Anke te Heesen: Theorien des Museums. Zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag 2012, 220 S., ISBN 978-3-88506-698-9, EUR 14,90
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Mit ihrer Einführung in die Theorien des Museums leistet die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen einen wichtigen Beitrag innerhalb der neuerdings auch im deutschsprachigen Raum anschwellenden Flut museologischer und museumsbezogener Literatur. Ihr Zugriff bietet eine willkommene Orientierungshilfe, handelt es sich doch um einen Überblick über die theoretischen Konzepte des Museums im Wandel. Te Heesen positioniert sie im Spannungsfeld zwischen Museums- und Ausstellungsgeschichte, denn, so ihre leitende These, Ausstellungen seien Motoren musealer Entwicklungen. Entsprechend wird auch die spezifische Dynamik des Ausstellungswesens berücksichtigt. Zu Recht wird eingangs daran erinnert, dass das Museum ein zentrales Thema unserer Kultur sei, und es werden die ketzerischen Fragen gestellt, ob es einer eigenen Wissenschaft dazu bedürfe und welche Theorien und Methoden angemessen wären. Bekanntlich ist Deutschland im Bereich Museologie - verglichen mit den englisch- und den französischsprachigen Ländern - noch Entwicklungsland.
Ihre Argumentation hat te Heesen stringent aufgebaut, indem zunächst die Begriffe geklärt werden und anschließend jeweils die Genese von Museums- und Ausstellungskonzepten herausgearbeitet wird, um deren Entwicklungen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart zu verfolgen (Kapitel 1). Die Ausführungen verhandeln zwar theoretische Konzepte, werden jedoch, da stets anhand konkreter Schlüsseltexte oder Fallbeispiele exemplifiziert, sehr anschaulich vermittelt. Dabei werden alle Museumstypen berücksichtigt, auch wenn sie sich unterschiedlich entwickelt haben. Stets wird das Museum nicht immanent, sondern in seiner Wechselwirkung mit der jeweiligen soziohistorischen Situation betrachtet. Neben der Analyse der vom Museum selbst entwickelten Organisationsformen reflektiert te Heesen auch die Verfahren, anhand derer es selbst analysiert werden kann: von der Semiotik über die Ideengeschichte zur Kulturanalyse.
Im ersten Schritt prüft die Autorin die Museumsbegriffe. Es geht ihr zunächst darum, eine Sammlung von Objekten zu definieren, damit sie im zweiten Schritt die verschiedenen Arten von deren Organisation und Präsentation zu erkennen vermag (Kapitel 2). Hier gehen dann die Konzepte des Museums in jene des Ausstellens über und greifen ineinander. Die Gründe zum Sammeln sowie die Arten und Funktionen des Präsentierens werden in ihren chronologischen Wandlungen verfolgt: Verschiedene Formen der Wissensorganisation und -kommunikation entsprechen den sich wandelnden gesellschaftlichen und kulturellen Konstellationen.
Von den ersten Versuchen in der platonischen Akademie, sammelnd die Welt zu ordnen und zu gestalten, über die Neuzeit, die Kunst- und Wunderkammern bis zu deren Übernahmen und Funktionalisierungen im Rahmen nationalstaatlicher Entwicklungen im frühen 19. Jahrhundert werden die gedanklichen Schritte nachgezeichnet (Kapitel 3). Vom frühneuzeitlichen Gedächtnistheater über die sich entwickelnden Sammlungsanleitungen, die Entwicklung von Ordnungssystemen für zunächst fürstliche, später staatliche öffentliche Sammlungen zeigt sich, dass die Konzepte der Klassifizierungen und Temporalisierungen immer mehr von der Sammlerpersönlichkeit geschieden und von übergeordneten Ordnungssystemen mit zunehmend wissenschaftlichem, aufklärerischem Impetus abgelöst wurden. Parallel hierzu entstanden Museen verschiedener Art, deren Gründung und Sammlungspräsentation konkreten Funktionalisierungen entsprachen. Zu Recht erinnert te Heesen daran, dass noch vor dem Louvre (ab 1793) das British Museum (1759) und das Fridericianum in Kassel (1779) zur Etablierung des Museumsgedankens als ein primär öffentliches Zur-Schau-Stellen von Sammlungen beitrugen. Zunächst entstanden naturgeschichtliche, kultur- und kunsthistorische Sammlungen und Museen gemeinsam und parallel, doch differenzierten sich bald deren Anlage und politische Funktionalisierungen. Die jeweilige Rolle der wissenschaftlichen Forschung und der Möglichkeiten zur "demokratischen Erziehung" unterschieden sich zunehmend. Auch war das Kunstmuseum in einem besonderen Dilemma befangen, galt es doch zum einen, elitäre "Tempel der Künste" zu errichten, zum anderen, sie als Instrument zur Erziehung des Bürgers zu nutzen. Ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts galt das Museum als Ort, an dem eine nationale Kultur identitätsstiftend veranschaulicht wird.
Mit den Welt- und Gewerbeausstellungen entstand eine Ausstellungskultur, die den Museumsgedanken ausschlaggebend verändern sollte (Kapitel 4). Die naturkundlichen, gewerblichen und technischen Ausstellungen wurden zu Agenturen des Fortschritts. Schau- und Gebrauchswert sowie eine entstehende Warenpsychologie zeitigten auch erste Reflexionen des Ausstellungswesens (z.B. Sombart, 1908) wie auch des Museumswesens (Pudor, 1910). Schon damals wurde das Museum als "Kultur-Leichenkammer" und als reformbedürftig empfunden, und es entstanden erste Überlegungen zu einem "Gegenwartsmuseum" und einer Museumsreform. Die Museen für Meisterwerke der Naturwissenschaft und Technik machten als Volksbildungseinrichtungen (Southkensington Museum, 1851) den Kunstmuseen als Musentempel Konkurrenz. Ab 1903 wurde besonders in Deutschland eine zeitgemäße Professionalisierung des Museums vorangetrieben. Dort gab es ab den 1920er-Jahren auch eine Bestrebung zur Integration von Moderne und Gegenwart ins Kunstmuseum, und zwar eher zur Förderung einer zeitgenössischen sozialen Gesinnung als zur Pflege von Meisterwerken. Man strebte damals eher ein Volks- als ein Gelehrtenmuseum an.
Dementsprechend entstand der Anspruch, mittels Gegenwartsbezug das Museum und dessen Rolle als Versuchslaboratorium und Experimentierfeld für soziale und künstlerische Utopien zu etablieren (Kapitel 5). An berühmte Experimente zur Integration der Avantgarde ins Museum (El Lissitzky, Hannover) der frühen Moderne und an das Konzept des "Musée Imaginaire" (Benjamin, Malraux) wird erinnert. In ihnen werden das Museum als Gedankenexperiment und ein kreativer Umgang mit der De- und Rekontextualisierung musealer Objekte erprobt. Die Vertiefung der Beispiele musealer Experimente (Kapitel 6) zeigt, wie zeitgemäße Präsentationsformen aus den Erfahrungen der Messen und Weltausstellungen neue Demonstrationsräume ableiteten, die das museale Präsentieren neuer Kategorien der visuellen Argumentation, Erkenntnisvermittlung und Wahrnehmungserfahrungen erschloss. Mit dem Beginn des "Dritten Reichs" brachen diese Entwicklungen ab.
Ab den 1940er-Jahren wurden diese Experimente und Erfahrungen zunächst in USA und in der Institutionalisierung des Museumswesens auch international (Gründung der ICOM 1946) fortgesetzt (Kapitel 7). Ab den 1960er-Jahren wurden zum einen neue Museumstypen ("Ecomuseen", Rivière, 1971 / 72) und -vorstellungen (Centre Pompidou, 1977) sowie zum anderen ein reflexiver Museumsbegriff und Forschungszweige zum Museumswesen entwickelt. Ihre Anerkennung als eigenständige Wissenschaft erfolgte im deutschsprachigen Raum erst in den 1990er-Jahren. Parallel zur künstlerischen Institutionskritik entstanden ab den 1970er-Jahren Bestrebungen, die Zugangsschwellen zum Museum ab- und museumspädagogische Bemühungen auszubauen. Neue Interpretationen des musealen Objektes (Pomian u.a.) wurden insbesondere in der "New Museology" elaboriert. Das Konzept des "Metamuseums" (Jesberg, 1970) entstand als museale Institution, die selbstreflexiv sammlungsgeschichtlich und diskursanalytisch die eigenen Formen der Konstruktion von Wissen spiegelt. Erkenntnisse der Gendertheorie und zunehmende Bemühungen, eurozentrische Perspektiven abzubauen, prägten das neue Denken musealer Einrichtungen. Die Expansion des Konzepts Museum im Kontext zunehmender Historisierung der Kultur führte zu dessen neuer Positionierung im Spannungsfeld von Vergangenheit und Gegenwart. Während die Museen zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Stiftung nationaler kultureller Identität dienten, schwand diese Funktion im Zeichen der Globalisierung. Zugleich löste laut te Heesen der Vorrang individueller Erinnerungskultur eine allgemeinere "memoria" ab, und das Erfahrungswissen des Einzelnen ersetzte das Begründungsmonopol wissenschaftlicher Konzepte. Die Exponate wurden nicht mehr nur als Bedeutungs-, sondern auch als Erfahrungsträger aufgefasst, und die Eigenart der Museumsdinge wurde neu bedacht (Korff), die Rolle der Präsentationsweisen und der Szenografie kritisch reflektiert. Die Spezifität musealer Räume (O'Doherty) und deren Wechselwirkung mit dem Betrachter / Besucher, dessen Rolle aktiver und partizipatorischer konzipiert wurde, sowie die Rolle des Kurators rückten zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit sowohl der Museumsforschung als auch der Kunstwissenschaft.
Die Phasen der Entwicklung des Museums als ein Ort, an dem dekontextualisierte Objekte in neuer Ordnung präsentiert werden, und die Rolle der Ausstellung als Motor der Modernisierung und Dynamisierung des Museums werden anschaulich herausgearbeitet. So gut die Berücksichtigung aller Museumstypen es erlaubt, die historischen Begebenheiten widerzuspiegeln, so wenig gerecht kann im Rahmen einer allgemeinen Einführung die Ausdifferenzierung der verschiedenen Entwicklungen erfolgen. Die besondere Situation des Kunstmuseums seit den 1980er-Jahren wegen der Veränderung der Kunstwelt (Macht des Kunstmarkts, Rolle der Sammler etc.) und die Folgen für dessen strukturelle Krisen werden deshalb nicht ausreichend berücksichtigt.
Anzuerkennen bleibt, dass die Reflexion von Rolle und Bedeutung musealer Präsentationen und deren Bedeutungszuweisungen bisher vornehmlich von Seiten der Kulturwissenschaften erfolgte; entsprechende Studien aus kunsthistorischer Perspektive stehen noch aus. Te Heesens Studie bietet einen prägnanten konzisen Einstieg, der auch die wichtigsten Quellen und historischen Beispiele einschließt.
Anne-Marie Bonnet