Stefan Schweizer / Sascha Winter (Hgg.): Gartenkunst in Deutschland. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Geschichte - Themen - Perspektiven, Regensburg: Schnell & Steiner 2012, 576 S., 385 Farbabb., ISBN 978-3-7954-2605-7, EUR 89,00
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Stefan Schweizer: Anthropologie der Romantik. Körper, Seele und Geist. Anthropologische Gottes-, Welt- und Menschenbilder der wissenschaftlichen Romantik, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2008
Sascha Winter: Das Grab in der Natur. Sepulkralkunst und Memoriakultur in europäischen Gärten und Parks des 18. Jahrhunderts, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2018
Jan Hirschbiegel / Sascha Winter / Sven Rabeler (Hgg.): Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Ein Handbuch. Abteilung II: Soziale Gruppen, Ökonomien und politische Strukturen in Residenzstädten. Teil 1: Exemplarische Studien (Norden), Ostfildern: Thorbecke 2020
Die Herausgeber beabsichtigen nichts Geringeres, als einen Gesamtüberblick der Gartenkultur auf dem deutschsprachigen Gebiet des Heiligen Römischen Reiches im Zeitraum von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart zu geben. Nach Hennebo und Hoffmann hat sich lange niemand an eine solche monumentale Aufgabe gewagt. Auch Schweizer und Winter treten deren Nachfolge nur teilweise an. Anders als ihre Vorgänger entschieden sie sich für einen interdisziplinären Querschnitt mehrerer Autoren. Der Band versammelt auf 560 Seiten 29 Beiträge von 26 Wissenschaftler/innen, die die Gartenkunst aus den Perspektiven der Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Landschaftsarchitektur, der Professions- und Institutionengeschichte, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und der Pflanzen-, Technik- und Wissenschaftsgeschichte darstellen. Materialität - Programmatik - Semantisierung, Gartenkunst als Gattung, Rezeption und Vermittlung und die Diskursiven und medialen Transformationen werden ebenfalls in eigenen Sektionen dargestellt.
Die Gartenkunst ist so vielschichtig, dass sich eine interdisziplinäre Herangehensweise zweifellos anbietet. Publikationen wie Weltbild Wörlitz über das Gartenreich von Fürst Franz I. oder die Versöhnung mit der Natur über die Garten- und Landschaftskultur der Französischen Revolution zeigen, wie ertragreich sich verschiedene Perspektiven zu einem komplexen Bild zusammenfügen lassen. Das vorliegende Buch kann hieran jedoch nur bedingt anschließen. Die heterogene Kulturregion und der lange Untersuchungszeitraum von ungefähr 500 Jahren ermöglichen es den Autoren kaum, auf 10-20 Seiten (inkl. Abbildungen) Bereiche wie die Garten-Philosophien, -Architekturen etc. vollständig darzustellen. Es entstehen je nach Wissensstand und Forschungsinteressen größere Auslassungen, die eine sinnvolle Synthese der Fragmente erschweren. Überzeugender wirken Beiträge, die den Zeitraum eingrenzen - wie die Beiträge von M. Köhler zur Professionsgeschichte und I. Lauterbach zum Garten im Innenraum und in der Malerei. Abgesehen von Aufsätzen, die sich inhaltlich auf wenige Gärten beschränken (z.B. M. Niedermeier), entgleitet zudem der Sinnkosmos der einzelnen Kunstwerke weitgehend - ein methodischer "Kollateralschaden". Das ambitionierte Versprechen, dass die Aufsätze "für sich selbst das Resultat wissenschaftlicher Forschung" (11) seien, wird nicht durchgehend eingelöst. Einige Aufsätze wie die Gattungsgeschichte der Gartenkunstliteratur (C.A. Wimmer), die weiblichen und männlichen Gartenwelten (A. Dorgerloh), die Betrachtung der ökonomischen Gartenbilanzen (J. Ebert), der Skulpturenprogramme (J. Wiener) und der Technikgeschichte des Gartens (J. Schwarzkopf) füllen zwar Forschungslücken, insgesamt werden Kompilationen des Bekannten" (11) entgegen der Ankündigung jedoch nicht vermieden.
Auch stoßen die Herausgeber bei dem Versuch, die Gartenforschung neu zu kontextualisieren, an ihre Grenzen. Deutlich wird dies etwa bei der Behandlung der "Problematik einer nationalen Perspektive" - dem umfänglichsten Kapitel der Einleitung -, welche mitnichten "gut erforscht" (15) ist. Schweizer verwendet einige eingeführte Schlüsselbegriffe nicht, andere missverständlich. Während es beispielsweise üblich geworden ist, unter Nationen "vorgestellte Gemeinschaften" zu verstehen, benutzt er unkritisch die aus dem Zeitalter des Nationalismus stammende Formel von der "Selbstbewusstwerdung" der Nationen. In seinem Fachaufsatz zu Raumformen, Ornamentik, Stile(n) entgeht ihm (118), dass sich auch die Stilkategorien Hallbaums - der voraussetzt, dass es "im ganzen doch geschichtlich zu erwarten" [1] sei, dass ein Deutscher die nordische Gartenkunst vollende - innerhalb des nationalistischen Paradigmas der Zeit bewegen.
Der Nachholbedarf auf diesem Gebiet ist auch in anderen Aufsätzen erkennbar. In den Neuen Gegenstandsfeldern auf dem Weg von der Gartenkunst zur Landschaftsarchitektur wird behauptet, dass Heinrich Wiepkings bio-nationalistische Landschaftsfibel von 1942 "ganzheitliche Betrachtungen auf wissenschaftlicher Basis" (63) enthalte. Die Gärten der Philosophie und Ästhetik blenden in ihrem Sprung von Schopenhauer zu Adorno die nationalistische Gartenästhetik und Weltanschauung von einflussreichen Gartengestaltern und -theoretikern wie Paul Schultze-Naumburg und Wiepking vollständig aus. Auch in anderen Beiträgen entfällt die in Deutschland zeitweise hegemoniale Ästhetik. Erfreulich ist der Aufruf von S. Hennecke mit Verweis auf Willy Lange, sich "der Ideologisierung der Gartenkunst" (240) zu stellen. Gerade weil die erneut auf dem gartenhistorischen Forschungskolloquium des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Universität Hannover 2012 geforderte Überwindung des "nationalen Blicks" [2] angestrebt wird, hätte es eines Beitrags zum Nationalismus in der Gartenkunst bedurft.
Schweizers Diagnose, dass methodische Impulse in der Gartenhistoriografie "nur unzureichend zur Kenntnis genommen" (12) werden, ist grundsätzlich zuzustimmen. Dennoch muss festgestellt werden, dass das Instrumentarium, das zur Aktualisierung vorgeschlagen wird, seinen innovativen Zenit überschritten hat. Sowohl die Theorie des Kulturtransfers (Peter Burke) als auch das Konzept der Deutschen Erinnerungsorte (Etienne François) / lieux de mémoire (Pierre Nora) sind seit rund dreißig Jahren Bestandteil der Forschungslandschaft. Im Fall des an sich verdienstvollen Prinzips der Gedächtnisorte ist es zudem schwierig, es generell mit den "heutigen Ansprüchen an Geschichte" (14) gleichzusetzen. Laut François nimmt die Zahl der Historiker zu, die eine kritische Haltung gegenüber einer Gedächtnis-orientierten Geschichtsschreibung einnehmen [3] (ein Grund liegt übrigens darin, dass die Erinnerungsorte Nationen als "Kollektivindividuen" [4] betrachten und den Nation-Begriff eher verfestigen). Auch Burke sieht schon das "Ende des Lebenszyklus" [5] der Neuen Kulturgeschichte herannahen. Während Wissenschaftler wie G. Gröning und M. Niedermeier schon seit langem transdisziplinär arbeiten und dabei kulturwissenschaftlich relevante Arbeiten publizieren, bleibt Schweizer in seinem Text dagegen den Nachweis eines tieferen Eindringens in die Thematik ebenso schuldig wie sein Mitherausgeber Winter und andere Autoren. Es ist nicht zufällig, dass gerade der Beitrag von Gröning einen der raren Momente des Bandes enthält, in dem das einstige Anliegen der Neuen Kulturgeschichte und des Gedächtnisses aufblitzt, auch vergessenen Akteuren eine Stimme zu geben. Sein Appell für ein "neues Nachdenken" (166) über die Gemeinwohlverpflichtung städtischer Freiraumpolitik erinnert daran, dass das methodische Paradigma kein Selbstzweck war, sondern ursprünglich aus einem bestimmten gesellschaftlichen Engagement und Kontext heraus entstanden ist.
Eine Publikation mit so vielen hochkarätigen Autoren kann nicht scheitern, insgesamt leidet sie jedoch an ihrem überfrachteten Konzept und der dadurch erzeugten Erwartungshaltung. Der Anspruch, wie einst Hennebo und Hoffmann einen Meilenstein der Gartenhistoriographie zu setzen, kann weder methodisch noch inhaltlich eingelöst werden. Entstanden ist stattdessen ein "Kaleidoskop" (10) oder "Phantombild" (10) der Gartenkunstforschung in Deutschland - wie Adrian v. Buttlar in seinem Vorwort schreibt; einerseits ist es vielschichtig und aspektreich und daher lesenswert, andererseits ist es zu unvollständig und flüchtig gezeichnet, um - wie angestrebt - ein Porträt zu ergeben, das wie ein "homogenes Ganzes" (19) wirkt.
Anmerkungen:
[1] Franz Hallbaum: Der Landschaftsgarten. Sein Entstehen und seine Einführung in Deutschland durch Friedrich Ludwig von Sckell 1750-1823. München 1927, 260.
[2] Ulrich Beck: Die Neuvermessung der Ungleichheit unter den Menschen: Soziologische Aufklärung im 21. Jahrhundert. Eröffnungsvortrag zum Soziologentag "Unsichere Zeiten" am 6. Oktober 2008 in Jena. Frankfurt am Main 2008, 13.
[3] Etienne François / Uwe Puschner: Warum Erinnerungstage? In: Erinnerungstage. Wendepunkte der Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hgg. v. Etienne François / Uwe Puschner. München 2010, 13-24, 16.
[4] Etienne François / Hagen Schulze: Einleitung. In: Deutsche Erinnerungsorte. München 2001, 13.
[5] Peter Burke: Was ist Kulturgeschichte? Bonn 2005, 183.
Rainer Schmitz