Rezension über:

Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hgg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1949. 18. Juni 1948 bis 5. November 1949 (= Dokumente aus russischen Archiven; Bd. 4), Berlin: Duncker & Humblot 2012, CXXX + 736 S., ISBN 978-3-4281-3853-1, EUR 88,00
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Rezension von:
Bernd Bonwetsch
Ebeltoft
Empfohlene Zitierweise:
Bernd Bonwetsch: Rezension von: Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hgg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1949. 18. Juni 1948 bis 5. November 1949, Berlin: Duncker & Humblot 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/07/22871.html


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Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hgg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1949

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Mit dem fast gleichzeitigen Erscheinen der russischen und der deutschen Ausgabe des 4. Bandes der Aktenedition "Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1949" geht ein Unternehmen zur Erschließung sowjetischer Quellen zur Deutschlandpolitik zu Ende, das 1993 nach komplizierten Vorbereitungen durch einen Vertrag zwischen dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und der Historisch-Dokumentarischen Verwaltung des Moskauer Außenministeriums in Angriff genommen wurde. Die ersten drei Bände erschienen auf Russisch 1996-2003, auf Deutsch erschienen sie gleichzeitig 2004. Nach langwierigen Verhandlungen trat für die Vorbereitung des vierten Bandes aus praktischen und rechtlichen Gründen das Institut für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften 2008 als weiterer Vertragspartner hinzu. Moderiert wurden das Zustandekommen des neuen Vertrages ebenso wie die laufende, von Jochen Laufer und Aleksej Filitov vorgenommene Auswahl und Zusammenstellung der Dokumente durch die Gemeinsame Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen.

Diese Hinweise können nur andeuten, welche Schwierigkeiten bei der Erschließung von Dokumenten zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion immer wieder auftraten. Nun aber ist der letzte Band der Reihe erschienen. Er bietet 181 Dokumente für die Zeit von Juni 1948 bis November 1949, deckt in der Sache also die sowjetische Politik von der Zuspitzung der alliierten Differenzen über die Währungsreform und die Blockade Berlins bis zur Gründung der DDR und der Umwandlung der SMAD in die SKK ab. Dabei bieten die zahlreichen zur Kommentierung herangezogenen weiteren, aber nicht im Wortlaut veröffentlichten Dokumente im sorgfältig erarbeiteten Anmerkungsteil eine informative Ergänzung.

Im Unterschied zu den ersten drei Bänden ist das Spektrum der für den vierten Band herangezogenen Archive über das des Außenministeriums hinaus erweitert worden. Der Großteil der Dokumente stammt allerdings weiterhin von dort, wobei in einigen Fällen jetzt auch der bisher völlig gesperrte Telegrammwechsel zwischen Moskau und Berlin verwendet werden konnte. 34 Dokumente sind den unter Sonderverschluss stehenden Akten (insbesondere ZK- und Politbürobeschlüsse) des ehemaligen Zentralen Parteiarchivs und 18 den Beständen des Staatsarchivs der Russischen Föderation entnommen. Die betreffenden, besonders bedeutsamen Akten des Zentralen Archivs des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation blieben weiterhin unzugänglich, und aus dem Archiv der vermeintlich wichtigsten Akten der Sowjetzeit, dem Präsidentenarchiv, konnten nur magere zwei Dokumente veröffentlicht werden.

Erstens das bereits an anderer Stelle veröffentlichte Protokoll der knapp vierstündigen Unterredung zwischen Stalin und der SED-Führung vom 18. Dezember 1948. Es enthält bis auf Stalins Hinweise an die SED, die politischen Gegner moralisch skrupellos zu bekämpfen, in der SBZ eine eigene Geheimpolizei aufzubauen und dem Kominform vorerst nicht beizutreten, keine konkreten politischen Informationen. Das Protokoll zeugt vielmehr wie schon andere Protokolle derartiger Begegnungen davon, dass die SED-Führung "auf höchster Ebene" kaum Konkretes erfuhr. Das zweite Dokument aus dem Präsidentenarchiv sind vermutlich von Außenminister Molotov und anderen korrigierte Bemerkungen Vagan Grigor'jans, des Vorsitzenden der außenpolitischen Kommission des ZK der KPdSU(B), vom 12. September 1949 zu einer Ausarbeitung des Parteivorstands der SED zum Thema "Die Nationale Front und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands". Diesem Dokument kann man ebenfalls nichts Konkretes, aber doch eine nicht uninteressante Beobachtung entnehmen: Die Ausarbeitung der SED schien den Korrektoren in Moskau das Nationale offenbar zu sehr zu betonen. Die endgültige, vom Politbüro abgesegnete Stellungnahme vom 28. September 1948 (Dokument 161) bestätigt diesen Eindruck, wenn auch in abgeschwächter Form.

Will man einen Gesamteindruck der Dokumente formulieren, so ist festzustellen, dass es zu einer Vielzahl von Sachfragen neue Informationen gibt. Das betrifft die - häufig kritische - Berichterstattung und Beurteilung der Entwicklung in der SBZ durch Vertreter der SMAD, es betrifft einzelne Maßnahmen im Rahmen der Durchführung und Aufhebung der konsequent "Beschränkungen" genannten Blockade Westberlins einschließlich der Einführung der "Deutschen Mark", es betrifft sorgfältig gehütete Geheimnisse wie die bis dahin zumindest teilweise nicht erfolgte Zerstörung militärischer Objekte in der SBZ (Dokument 21) oder die Tatsache, dass noch im November 1948 eine formelle Demarkation der deutsch-polnischen Grenze in einer Moskauer Anweisung an Marschall Sokolovskij mit dem Argument verworfen wurde, dass auf der Berliner (Potsdamer) Konferenz die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu einer Friedenskonferenz verschoben worden sei (Dokument 67). Auch kann man erfahren, in welch unglaublicher Weise Außenminister Molotov im Oktober 1948 wegen seiner Stellungnahme zum Verfassungsentwurf des Deutschen Volksrates von Stalin gegenüber den Mitgliedern des Politbüros und gegenüber der SED-Führung desavouiert wurde (Dokumente 45-48) - eine der Etappen auf dem Weg zu seiner Ablösung am 4. März 1949.

Um es zusammenzufassen: Wer sich mit Einzelfragen der sowjetischen Politik in Deutschland und der SBZ beschäftigt, kann in dem Dokumentenband fündig werden. Wer allerdings die sowjetische Politik in "der deutschen Frage" klären will, bleibt in dem Dokumentenband ohne Antworten. Warum die Blockade begonnen und warum sie praktisch ohne sichtbar positives Ergebnis ein Jahr später beendet wurde, ob es um die Verhinderung der Bildung des westdeutschen Separatstaates oder aber um die Einverleibung Westberlins in die Ostzone ging, wieweit die Bildung des ostdeutschen Staates von langer Hand geplant und die auf Gesamtdeutschland zielenden Erklärungen und Maßnahmen nur Propaganda waren - all dies wird durch die publizierten Dokumente nicht klar. Sie können nur in einzelnen Fragen als Indizien herangezogen werden.

Insofern überrascht es, dass Jochen Laufer in seiner "Einführung zu den Dokumenten" behauptet, sie zeigten "weitgehende Übereinstimmung zwischen der SMAD- und der SED-Führung." Ulbricht, Ackermann, Semenov und Tjul'panov seien "1948 von einer bereits vollzogenen Teilung Deutschlands" ausgegangen. "Mit Zustimmung aus Moskau zielten SMAD- und SED-Führung auf die Fortsetzung und Sicherung der Umgestaltung in der SBZ. Gemeinsam strebten sie dabei die Einbeziehung ganz Berlins an". Der "Kampf um die Einheit Deutschlands" sei nur aus propagandistischen Gründen in den Vordergrund geschoben worden (XV). Das mag alles sein, aber den Dokumenten ist das so nicht zu entnehmen. Manches passt in eine solche Interpretation, manches nicht.

Der russische Bearbeiter Aleksej Filitov ist in seiner Interpretation der sowjetischen Deutschlandpolitik und der Beurteilung der publizierten Quellen sehr viel vorsichtiger und glaubt, aus den entsprechender Dokumenten beträchtliche sowjetische Bereitschaft zum Entgegenkommen herauslesen zu können. Er meint, die Blockade habe den Zweck gehabt, die Westmächte dazu zu bringen, die "Verwirklichung der Londoner Beschlüsse über die Bildung eines separaten westdeutschen Staates aufzuschieben" (LXX). Für ihn "zeugen die [...] Dokumente davon, daß die sowjetische Deutschlandpolitik in ihren Bemühungen, die Einheit Deutschlands zu bewahren [...] nicht nachließ", dass sie zugleich aber auch das Ziel verfolgte, das "in der SBZ Erreichte zu stabilisieren und zu konsolidieren" (XCVII). Dieser Gedanke von den "zwei Optionen" in der sowjetischen Deutschlandpolitik ist auch im Hinblick auf die zwangsläufige Widersprüchlichkeit ihrer Umsetzung sehr viel plausibler als Laufers These von Eingleisigkeit. Auch dafür gibt es Indizien in den Dokumenten - beweisen lässt sich allerdings nichts.

Im Hinblick auf die sowjetischen Absichten in "der deutschen Frage" ist weiterhin das meiste offen. Und es zeigt sich: Boris Meissners inzwischen 60 Jahre alter Klassiker Russland, die Westmächte und Deutschland. Die sowjetische Deutschlandpolitik 1943-1953, ist immer noch lesenswert.

Bernd Bonwetsch