Patrick Gilli / Jaques Paviot: Hommes, cultures et sociétés à la fin du moyen Âge. Liber discipulorum en l'honneur de Philippe Contamine (= Cultures et Civilisations Médiévales), Paris: Presses Universitaires Paris Sorbonne 2012, 413 S., ISBN 978-2-8405-0845-8, EUR 24,00
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Den achtzigsten Geburtstag des französischen Mediävisten Philippe Contamine würdigen seine Schüler mit einer Festschrift, die den recht unspezifischen Titel "Hommes, cultures et sociétés à la fin du Moyen Âge" trägt und von Patrick Gilli und Jacques Paviot herausgegeben wurde. Doch hinter diesen allgemeinen Stichwörtern verbergen sich Hinweise auf das umfangreiche Œuvre Contamines, dessen wissenschaftliche Arbeiten über den Hundertjährigen Krieg, Königtum und Adel in Frankreich wegweisend für die sogenannte neue Politikgeschichte im späten Mittelalter war und ist. Contamine hat bereits zu Beginn der 70er Jahre die Militärgeschichte als Gesellschaftsgeschichte aufgefasst und sich entsprechend den formellen wie informellen Figurationen der Macht gewidmet; er hat das Symbolische wie das Alltägliche des Kriegs untersucht, wobei aber seine wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen eine besondere Aufmerksamkeit erfahren haben.
Der vorliegende Band gliedert sich in vier Schwerpunktbereiche, die sich an den Forschungsinteressen Contamines orientieren: 1. Théorie et Pratique de la Politique; 2. Le monde de la culture et de l'université; 3. La société nobiliaire, la guerre, les ordres militaires; 4. Gestion et exploitation des territoires.
Dabei fällt auf, dass kaum ein Beitrag auf die Publikation von bislang ungedrucktem Archivmaterial verzichtet. Damit wird dieser Band zu einer reichen Fundgrube für alle Leser, die sich für das französische Spätmittelalter interessieren. Da hier die Beziehungen zu Nachbarn, Gegnern und Interessensgebieten wie Kirchenstaat oder Kreuzfahrerrepubliken wie selbstverständlich dazugehören, wird in zunächst übersichtlich wirkenden Mikrostudien ein Tableau europäischer Geschichte entworfen. So werden im Beitrag von Armand Jamme (69-105 mit Edition) anhand der Instruktionen, die Kardinal Pierre d'Estaing 1371 für das Regiment im Gebiet des Kirchenstaates vorschlägt, die Schwierigkeiten deutlich, vor denen das Papsttum in Avignon stand, bevor an eine Rückkehr nach Rom zu denken war. Eine andere Form von "instruction" stellt Xavier Hélary vor, indem er die Vorbereitungen auf das Gerichtsverfahren von Jeanne d'Arc anhand des "dossier de l'instruction" nachzeichnet. Er widmet sich damit einem der herausragenden Forschungsgebiete Philippe Contamines: Jeanne d'Arc.[1]
Zu Beginn des zweiten Teils wird von Patrick Gilli der Freundeskreis des Cino da Pistoia vorgestellt (143-158), während Jean-Michel Mehl dem Zusammenhang zwischen dem Schachspiel und der Gewalt in der mittelalterlichen Gesellschaft nachgeht (159-172). Jacques Verger beschließt dieses Kapitel mit einer Studien über Kardinal Simon de Brie und seine Legationen an die Universität von Paris zwischen 1264 und 1279 (173-188).
Den inhaltlichen Schwerpunkt dieser Festschrift bildet das dritte Kapitel: "La société nobiliaire, la guerre, les ordes militaires". Darin wird in acht dichten und materialreichen Studien das zentrale Forschungsinteresse von Philippe Contamine weiterverfolgt: Der Adel, der Krieg und die daraus entstandenen sozialen Figurationen, wie etwa die Adelsgesellschaften. Herausgehoben seien an dieser Stelle drei Aufsätze, deren Relevanz für die historische Forschung beträchtlich ist.
Zunächst richtet Thierry Lassabatère das Augenmerk auf Bertrand du Guesclin und seine Prägung durch die militärische Gesellschaft seiner Zeit (205-220). Die von Contamine analysierte "société militaire" Frankreichs im Spätmittelalter kann als im Kern permanent kriegführend ("noyau permanent de l'armée") beschrieben werden. Sie war zudem bestimmt durch ein starres Regiment von pedantischer Regelhaftigkeit ("le règne du règlement avec sa minutie tâtillonne").[2] Auf dieser Grundlage untersucht Lassabatère die Person Bertrands du Guesclin und seine "gloire fabriquée" bzw. grundsätzlicher, wie im 14. und 15. Jahrhundert die Konstruktion eines Kriegshelden vonstatten ging. Neben der Literarisierung durch die Chanson de Bertrand du Guesclin von Cuvelier, wird vor allem der Beitrag der Historiographie für die Stilisierung des Helden du Guesclin gewürdigt. Denn insbesondere Jean Froissart, der Chronist des Hundertjährigen Kriegs, wird als "fabricant de gloire" identifiziert.
Auch Olivier Bouzy greift mit seiner Studie zu den Toten der Schlacht von Azincourt (221-255) ein frühes Forschungsfeld von Contamine wieder auf. Dieser schrieb 1964 - und damit elf Jahre vor der berühmten Schrift von Georges Duby über die Sonntagsschlacht von Bouvines - anhand einer einzelnen Schlacht eine Gesellschaftsgeschichte Frankreichs im Spätmittelalter. Sein Schüler Bouzy legt nun eine aus verschiedenen Quellen zusammengetragene Liste aller bekannten (französischen) Toten der Schlacht von Azincourt vor, die er nach Name, Titel, Funktion, Verwandtschaft, Verbleib und Quellennachweis gliedert.
Zuletzt sei verwiesen auf den materialreichen Aufsatz des Herausgebers Jacques Paviot zu François de la Palud, einem rebellischen, savoyischen Adeligen, der exemplarisch für die Situation des Adels im 15. Jahrhundert im Dienst des Fürsten auf dem Schlachtfeld und am Hof insgesamt stehen kann (257-289).
Der vierte und letzte Teil des "liber discipulorum" ist der Wirtschaft und Verwaltung der Territorien gewidmet, wobei vor allem die Kommunikation zwischen Zentrale und Peripherie und ihre Verflechtungen im Mittelpunkt der drei Studien stehen. Hierbei wendet Jean-Luc Sarrazin den von Contamine entwickelten Begriff der "canaux anastomosés" [3] ausgesprochen fruchtbar auf den Salzhandel in der Baie de Bourgneuf an der Atlantikküste an (391-408).
Eine tabula gratulatoria schließt den inhaltlich am Werk von Philippe Contamine orientierten und in den einzelnen Beiträgen weiterführenden, dichten Band ab, an dessen Beginn eine biographische Skizze sowie ein umfangreiches Schriftenverzeichnis des Jubilars stehen.
Anmerkungen:
[1] An dieser Stelle sei auf die kürzlich erschienene Synthese der Forschungen über Jeanne d'Arc verwiesen: Jeanne d'Arc. Histoire et dictionnaire, hg . v. Philippe Contamine, Paris 2012.
[2] Philippe Contamine: Guerre, État et société à la fin du Moyen Âge. Études sur les armées des rois de France, 1337-1494, Paris 1972, 544-545.
[3] Philippe Contamine / et al. (éds.): L'Économie médiévale, Paris 1993, 405.
Ursula Gießmann