Rezension über:

Lothar Graf zu Dohna: Die Dohnas und ihre Häuser. Profil einer europäischen Adelsfamilie. Unter Mitwirkung von Alexander Fürst zu Dohna (†) und mit einem Beitrag von Ursula Gräfin zu Dohna, Göttingen: Wallstein 2013, 2 Bde., 1339 S., 256 Abb., ISBN 978-3-8353-1237-1, EUR 89,00
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Rezension von:
Horst Carl
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Horst Carl: Rezension von: Lothar Graf zu Dohna: Die Dohnas und ihre Häuser. Profil einer europäischen Adelsfamilie. Unter Mitwirkung von Alexander Fürst zu Dohna (†) und mit einem Beitrag von Ursula Gräfin zu Dohna, Göttingen: Wallstein 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/10/23150.html


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Lothar Graf zu Dohna: Die Dohnas und ihre Häuser

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Als Kaiser Wilhelm II. den von ihm am 1. Januar 1900 in den Fürstenstand erhobenen und persönlich sehr geschätzten Richard von Dohna-Schlobitten mit einem Glasgemälde mit dem preußischen und brandenburgischen Adler beehren wollte, tat er dies nach eigenem Bekunden, weil er die Verdienste der Familie Dohna "um die Vereinigung Preußens mit Brandenburg" würdigen wollte. Der Kaiser fing sich jedoch eine ironische Replik seines Vasallen ein: "Nein, Majestät, Brandenburgs mit Preußen!" Fürst Dohna beharrte auf einer etwas anderen Sicht der Geschichte, in der sein Haus entscheidend daran mitgewirkt hatte, für die Kurfürsten von Brandenburg im 16. Jahrhundert die Nachfolge im säkularisierten Deutschordensstaat zu sichern, sich gegen alle Widerstände im Herzogtum selbst zu behaupten und die polnische Lehensabhängigkeit abzustreifen. Schließlich war dies alles Voraussetzung für die "preußische" Königskrönung 1701 und den Aufstieg Brandenburg-Preußens zur Großmacht. Aus dem historischen Bewusstsein einer Familiengeschichte, die nicht minder weit zurückreichte als die der Hohenzollerndynastie, resultierte ein ständisches Selbstbewusstsein, das sich auch aus eigenen Deutungen der Vergangenheit speiste. Nicht zuletzt dies macht den Reiz der vorliegenden großen Darstellung der Geschichte des Hauses Dohna aus: Sie bietet zum einen eine Familiengeschichte der Dohnas vom Mittelalter bis zur großen Katastrophe des Verlustes fast der gesamten Familienbesitzungen nach dem Zweiten Weltkrieg; zum anderen aber lässt sie aus dem spezifischen "Sehepunkt" dieser Familie als europäisch vernetzter und bedeutendster ostelbischer Adelsfamilie in der Hohenzollernmonarchie an zahlreichen Stellen alternative Interpretationen deutscher und speziell preußischer Geschichte hervortreten.

Es ist natürlich ein Glücksfall, wenn der Verfasser der Geschichte des Hauses Dohna, Lothar Graf zu Dohna, Familienmitglied und zugleich als emeritierter Professor für mittelalterliche Geschichte an der TU Darmstadt professioneller Historiker ist. An vielen Stellen des Buches - und nicht nur in Gestalt anekdotischer Details - wird deutlich, in welchem Umfang ein spezifisches Familiengedächtnis Eingang in die Gesamtdarstellung gefunden hat, doch geschieht dieses immer mit der Distanz des professionellen Historikers und in kritischer Abwägung des Gesamtkontextes. Gerade diese Konstellation macht den besonderen Wert und Reiz dieses Beitrags zur Adelsgeschichte aus, wird doch damit auch ein reflektierter Zugang zum Phänomen adeliger Familien als Erinnerungsgemeinschaften eröffnet. [1] Es bedarf jedoch auch eines professionellen Historikers, um die Geschichte einer so weitverzweigten Familie seit dem Mittelalter überhaupt darstellbar zu machen. Selbst für die üblichen Maßstäbe einer europäischen Hochadelsfamilie ist das Netzwerk der zahlreichen Haupt- und Nebenlinien, der wechselnden Räume und Regionen ihres Wirkens und der konnubialen Verflechtungen bei den Dohnas außerordentlich komplex gewesen, so dass deren chronologische Darstellung jeden Rahmen gesprengt hätte. Graf Dohna hat sich deshalb für eine Konzentration auf zentrale Epochen und Protagonisten der Familiengeschichte entschieden, was freilich immer noch einen Umfang von fast 700 Seiten Darstellung einschließlich der Fußnoten nötig macht.

Die Schwerpunkte sind deutlich akzentuiert, wobei gerade in der Auseinandersetzung mit gegenläufigen Interpretationen und Thesen in den Fußnoten deutlich wird, dass es auch um neuralgische Punkte der Familiengeschichte geht, in denen der Autor dezidiert Stellung bezieht. Dies beginnt schon mit dem Eintritt der Dohna in die Geschichte, seit sie in der Mitte des 12. Jahrhunderts als königliche Burggrafen der Reichsburg Dohna amtieren. Als Edelfreie übten sie damit zwischen Elbe und Erzgebirge Herrschaft in einem Raum aus, der erst später unter den Einfluss der Markgrafen von Meißen und damit der Wettiner geriet. Dass beispielsweise die wettinische Residenzstadt Dresden wohl eine Gründung der Burggrafen von Dohna gewesen ist, war für eine auf die Dynastie der Wettiner zentrierte Landesgeschichte nur schwer akzeptabel - eine traditionelle Sichtweise, die gerade in der DDR-Historiographie noch einmal bestärkt worden sei, weil die Wettiner immer noch eher für Fortschritt standen als die aristokratischen Sachwalter des feudalen Reiches (46). Die Rivalität der Dohna mit den Wettinern hat jedenfalls alte Wurzeln, und die Wettiner entschieden die Konkurrenz schließlich gewaltsam für sich. Die Niederlage der Burggrafen in der bekannten Dohnaschen Fehde (1400-1402) und die Annexion ihres Herrschaftsbereichs an der Grenze zu Böhmen war für die Wettiner ein entscheidender Schritt zur konsolidierten Landesherrschaft, für die Dohna hingegen eine Art Urkatastrophe.

Nach der Vertreibung aus dem angestammten Herrschaftsbereich schafften sie es nur mit Mühe, sich als böhmische Herren eine neue Basis zu verschaffen. Karriere machten schließlich diejenigen Familienmitglieder, die sich infolge der Hussitenkriege als Söldnerunternehmer etablieren konnten und ihre Dienste dem Deutschen Orden anboten: Stanislaus Dohna ließ sich am Ende des "Dreizehnjährigen Krieges" des Ordens gegen Polen 1467 in Land auszahlen und schuf die Besitzgrundlagen für eine herausgehobene Stellung der Dohnas in Preußen. Den Weg zur Säkularisation des Deutschordensstaates und zur Reformation beschritten sie bewusst mit, der Einsatz für die Belange der Reformation sollte zukünftig ein Markenzeichen der Familie werden.

Trotz der Etablierung in Preußen blieben die Dohna im 16. Jahrhundert aber in beeindruckender Weise europäisch orientiert und stehen geradezu exemplarisch für einen europäischen Militäradel: Von sieben Söhnen Peters von Dohna (1483-1553) nahmen zwei auf polnischer Seite an den livländischen Kriegen gegen Russland teil, während zwei weitere Brüder in hohen militärischen Funktionen für Dänemark in den Krieg zogen. Der jüngste Sohn Fabian (1550-1621) erweist sich als der bedeutendste Vertreter dieser Generation: Nach einem Studium in Wittenberg wandte er sich in Genf der reformierten Konfession zu, zeichnet sich in den Hugenottenkriegen aus und wurde dann am Heidelberger Hof zu einem der führenden Exponenten einer aktivistischen Konfessionspolitik. Die calvinistischen Modernisierungsleistungen niederländischer Provenienz, namentlich die militärischen Experimente mit Milizformationen, aber auch eine Sensibilität für gemeindliche Selbstverwaltung wurden von ihm nach seiner Rückkehr nach Preußen importiert, und es ist nicht ohne Ironie, wenn der Autor betont, dass am Ursprung eines preußischen Dienst- und Pflichtenethos weniger ein Hohenzollern-Monarch als vielmehr ein Dohna mit der Rezeption neustoizistischer Pflichtenauffassung steht. Auch hier wird auch das Verhältnis von landesherrlicher Dynastie und obersten Vasallen für die grundlegenden Weichenstellungen der preußischen Geschichte subtil umgekehrt. Fabian von Dohna und sein ebenfalls bedeutender Neffe Abraham waren denn auch am Konfessionswechsel des Hauses Hohenzollern 1613 zum Calvinismus entscheidend beteiligt. Die gemeinsame calvinistische Minderheitskonfession band für die Zukunft das Herrscherhaus und die Dohna nur umso fester aneinander, gerade in Preußen blieben sie gegen das Gros der Provinzialstände eine entscheidende Stütze der Hohenzollern.

Eine Schlüsselstellung nahmen die Dohna deshalb auch für die auf Preußen radizierte Königserhebung von 1701 ein, im Krönungszug treten gleich drei ihrer Vertreter in repräsentativen Funktionen auf. Diese Königsnähe blieb auch unter Friedrich Wilhelm I. erhalten. Als Hofmeister und Erzieher Friedrich Wilhelms I. sorgte Alexander von Dohna-Schlobitten (1661-1728) jedoch auch dafür, dass die Dohna an der Transformation der Monarchie zu einer auf administrative Effektivität getrimmten Militärmonarchie ihren Anteil hatten. Am "Retablissement" Preußens nach der Pestkatastrophe von 1709, das in mancherlei Hinsicht Modellcharakter für die königlichen Verwaltungsreformen besaß, hatte er entscheidenden Anteil. Flankiert wurde eine gesamtstaatliche Verantwortung der Familie durch den Graf Christoph (1665-1733) aus der Schlodiener Linie, der sich als weltläufiger Spitzendiplomat der Monarchie unentbehrlich machte. Waren diese Dohna zugleich ausgewiesene Militärs, die höchste Ränge in der Armee bekleideten, so endete diese militärische Tradition in der nächsten Generation abrupt, als Friedrich der Große 1759 seinem Generalleutnant Christoph von Dohna brüsk den Oberbefehl gegen die russische Armee entzog, weil er ihm zu vorsichtig agierte. Zum Wohl von Armee und Staat war dies nicht, wie die unmittelbar daraus resultierende Katastrophe von Kunersdorf demonstrierte. Dies mag die Familie darin bestärkt haben, dass das Wohl der Monarchie gegebenenfalls auch in der Distanz zur Person des Königs gesucht werden kann: Der bedeutende Reformminister Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten (1771-1831), der Nachfolger Steins als Innenminister, war eine Schlüsselfigur für die Aufstellung der Landwehr durch die ostpreußischen Stände Anfang 1813, die statt des Königs die Initiative zum Kampf gegen Napoleon ergriffen.

Die im Wesentlichen chronologische Darstellung unterbricht Graf Dohna an einigen Stellen durch strukturelle Querschnittskapitel. Dasjenige zu den "Frauen des Hauses Dohna" (257-302) in der frühen Neuzeit bietet geradezu ein Lehrstück über die Spielräume (hoch)adeliger Frauen, die religiöses Engagement im Pietismus des 18. Jahrhunderts bot. Mehrere junge pietistisch geprägte Frauen diverser Linien ergriffen die Initiative und gründeten 1726 einen "Orden zum Schilde" für ein tätiges christliches Leben - eine durchaus originelle Form einer religiösen Gesellschaft für die Gesamtfamilie. Deren Protokollbücher, die erst 2003 wieder aufgetaucht sind, lassen freilich auch das prosaische Ende aufscheinen: Aus der gut dotierten Armenkasse wurde schließlich eine weltliche Familienstiftung, aus dem "frommen Orden der Damen eine Familienkasse der Männer" (281).

Auch das wichtige Kapitel über die Heiratsverbindungen der Dohna beschreibt solche Transformationen. Das Konnubium der Dohna war im 16. und 17. Jahrhundert europäisch ausgerichtet, namentlich die erst nach einigen Schwierigkeiten zustande gekommene Verbindung mit den Grafen zu Solms-Braunsfels eröffnete Verbindungen zum calvinistischen Hochadel in Frankreich und dem Reich. Verwandt war man folglich noch früher als die Hohenzollerndynastie auch mit dem Haus Oranien-Nassau. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts änderte sich das Konnubium jedoch grundlegend: Statt der Verbindung mit reichsständischem Adel konzentrierte sich der Heiratskreis immer stärker auf die anderen altadeligen Familien Ostpreußens und vor allem auf das eigene Haus. Zwischen 1640 und 1740 wurden elf Ehen innerhalb des Hauses Dohna geschlossen, bis 1850 kamen noch einmal 16 solcher hausinterner Verbindungen hinzu. Hinter diesem veränderten Heiratsverhalten stand die verstärkte Bindung an Preußen - Staat und Provinz - sowie eine rationale Strategie familiärer Besitzstandwahrung. Diese letztlich defensive Haltung bestimmte auch das Agieren der Familie im 19. Jahrhundert: Aus einem europäisch orientierten Herrschaftsstand wurde immer mehr eine regionale Elite - ein Prozess, wie ihn vergleichbar die klassische Studie von Reif für den katholischen Adel des Münsterlandes analysiert hat. [2]

Die Transformation adeliger Mentalität von einer ständischen Avantgarde, die sich Modernisierungsleistungen wie die frühe Bauernbefreiung auf ihren Gütern (1802) auf die Fahnen schreiben konnte und noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in führenden Vertretern einem ausgesprochenen Adelsliberalismus huldigen konnte, zu einem zunehmenden Konservatismus zeichnet Graf Dohna akribisch nach. Die nationale und dynastische Katastrophe des Ersten Weltkrieges führte auch bei den Dohna zu erheblichen Verunsicherungen, verstärkt durch die in der Weimarer Republik eskalierende Krise adeligen Großgrundbesitzes. Dass der Nationalsozialismus folglich auch im Hause Dohna überzeugte Anhänger fand, wird nicht abgestritten. Gegenüber der grundlegenden Studie von Malinowski [3] zur positiven Haltung weiter Teile des ostelbischen Adels zum NS-Regime unterstreicht Graf Dohna jedoch die Vielfalt der Optionen, die auch im Hause Dohna Distanz zum Regime bis hin zum Widerstand ermöglichte. Das bekannteste Beispiel ist der Vater des Verfassers, Heinrich Graf zu Dohna-Schlobitten (1882-1944), der aus seiner Ablehnung des Nationalsozialismus nie einen Hehl machte und über das Eintreten für die Bekennende Kirche in den Widerstand fand. Unmittelbar nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli als einer der ersten verhaftet, wurde er schon im September 1944 hingerichtet.

Die Nachkriegszeit ist kein Gegenstand der Darstellung mehr. Was allerdings der Familie verloren ging, macht ein eigener großer kunsthistorischer Exkurs deutlich, den Alexander Fürst von Dohna beigesteuert hat. Er listet mit zahlreichen historischen Abbildungen die Schlösser auf, die die Familie vor allem um 1700 in Ostpreußen hat errichten lassen, als sie zugleich die materiellen Grundlagen durch Fideikommisse auf nachhaltige Grundlagen stellte. Gerade die Hauptsitze der beiden wichtigsten Linien Schlobitten und Schlodien waren inklusive ihrer Landschaftsgärten als Gesamtkunstwerke europäischen Zuschnitts geplant und dokumentierten noch einmal den singulären Rang der Dynastie im preußischen Staat. Dies alles hatte mit provinziellem Zuschnitt preußischer Junkerherrschaft nichts gemein.

Dass nahezu alle Pracht und Herrlichkeit nach 1945 zerstört wurde und verloren ging, vermerkt der Autor ohne Larmoyanz - es genügt, den herausragenden Stellenwert der Familie noch einmal vor Augen geführt zu haben. Diesen dokumentiert dieses Buch auf hohem historiographischen Niveau mit einer geradezu beispielshaften Noblesse. Wenn dem Vorwort Verse aus dem "Pan Tadeusz" des Polen Mickiewicz vorangestellt werden und abschließend der gebürtige Franzose Adalbert von Chamisso zitiert wird, die beide den Verlust adeliger Heimat und Herkunft beklagen, dann wird auch noch einmal die europäische Weite einer solchen Mentalität beschworen. Der Wert dieser höchst noblen Historiographie der eigenen Familie liegt deshalb auch darin, dass sie den Leser an einer solchen Mentalität partizipieren lässt.


Anmerkungen:

[1] Martin Wrede / Horst Carl: Adel zwischen Schande und Ehre, Tradition und Traditionsbruch, Erinnerung und Vergessen, in: Zwischen Schande und Ehre. Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte; Beih. 73), hg. von Martin Wrede / Horst Carl, Mainz 2007, 1-24.

[2] Heinz Reif: Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 35), Göttingen 1979.

[3] Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003.

Horst Carl