Rezension über:

François Baratte: Die Römer in Tunesien und Libyen. Nordafrika in römischer Zeit (= Sonderbände der Antiken Welt), Mainz: Philipp von Zabern 2012, 144 S., 141 Farb-, 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-4459-3, EUR 29,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stefan Ardeleanu
Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Rom
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Ardeleanu: Rezension von: François Baratte: Die Römer in Tunesien und Libyen. Nordafrika in römischer Zeit, Mainz: Philipp von Zabern 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6 [15.06.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/06/22328.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

François Baratte: Die Römer in Tunesien und Libyen

Textgröße: A A A

Die Forschung zur Africa Proconsularis wartet seit langem auf ein aktuelles Überblickswerk in deutscher Sprache. Dieses Desiderat wurde mit der hier anzuzeigenden Übersetzung eines französischen Bandes des Nordafrikaspezialisten François Baratte erfüllt. [1] Schon die Wahl des Publikationsmediums weist auf das Ziel hin, die breite Öffentlichkeit und studentische Leserschaft in Deutschland für dieses hierzulande stark vernachlässigte Themengebiet zu interessieren. Dies ist dem Autor mit einem verständlichen Text und guter Bebilderung zweifelsohne gelungen. Da selbst einige bereits angemahnte Übersetzungsschwierigkeiten und redaktionelle Einwände nicht über die hohe Qualität des Bandes hinwegtäuschen können, [2] soll hier eine auf Forschungsstand und -problematiken abzielende Bewertung des Inhaltes vorgenommen werden.

Bereits die Gliederung wartet mit einer interessanten wie ungewöhnlichen Schwerpunktsetzung auf: In der historischen Einführung (7-20) sind die drei Seiten zum vorrömischen Erbe knapp bemessen, allerdings wird immer wieder auf die symbiotische Komplexität zwischen vorrömischen und römischen Strukturen verwiesen (25). Besonders gut gelingt dies dem Autor in den Kapiteln zur Religion (72-80) und Kunst (82-95). In diesen Gebieten könnten die Forschungsmeinungen nicht konträrer sein; richtigerweise wird daher auf die Vielfalt der regional- und provinzialspezifischen Besonderheiten, wie die facettenreiche Gestalt Neptuns oder Caelestis in Afrika (77) oder die Lehmziegel-Bauweise (83) verwiesen. Im Gegensatz zur oft betonten Rolle der iulisch-claudischen Munizipalpolitik ist hier die Bedeutung der Flavier sowie jene Hadrians herausgestellt. Der nicht überrepräsentierten Glanzzeit unter den Severern folgt die Soldatenkaiserzeit, ehe die Spätantike in zwei Kapiteln inklusive Vandalen- und Byzantinerzeit (114-139) erörtert und die Endzäsur der Antike - entgegen der üblichen Periodisierung - nicht in das Jahr 435 n. Chr. gesetzt wird.

Bei der Wahl der Denkmäler gelingt es Baratte, die charakteristische Befundvielfalt der Proconsularis zu veranschaulichen, indem er explizit mit dem "Monumente- und Themenkanon" französischer aperçus bricht. Von seiner profunden Ortskenntnis ausgehend, streut der Autor kontinuierlich weniger bekannte Denkmäler wie Staudämme oder Brücken bei Siliana oder Haïdra, Salsamenta-Anlagen in Sullecthum, Horrea in Neapolis oder maritime Villen in Tripolitanien ein. Der Abschnitt zum Spielwesen (43-49) behandelt nur minimal die gut erschlossenen Bauten selbst und legt das Gewicht auf die Reminiszenzen dieses hundertfach rezipierten Alltagsbereichs in Mosaiken oder Skulpturen. Das Kapitel der Wohnhäuser (54-62), ein immer noch nur in Ansätzen erforschtes Feld, bricht ebenfalls mit der Tradition und fokussiert einmal nicht Ausstattung und Grundriss, sondern zum Beispiel die Rolle des Wassers und das Potenzial archäobotanischer Analysen bei der Frage nach der Gartengestaltung. Die Rauminszenierung, spezifische Funktionsräume wie die stibadia oder das chronologische Problem, das sich durch eine mehrfache Umnutzung ergibt, werden jedoch nicht vernachlässigt.

Dankenswerterweise finden sich neuere Forschungstendenzen durchgehend eingeflochten: Das gilt beispielsweise für die partielle Auflösung des Gegensatzes "Römer versus Einheimische" oder die eher mit Prosperität statt Niedergang konnotierte Bewertung der Spätantike. Neue Studien zur Keramik oder Öl- und Weinwirtschaft werden in bündigen Unterkapiteln vorgestellt und in ihrer weit über die Küsten Afrikas hinausreichenden Bedeutung unterstrichen. Obwohl die Vandalenzeit (131-134) sich mit keiner Abbildung vertreten findet, werden auch hier präzise zentrale Themen vorgestellt, die die Forschung in den letzten Jahren bewegt haben: Kontinuität statt Bruch hinsichtlich des Verhaltens der Eliten oder in der Wirtschaftsführung und ein differenziert-kritischer Ansatz bei der Frage nach der vermeintlichen ethnischen Bestimmbarkeit der Vandalen im Grabbefund. Das byzantinische Nordafrika (134-139) wird nicht nur anhand der Kirchen und Forts, die lange die Forschung prägten, sondern mit Blick auf urbane Gesamtorganismen und neue Phänomene wie innerstädtische Friedhöfe, wirtschaftliche Anlagen und Wandel der Verkehrsachsen thematisiert.

Wichtig sind auch die forschungsgeschichtlichen Exkurse, die für das Verständnis der Befundlage unerlässlich sind (23). Der Autor begnügt sich dabei nicht mit der Nennung dieses Basiswerkzeugs, sondern verweist auch auf Forschungsproblematiken und -lücken: Er fordert neue Studien zum antiken Klima (16) und bemängelt die Begünstigung der spektakulären Befunde aus dem 2.-3. Jh. n. Chr. mit der daraus resultierenden Vernachlässigung der jüngeren Phasen (23). Dem Leser wird jedoch nicht vorenthalten, dass mit neuen, diachronen Fragestellungen von Siedlungsgrabungen und Surveys seit kurzem ein Umbruch stattfindet (24; 98). Die knappe Literaturauswahl und die komplementäre Nennung der wichtigsten Autoren im Fließtext erleichtern dem Laien hierbei einen pragmatischen Einstieg.

Als Kritikpunkt ist die Beschränkung des Buches auf die Grenzen Tunesiens und Libyens zu nennen. Diese mittlerweile weit verbreitete Wissenschaftstendenz ist dem - im Verhältnis zu Algerien - deutlich besseren Forschungsstand in diesen Ländern geschuldet. Auch wenn die Proconsularis zeitweise nur einen Teil Algeriens umfasste, fehlen doch zentrale Bestandteile der Provinz wie die Cirtensis. Zudem wird der Begriff der "Romanisierung" bisweilen unpassend geführt (22, 24, 69). Obwohl Baratte zurecht anmerkt, dass dieses heikle Thema nicht im Rahmen des Buchs diskutiert werden könne, ist eines der umfangreichsten Kapitel (71-95) mit "Eine romanisierte Gesellschaft?" betitelt. "Romanisierung" kann jedoch weder der Antrieb für das Aufstellen von Weihinschriften, noch der Auslöser für die Kennzeichnung von Gräbern mit Stelen (66) oder für die Errichtung der hybriden Mausoleen von Ghirza (69) gewesen sein, wenn man die polylingualen Turmgräber oder zahlreichen Weih- und Grabinschriften aus vorrömischer Zeit beachtet.

Umso erfreulicher ist daher die ansonsten konsequent neutrale Handhabung von kontrovers diskutierten Bereichen wie der Datierung von Mosaiken (33, 64) oder der Nachweis einer "Provinzialplastik" (85-95). Ähnlich wird mit der Debatte um den Zeitpunkt der Teilung der Proconsularis (114) und mit dem Versuch, donatistische von katholischen Kirchen archäologisch zu unterscheiden (120), verfahren. Begrüßenswert ist die kritische Haltung, dass neue Forschung zur afrikanischen Keramik (106-110) zwar für Produktion und Handelswege entscheidende Hinweise geliefert hat, jedoch gleichzeitig dadurch die Skepsis bei der Bestimmungssicherheit von Amphoren und ihrem Transportgut gestiegen ist.

Mit der ausgewogenen Balance zwischen kultureller Vielfalt, materieller Besonderheit, komplexer Forschungslage und deren neutralen Bewertung hat Barattes Buch genau den neuralgischen Punkt getroffen, mit dem das immense Forschungspotenzial Nordafrikas knapp und dennoch präzise umschrieben werden kann. Insbesondere der universitären Lehre in Deutschland ist dadurch ein motivierender Einstieg zum antiken Nordafrika zur Hand gegeben, der zur weiterführenden Beschäftigung mit diesem wichtigen Gebiet des antiken Mittelmeers anregt.


Anmerkungen:

[1] François Baratte: L'Afrique Romaine. Tripolitaine et Tunisie, Paris 2012.

[2] Erwin Ruprechtsberger, in: Libyan Studies 43 (2012) 156-67; Lennart Gilhaus, in: H-Soz-u-Kult (2013), http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-1-179, 08.05.2013.

Stefan Ardeleanu