteren Forschungsbedarf aufscheinen - gerade über die von März akzentuierte Frage nach dem Verhältnis Linker zum Staat hinaus.
Konrad Sziedat