Marco Kircher: Wa(h)re Archäologie. Die Medialisierung archäologischen Wissens im Spannungsfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit (= Historische Lebenswelten in populären Wissenkulturen; Bd. 7), Bielefeld: transcript 2012, 347 S., ISBN 978-3-8376-2037-5, EUR 32,80
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Mit der Umsetzung archäologischen Wissens für ein breites Publikum hat sich Marco Kircher in seiner jetzt veröffentlichten, im Fachbereich Vorderasiatische Archäologie vielleicht nicht ganz so glücklich angesiedelten Freiburger Dissertation von 2011 eines Themas angenommen, das bislang nur zögerlich in den Fokus der deutschen Altertumswissenschaften rückt. Kircher bringt das schon in seiner Einführung auf den Punkt (11): Während die Wissenschaft zwar das Fachwissen über die alten Kulturen produziere, sei sie an dessen Aufbereitung für eine größere Öffentlichkeit kaum beteiligt. So könne man beinahe von zwei parallel zueinander existierenden Arten von Archäologie sprechen, wobei die eine in abgeschotteten wissenschaftlichen Zirkeln betrieben werde, wohingegen die andere ein Bild in der Öffentlichkeit bediene, das in weiten Teilen nicht durch abgesicherte Erkenntnisse bestimmt sei. Kircher skizziert damit einen Zustand, der jahrzehntelang einfach so hingenommen werden konnte und größtenteils noch so hingenommen wird. In einer Zeit, in der mittlerweile jedermann mittels technischer Möglichkeiten eine beachtliche Zahl von Rezipienten mit seinem Wissen oder auch Unwissen erreichen kann und in der bei gleichzeitiger Abwertung und zunehmender Ökonomisierung ein wachsender Rechtfertigungsdruck auf den Wissenschaften lastet, birgt ein solcher Status quo freilich einige Sprengkraft in sich - geht es doch um nichts Geringeres als die Gefahr, "dass die staatlich finanzierten Forschungs- und Vermittlungsinstanzen wie Universitäten und Museen an gesellschaftlicher und politischer Relevanz verlieren" (13).
Wie geht Kircher angesichts solcher Brisanz an das Thema heran? Nach einem Vorwort steckt er in zwei einleitenden Kapiteln seine Ziele und Fragestellungen ab, klärt einige Begriffe und erläutert gewisse theoretische Grundannahmen sowie methodische Vorgehensweisen. Seine Zielsetzungen formuliert er dabei folgendermaßen (16 f.): Einen "Beitrag zum tieferen Verständnis der populären Wissenskulturen" und zur "verbesserte[n] Kommunikation zwischen Produzierenden und Vermittlern von geschichtlichem Wissen" möchte er leisten und zu einer Verringerung der "existierende[n] Kluft zwischen [...] 'Wissenschaft' und 'Medienbranche'" beitragen. Außerdem sollen sich den Archäologen Möglichkeiten eröffnen, "konstruktiv in die Vermittlung der Inhalte eingreifen zu können", um damit langfristig "dem Auftrag" nachzukommen, "eine breite Öffentlichkeit mit seriösen Informationen zu versorgen". Den Akteuren der Medien sollen hingegen Anreize vermittelt werden, die oftmals bestehende Diskrepanz zwischen inhaltlicher Korrektheit und ökonomischem Druck zu überbrücken. Um all das zu erreichen, möchte Kircher dem Leser eine "ausführliche Bestandsaufnahme des vielschichtigen Diskurses" als Basis anbieten.
Die Bestandsaufnahme beginnt der Autor zunächst damit, dass er sich in zwei Kapiteln ganz allgemein der Rolle der Medien und ihrem enormen Einfluss sowie den Formen und Akteuren der populären archäologischen Wissensvermittlung annimmt. Seine Erkenntnisse resultieren wesentlich aus einer Auswertung dafür als relevant erachteter Literatur, wobei es Kircher gelingt, zahlreiche Facetten der Thematik von unterschiedlichen Standpunkten aus zu beleuchten. Dazu gehören beispielsweise die generell bei den Rezipienten von Informationen spürbare Reduktion der Aufmerksamkeitsspanne und das damit zumindest teilweise verbundene Zurückbleiben von Bildungs- hinter Unterhaltungszielen bei der Aufbereitung archäologischer Themen in den unterschiedlichen Medienformaten. Des Weiteren werden etwa die fortschreitende Dominanz ökonomischer und kommerzieller Interessen oder das nach wie vor gängige Klischee vom Archäologen als Schatzgräber sowie ähnlich verzerrte Vorstellungen in weiten Teilen der Öffentlichkeit thematisiert. Insgesamt gelingt es Kircher damit recht gut, den Boden für seine eigentliche Analyse zu bereiten.
Diese nimmt die vier folgenden Kapitel ein und entwickelt sich aus jeweils drei Fallbeispielen innerhalb der Medienformate Ausstellungen, Fernsehen und Internet. Ergänzt wird sie durch die Auswertung von elf qualitativen Interviews, die Kircher mit Wissenschaftlern und Medienschaffenden (nicht aber mit Konsumenten!) geführt hat, und endet in einer Synthese und einem Ausblick. Insgesamt kristallisieren sich dabei recht deutliche Einsichten heraus, die der Autor aber lediglich als Tendenzen beschreibt. Spätestens an dieser Stelle hätte man sich aber dann doch eine etwas stärkere Positionierung Kirchers gewünscht, der das ganze Buch über nahezu ausschließlich die Rolle eines möglichst neutralen Betrachters von außen einnimmt und weitergehende Schlussfolgerungen, Wertungen und Lösungsansätze offenbar seinen Lesern überlassen möchte. Insofern nehme ich mir hier die Freiheit heraus, die von ihm zusammengetragenen Erkenntnisse aus eigener Perspektive zu deuten und zuzuspitzen. Das erscheint auch deshalb legitim, weil Kircher in seinem Ausblick teilweise drastische, aber zumeist nicht eigene Worte vor allem an die Fachwissenschaftler richtet und von ihnen eine stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit sowie Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit etwa mit Wissenschaftsjournalisten einfordert, um der drohenden Marginalisierung entgegenzuwirken (291-296).
Derartigen Forderungen ist in dieser allgemeinen Form sicherlich zuzustimmen, und es ist gewiss an der Zeit, mit der Vermittlung des selbst produzierten Wissens offensiver umzugehen. Kirchers Analyse lehrt bei genauerem Hinsehen aber auch - und vielleicht mehr als er es selbst zum Ausdruck gebracht hat -, dass dieses Zugehen auf die Öffentlichkeit schnell an seine Grenzen stoßen wird. Das hängt mit jenen Spielregeln zusammen, deren für meine Begriffe fast schon irreversible Verfestigung sich sehr schön an seiner Bestandsaufnahme ablesen lässt. So hat Kircher beispielsweise für seine Falluntersuchungen ausschließlich Beispiele ausgewählt, die höchst erfolgreich als Ausstellungen oder Dokumentationen gelaufen sind, was jedoch in extrem hohem Maße einem Zugriff auf erhebliche Finanzmittel, einem professionellen Marketing und einer mehr oder weniger ausgeprägten Inszenierung als Event geschuldet ist (283 nur kurz angerissen). Hier wäre es doch sehr interessant gewesen, parallel Ausstellungen oder Dokumentationen auf ihren Wirkungsgrad und Erfolg hin zu untersuchen, die sich auf wesentlich niedrigerem Level und mit einem höheren Anspruch bezüglich der Wissensvermittlung auf dem Markt behaupten mussten. In deutlichem Kontrast hätte man dann sehen können, dass es gewiss kein unendliches Wachstumspotenzial für die Platzierung archäologischer Themen in der Öffentlichkeit gibt, wenn sie denn nur spannend erzählt sind. Vielmehr zeigen die hohe Attraktivität eines ständig wiederkehrenden archäologischen Themenrepertoires oder die große Anziehungskraft der 'Alternativarchäologie', dass offensichtlich kein grundsätzliches Interesse an allen, sondern allenfalls an ganz bestimmten oder in bestimmter Weise aufbereiteten archäologischen Themen besteht. Im Internet, wo bloße Klicks immer mehr zum Gradmesser für Erfolg avancieren, lässt sich Ähnliches an zahlreichen Beispielen verfolgen, was auch bei Kircher ersichtlich ist, der auf das Scheitern fast aller strikt wissenschaftlich orientierten Portale zur Vorderasiatischen Archäologie hinweist (236).
Schlechte Aussichten also für diejenigen Fachvertreter der Archäologie, die sich nicht den Gesetzen dieses Marktes unterwerfen und in die Rolle eines kunden- und trendorientierten Dienstleisters drängen lassen wollen (s. dazu die Forderung auf Seite 284, dass "Universitäten ein Ort tiefergehender Reflexion über Neue Medien und gesellschaftliche Trends" sein sollen). Bildung - und im Falle der Archäologie: klassische Bildung - als eigenständiger Wert scheint unwiederbringlich ausgedient zu haben, und in einer Zeit, in der öffentliches Feedback und Bewertungen "immer wichtiger" werden und "vermehrt Expertenmeinungen ersetz[en]" (216) mag es vielleicht tatsächlich nicht mehr ganz so abwegig sein, dass die 'Schutzzäune' um Universitäten und staatliche Museen irgendwann eingerissen werden und auch hier die ökonomische Verwertbarkeit von Wissen vollends Einzug hält. Marco Kircher hat zu alledem eine ebenso wichtige wie nüchterne Bestandsaufnahme verfasst, die an erster Stelle die Vertreter der Altertumswissenschaften zumindest nachdenklich stimmen sollte.
Oliver Hülden