Stephan Reinke: Kurie - Kammer - Kollektoren. Die Magister Albertus de Parma und Sinitius als päpstliche Kuriale und Nuntien im 13. Jahrhundert (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 30), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012, XIII + 475 S., ISBN 978-3-412-20472-3, EUR 49,90
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Biographische Studien bieten einen vielversprechenden Ansatz zur Annäherung an administrative Strukturen wie die der römischen Kurie des 13. Jahrhunderts, erlauben sie doch detaillierte Einblicke in den Verwaltungsbetrieb am päpstlichen Hof und die Umsetzung der dort formulierten Vorgaben an der christlichen Peripherie. Dabei vermag der Blick auf die Karrieren und die sich wandelnden Aktivitäten der untersuchten Protagonisten bisweilen auch in einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive Erkenntnisse zu liefern, die das Entstehen und Verfestigen institutioneller Strukturen in ihrer Verknüpfung mit der Tätigkeit einzelner Personen erhellen können. Besonders interessant sind solche Untersuchungen, wenn sie sich den Lebensläufen von vergleichsweise weniger gut erforschten Amtsträgern von nachgeordneter Bedeutung an der römischen Kurie des 13. Jahrhunderts widmen. Es ist daher zu begrüßen, dass sich Stephan Reinke in seiner aus dem durch Norbert Kamp initiierten Editionsvorhaben zu den Bassus-Protokollen hervorgegangenen Göttinger Dissertation den Karrieren der Kleriker Albertus de Parma und Sinitius, die als Skriptoren und Kollektoren im kurialen Zentrum und jenseits davon im päpstlichen Dienst standen, zugewandt hat. Erklärtes Ziel der Darstellung ist es, aus der exemplarischen Betrachtung ihrer Aktivitäten Erkenntnisse zur Arbeitsweise kurialer Behörden, insbesondere aber zum Phänomen der familiae und der Stellung der päpstlichen Nuntien zu gewinnen (1, 4f.).
Dem in der Einleitung (1-5) knapp umrissenen (und dabei leider nur ansatzweise in den Forschungskontext eingebundenen) Arbeitsvorhaben entsprechend gliedert sich die Untersuchung in drei Teile: während die ersten beiden den Biographien der Protagonisten gewidmet sind, rückt der letzte die systematischen Fragen in den Mittelpunkt.
Im ersten Teil nimmt der Autor das Leben des wohl in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts geborenen Albertus de Parma in den Blick (7-108), dessen Herkunft und verwandtschaftliche Verhältnisse er zunächst zu beleuchten sucht. Dass er dabei auch weitere Träger des Namens Albertus / Albertinus aus Parma sowie andere aus der Stadt stammende Personen im kurialen Umfeld des 13. Jahrhunderts in seine Analyse einbezieht, zeugt zwar von den intensiven Bemühungen Reinkes um eine ausgreifende Behandlung des Untersuchungsgegenstands, allerdings lassen sich die gesuchten Querverbindungen aus den Einzelbelegen nicht rekonstruieren, und so wirkt dieser Unterabschnitt wie ein aus dem intendierten Vorhaben herausgelöster Exkurs über die Präsenz der Parmesen am päpstlichen Hof des 13. Jahrhunderts: in seiner Aufbereitung durchaus interessant, aber im Sinne der Fragestellung wenig zielführend - ein häufig wiederkehrender Eindruck, den die Lektüre des Buches hervorruft. Ein dichteres Bild vermag der Autor von der nachweislich 1253 einsetzenden kurialen Tätigkeit des Albertus zu zeichnen. Nach seinen Anfängen als Skriptor in der päpstlichen Kanzlei übernahm dieser nach 1261 häufiger die Einforderung noch ausstehender Zahlungen durch Bischöfe an den Papst und das Kardinalskolleg. Dabei agierte er vornehmlich im Reichsgebiet nördlich der Alpen, ehe er Ende der sechziger Jahre im Kirchenstaat und - seit der Erlangung des Kanonikats an St. Peter zu Beginn der siebziger Jahre - schließlich in Rom seine Tätigkeit entfaltete. Dort dürfte er wohl bald nach 1289 verstorben sein.
Der zweite Teil thematisiert im Anschluss daran die Karriere des Sinitius, der in den 1220er Jahren in ein Abruzzeser Adelsgeschlecht hinein geboren wurde (109-225). Zugang zur römischen Kurie erhielt er offenbar durch den Kardinal Otto von Tonengo, zu dessen familia er gehörte. Ihm verdankte Sinitius, der wie Albertus ebenfalls zunächst als Skriptor tätig war, offenbar auch seine Verbindungen nach England, die für die Übertragung mehrerer Pfründen an englischen Kirchen ebenso ausschlaggebend waren wie wohl auch für seine spätere Tätigkeit als Kollektor. Diese führte ihn nicht nur nach Frankreich und auf die Iberische Halbinsel, sondern in den fünfziger und sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts mehrfach eben auch auf die Britischen Inseln. Er verstarb am 24. November 1278 ebenfalls in Rom.
Im dritten Teil greift Reinke schließlich die in den Biographien zusammengestellten Informationen auf, um zunächst Fragen zur Zusammensetzung, zum personellen Umfang und der Präsenz der familia der beiden Protagonisten während ihrer Reisetätigkeit zu beantworten (226-299). Breit versucht der Autor auch hier die wenigen Belege zu kontextualisieren. Er zieht die Prokurationsschreiben als Quelle zur Berechnung der Größe der Begleitung heran und kommt auf dieser Basis zum Ergebnis, dass sich für die personelle Stärke des Gefolges der Kurialen ein Verhältnis von 1 zu 1,5 von Pferden zu Begleitern ergibt (261-265; auch 308f.). Hinsichtlich der gleichfalls in diesem Teil behandelten Stellung der Nuntien plädiert Reinke auf der Grundlage des von ihm zusammengetragenen Materials für eine Klassifizierung, die sich von der überkommenen Aufteilung in prokuratorische und nichtprokuratorische Nuntien unterscheidet (294-299; auch 311). Tatsächlich waren die Kompetenzen - und damit auch die Stellung - jedes einzelnen päpstlichen Beauftragten ihren unterschiedlichen Aufgaben entsprechend zweifellos vielfältiger, als dass sie auf solch einfachem Wege differenziert werden könnten.
Die Ergebnisse der Untersuchungen werden in einem eigenen Kapitel zusammengefasst (300-312). Ein umfangreicher Anhang mit tabellarischen Übersichten, einer Auflistung von Peterskanonikern und Dokumenten (313-382) sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis (383-426) bilden den Schlussteil des Bandes, der von einem aus Orts- und Personennamen und vereinzelten Sachbegriffen bestehenden Register erschlossen wird (427-475).
Die Darstellung beeindruckt durch die Akribie, mit der der Autor die disparaten Quellen durchforstet, die Belege zusammengestellt und in den Fußnoten ausführlich dokumentiert hat. Auch der detaillierten Aufarbeitung einzelner Aspekte ist Respekt zu zollen: mit Gewinn wird derjenige bestimmte Passagen lesen, der mit der Materie und der Forschung gleichermaßen bereits vertraut ist. Wer freilich nicht über weitreichende Vorkenntnisse verfügt, wird sich in der teilweise schlicht aneinander gereihten Aufzählung von Belegen und den abseits des eigentlichen Untersuchungsziels führenden Exkursen verlieren. Die kleinteilige Struktur der Gliederung, die Abschnitte im Umfang von vier, fünf oder sechs Zeilen produziert, ist symptomatisch für die streckenweise fehlende Ablösung der Darstellung von der Überlieferung. Problematischer noch als die Schwierigkeiten, die der Text dem Leser bei der Lektüre bereitet, ist die Tatsache, dass das Buch stellenweise bereits im Forschungsstand überholt war, als es gedruckt wurde. Leider ist es dem Autor nicht mehr gelungen, nach 2002 erschienene Literatur einzuarbeiten. [1] Mehrere Studien, die zentrale Aspekte der Untersuchung in ein verändertes Licht rücken, wurden nicht berücksichtigt. Die Arbeit von Pietro Silanos hätte etwa das Verhältnis zu Kardinal Gerardo Bianchi erhellen, rezente Studien von Brigide Schwarz zu den päpstlichen Kursoren die Verbindung zwischen Zentrale und Peripherie auch im 13. Jahrhundert schärfer konturieren können. Irritierend nachlässig wirkt der Verweis auf das Desiderat einer umfassenden Untersuchung zu den Kanonikern von St. Peter (318): hier hätte der Autor, der sein Vorwort im April 2012 verfasste, die Anfang 2011 erschienene Monographie von Jochen Johrendt zum Thema zur Kenntnis nehmen und zitieren müssen, zumal einer der von ihm behandelten Protagonisten selbst zum Kreis der Kanoniker zählte. [3] Erschwerend kommt bei all dem hinzu, dass Reinke soweit erkennbar an keiner Stelle im Text explizit auf fehlende Nachträge und Überarbeitungen nach 2002 verweist. Es bleibt dem Leser überlassen, sich neu zu orientieren und einen Forschungsstand zu erreichen, der dem des Publikationsjahres entspricht. Angesichts der Fülle der Einzelbeobachtungen und -ergebnisse, die die Forschung zur kurialen Verwaltung des 13. Jahrhunderts fraglos bereichern werden, lassen sich die Mängel in der Darstellungsweise und die fehlende Aktualisierung nur bedauern.
Anmerkungen:
[1] Auch ältere Publikationen wie Elmar Fleuchaus: Die Briefsammlung des Berard von Neapel. Überlieferung - Regesten (= Monumenta Germaniae Historica Hilfsmittel 17), München 1998 hätten gewinnbringend herangezogen werden können. Die Chronik des Saba Malaspina hätte nicht nach Del Re, sondern nach der Neuausgabe von Walter Koller und August Nitschke (MGH Scriptores 35, Hannover 1999) zitiert werden sollen.
[2] Pietro Silanos: Gerardo Bianchi da Parma († 1302). La biografia di un cardinale-legato duecentesco, prefazione di Agostino Paravicini Bagliani (= Italia sacra 84), Roma 2010; Brigide Schwarz: Im Auftrag des Papstes. Die päpstlichen Kursoren von ca. 1200 bis ca. 1470, in: Päpste, Pilger, Pönitentiarie. Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, hg. von Andreas Meyer, Constanze Rendtel und Maria Wittmer-Busch, Tübingen 2004, 49-71; dies., Die päpstlichen Läufer, durch drei Jahrhunderte (13. bis Ende 15. Jahrhundert), in: Offices et papauté (XIVe - XVIIe siècle). Charges, hommes, destins, hg. von Armand Jamme und Olivier Poncet (Collection de l'École Française de Rome 334), Rome 2005, 647-650.
[3] Jochen Johrendt: Die Diener des Apostelfürsten. Das Kapitel von St. Peter im Vatikan (11.-13. Jahrhundert) (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 122), Berlin / New York 2011 (vgl. http://www.sehepunkte.de/2013/07/21701.html).
Andreas Fischer