Holger Impekoven: Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Ausländerstudium in Deutschland 1925-1945. Von der "geräuschlosen Propaganda" zur Ausbildung der "geistigen Wehr" des "Neuen Europa" (= Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte; Bd. 9), Göttingen: V&R unipress 2012, 522 S., ISBN 978-3-89971-869-0, EUR 64,90
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Dieses Buch hält mehr, als sein Titel verspricht. Die Alexander von Humboldt-Stiftung erscheint auf dem Cover wohl vor allem deshalb, weil die Bekanntheit der heutigen Stiftung gleichen Namens Aufmerksamkeit garantiert. Tatsächlich aber untersucht Holger Impekoven die gesamte "deutsche Stipendienarbeit als Instrument auswärtiger Kulturpolitik" (34) zwischen 1925 und 1945. In diesem Zeitraum vergab die Alexander von Humboldt-Stiftung zwar die meisten Stipendien an ausländische Studierende, doch förderten auch zahlreiche kleinere Stipendienprogramme das Studium in Deutschland. Außerdem war die Humboldt-Stiftung seit 1931 in den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) eingebunden und seit 1941 Teil des neu gegründeten Deutschen Studienwerks für Ausländer. Insofern ist eine Darstellung der institutionellen Entwicklung der Humboldt-Stiftung nicht von der Geschichte dieser beiden Institutionen zu trennen.
Ab 1941/42 erhielten Impekovens Berechnungen zufolge jährlich etwa 1750 ausländische Studierende deutsche Stipendien - so viele wie nie zuvor. In der bisherigen Forschung [1] kaum thematisiert, ist die Förderung des Studiums von Ausländern im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs der Kern der durch die Zäsuren 1933 und 1939 in drei Hauptkapitel gegliederten Studie. Die wichtigste These lautet dabei, dass es während des Zweiten Weltkriegs "eine auswärtige Kulturpolitik im oder des Nationalsozialismus [...], aber auch eine spezifisch nationalsozialistische auswärtige Kulturpolitik" gegeben habe (263). Während erstere auf dem althergebrachten "Multiplikatorenprinzip" (41) basierte, also der Rekrutierung deutschfreundlicher Eliten in anderen Ländern diente, sollte letztere ein "Katalysator der Selektion zwischen rassisch unerwünschten und erwünschten 'Fremdvölkischen' sowie der 'Eindeutschung' der Letztgenannten" sein (262).
Impekoven argumentiert, dass die "Zielregion" (301) der Stipendienarbeit bedingt habe, welcher dieser beiden Modi auswärtiger Kulturpolitik gewählt worden sei: Aus den besetzten Ostgebieten und aus Nord-/Nordwesteuropa seien mithilfe der Stipendien Ausländer nach Deutschland geholt worden, die man "eindeutschen" bzw. "rückdeutschen" zu können glaubte. [2] Die Stipendienvergabe an Bewerber aus Süd- und Südosteuropa sei dagegen dem "Multiplikatorenprinzip" gefolgt.
Freilich ist zu fragen, ob Impekoven nicht unterschätzt, dass auch für die auswärtige Kulturpolitik gegenüber der zuletzt genannten Staatengruppe mit dem Konzept des "Neuen Europa" eine ebenfalls neue, an ältere Mitteleuropa-Konzepte zwar anschließende, aber von diesen dennoch klar zu unterscheidende Zielvorstellung vorlag. Impekoven hält die Europakonzepte der Nationalsozialisten mit Klaus Hildebrand lediglich für "täuschende Schminke" (369). Schminke waren sie sicherlich, doch das Adjektiv führt in die Irre: Nicht um zu täuschen, sondern explizit, um eine völkische Neuordnung Europas unter deutscher Hegemonie durchzusetzen, trug das NS-Regime europäischen Puder auf. Man kann daher argumentieren, dass die auf diesen Konzepten beruhende auswärtige Kulturpolitik ebenfalls nationalsozialistisch war.
Ergänzende Recherchen in Archiven in Süd- und vor allem in Südosteuropa wären in diesem Zusammenhang dringend nötig. Dies umso mehr, als die Gruppe der südosteuropäischen Studierenden im Deutschen Reich quantitativ äußerst bedeutsam war: Knapp 40 Prozent der Stipendiaten kamen aus Südosteuropa, und der Anteil der Südosteuropäer an allen in Deutschland studierenden Ausländern war in der Kriegszeit noch höher. Impekoven hat Bestände in 17 deutschen Archiven ausgewertet sowie darüber hinaus gedruckte Quellen und zeitgenössisches Schriftgut herangezogen und Interviews mit Zeitzeugen geführt. Doch das Kapitel, das sich der Förderung des Deutschlandstudiums südosteuropäischer Studierender während des Zweiten Weltkriegs widmet, beruht auf einer schmalen Quellenbasis, nämlich im Wesentlichen auf einem bereits in der Einleitung erwähnten und an anderer Stelle als "Schlüsseldokument zur deutschen auswärtigen Kulturpolitik während der ersten Kriegsphase" (300f.) bezeichneten Geschäftsbericht des Deutschen Studienwerks für Ausländer für das Jahr 1941/42.
Es ist daher zu hoffen, dass die insgesamt außerordentlich kenntnisreichen und anregenden Ausführungen Impekovens, die sich ob ihrer Detailgenauigkeit eher an die wissenschaftliche Community denn an den interessierten Laien richten, weitere Forschungen nach sich ziehen. Dass Impekoven sowohl den Wandel der deutschen auswärtigen Kulturpolitik im Laufe von 20 Jahren als auch die unterschiedliche Ausrichtung dieser Politik je nachdem, an welche Staaten(-gruppen) sie sich richtete, beschreibt und in überzeugende analytische Konzepte einordnet, hebt seine Studie von anderen Arbeiten zur deutschen auswärtigen Kulturpolitik in seinem Untersuchungszeitraum ab. Als Wegweiser für zukünftige Studien - nicht nur zur Förderung des Studiums von Ausländern in der Weimarer Republik und im 'Dritten Reich', sondern zur gesamten deutschen auswärtigen Kulturpolitik zwischen 1925 und 1945 - ist sie aus diesem Grund von immensem Wert.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Volkhard Laitenberger: Akademischer Austausch und auswärtige Kulturpolitik. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) 1923-1945, Göttingen u.a. 1976; Daniela Siebe: "Germania docet". Ausländische Studierende, auswärtige Kulturpolitik und deutsche Universitäten 1870 bis 1933, Husum 2009; Nicole Kramer: "München ruft!" Studentenaustausch im Dritten Reich am Beispiel der Akademischen Auslandsstelle München, in: Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze, Teil I, hg. von Elisabeth Kraus, München 2006, 123-180.
[2] Impekoven hat diese Interpretation in Anlehnung an Margot Blank: Nationalsozialistische Hochschulpolitik in Riga (1941 bis 1944). Konzeption und Realität eines Bereiches deutscher Besatzungspolitik, Lüneburg 1991, entwickelt.
Johannes Dafinger