Rezension über:

Verena Buser: Überleben von Kindern und Jugendlichen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Auschwitz und Bergen-Belsen, Berlin: Metropol 2011, 318 S., ISBN 978-3-940938-83-1, EUR 22,00
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Rezension von:
Magdalena Fober
Marburg/L.
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Magdalena Fober: Rezension von: Verena Buser: Überleben von Kindern und Jugendlichen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Auschwitz und Bergen-Belsen, Berlin: Metropol 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 4 [15.04.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/04/23319.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Verena Buser: Überleben von Kindern und Jugendlichen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Auschwitz und Bergen-Belsen

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Der nationalsozialistische Massenmord an den europäischen Juden schloss auch die Vernichtung jüdischer Kinder und Jugendlicher mit ein. "Das Schicksal der Kinder", so argumentiert Raul Hilberg, "lässt sich in vier Phasen darstellen. Die erste begann mit den frühen Einschränkungen. Dann folgte das Leben im Getto. Die nächste Stufe war das Aussortieren für Deportationen oder Erschießungen. Schließlich sieht man, wie auch Kinder getötet wurden." [1] Die Internierung und Ermordung von Minderjährigen in Konzentrationslagern gilt als "Höhepunkt nationalsozialistischer Mordpolitik" [2] und rückte in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus wissenschaftlicher Forschung [3]. In diesen Diskurs reiht sich auch die vorliegende Monografie ein.

Verena Buser untersucht in ihrem Werk, das eine überarbeitete Fassung ihrer Dissertation aus dem Jahre 2009 darstellt, die Alltagsgeschichte von Kindern und Jugendlichen in den Konzentrationslagern Auschwitz, Sachsenhausen und Bergen-Belsen. Hierbei fokussiert die Verfasserin diejenigen Faktoren, die zum Überleben der Kinder und Jugendlichen beigetragen haben - erwachsene Häftlinge, die Hilfe leisteten, und Initiativen, die von den Minderjährigen selbst ergriffen wurden, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Ferner stehen Alltagsstrukturen der Kinder und Jugendlichen in den Konzentrationslagern und die Reaktion der Minderjährigen auf diese Lebensrealität im Vordergrund der Arbeit. Als Forschungsgrundlage dienen der Autorin nahezu 100 Zeitzeugenberichte, die sie im Hinblick auf ihre zentralen Fragestellungen als "die einzigen aussagekräftigen Quellen" (28) betrachtet. Vor dem Hintergrund ihrer Quellenwahl thematisiert Buser die Problematik von Oral History-Zeugnissen als historisch valide Quelle und nähert sich im Sinne Christopher R. Brownings den Gemeinsamkeiten - dem "Kern der geteilten Erinnerung" [4] - der Selbstzeugnisse an. Hierbei berücksichtigt Buser insbesondere die divergenten und instabilen Rahmenbedingungen der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in den drei untersuchten Lagern und stellt ihren Analysen jeweils eine Kurzdarstellung dieser Hintergrundinformationen voran, was speziell für Leser und Leserinnen, die mit der Geschichte der Konzentrationslager weniger vertraut sind, von großem Interesse sein kann. "Doch trotz in allen drei Lagern ungleicher Existenzbedingungen", so stellt Buser fest, "existierten ähnliche Faktoren, die für das Überleben eines Großteils der inhaftierten Minderjährigen maßgeblich waren" (271). Eine schnelle "Anpassungsleistung" (272) an die Lagerbedingungen, die Unterbringung in einem Kommando mit leichterer Arbeit, die Protektion und Hilfsmaßnahmen erwachsener Häftlinge, "psychische Unterstützungsleistungen" (274), bestimmte Verhaltensweisen, aber auch schlicht "Glück und Zufall" (271) konnten Buser zufolge dazu beitragen, dass sich die Überlebenschancen der Kinder und Jugendlichen in den Konzentrationslagern erhöhten. "Deutlich wird [jedoch] ", so ihr Fazit, "dass die ehemals minderjährigen Häftlinge individuelle und subjektive Antworten auf die Frage nach den Gründen ihres Überlebens gefunden haben", so dass sich aus den Zeitzeugenberichten "allenfalls Gemeinsamkeiten" (271) herausfiltern ließen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese - von Buser aus der breiten Materialbasis präzise herausgearbeiteten - Faktoren die komplexen Strukturen innerhalb eines Konzentrationslagers deutlich werden lassen und ihr Werk zu einem interessanten und lesenswerten Beitrag innerhalb der Holocaustforschung machen.


Anmerkungen:

[1] Raul Hilberg: Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933-1945, Frankfurt a.M. 2011, 157.

[2] Barbara Distel: Kinder und Jugendliche im nationalsozialistischen Verfolgungssystem, in: Kinder und Jugendliche als Opfer des Holocaust, hgg. von Edgar Bamberger / Annegret Ehmann, Heidelberg 1997, 53-67, hier 53.

[3] Nicholas Stargardt: Witnesses of War. Children's Lives under the Nazis, London 2005; Beate Klarsfeld / Serge Klarsfeld: Endstation Auschwitz. Die Deportation deutscher und österreichischer jüdischer Kinder aus Frankreich. Ein Erinnerungsbuch, Köln u.a. 2008; Irith Dublon-Knebel (ed.): A Holocaust Crossroads. Jewish Women and Children in Ravensbrück, London 2010.

[4] Christopher R. Browning: Collected Memories. Holocaust History and Postwar Testimony, Wisconsin 2003, 46.

Magdalena Fober