Rezension über:

Carolin Rüger: Europäische Außen- und Sicherheitspolitik - (k)ein Thema für die Öffentlichkeit? Die außen- und sicherheitspolitische Rolle der EU im Blickwinkel von öffentlicher Meinung und Medien (= Staatlichkeit und Governance in Transformation; Bd. 5), Baden-Baden: NOMOS 2012, 370 S., ISBN 978-3-8487-0041-7, EUR 59,00
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Rezension von:
Henrike Viehrig
Universität Bonn
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Henrike Viehrig: Rezension von: Carolin Rüger: Europäische Außen- und Sicherheitspolitik - (k)ein Thema für die Öffentlichkeit? Die außen- und sicherheitspolitische Rolle der EU im Blickwinkel von öffentlicher Meinung und Medien, Baden-Baden: NOMOS 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/10/23337.html


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Carolin Rüger: Europäische Außen- und Sicherheitspolitik - (k)ein Thema für die Öffentlichkeit?

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Carolin Rüger beschreibt in ihrer Dissertation, wie es um die derzeitige öffentliche Wahrnehmung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik bestellt ist. Dabei fragt sie, welche Rolle die EU in den Augen der Medien und der öffentlichen Meinung spielt. Ein Ziel ihrer Arbeit ist es herauszufinden, ob sich "Sicherheit" als neues Narrativ für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU eignet.

Im Ergebnis präsentiert sie eine Reihe von Umfragen darüber, wie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) europaweit wahrgenommen wird und welchen Stellenwert die Hohen Vertreter, Javier Solana und Catherine Ashton, in den britischen, französischen und deutschen Medien haben. Ihr Befund ist, dass die GASP überwiegend positiv wahrgenommen wird, aber dass diese positive Wahrnehmung höchstens als "weiche" Unterstützung interpretiert werden kann. Die Verfasserin nennt dies "affektiv-diffuse Unterstützung" (236), da ein echtes, breitenwirksames Bekenntnis im Sinne einer utilitaristisch-spezifischen Unterstützung bei den europäischen Bürgern fehlt.

Somit ist auch ein neues, öffentlichkeitswirksames Großprojekt, das auf die EU als Sicherheitsinstitution setzt, nach Meinung Carolin Rügers nicht zu empfehlen. Stattdessen schlägt die Autorin vor, dass "die Europäer sich stärker zusammenschließen [müssten], weil sie als Einzelstaaten im globalen Wettbewerb mit den aufstrebenden Schwellenländern auf verlorenem Posten stünden" (316-17). Die politischen Eliten sollten demnach den aktuellen öffentlichen Debatten folgen - vor allem den kontroversen, polarisierenden - und daraus diejenigen Themen aufgreifen, die eine offene, lebendige Diskussion um Europas Rolle erzeugen könnten.

Abgesehen von dieser politischen Empfehlung bewegt sich die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Kommunikationswissenschaften und Internationalen Beziehungen. Aus der kommunikationswissenschaftlichen Perspektive wird die Frage gestellt, wie öffentliche Meinung und Medieninhalt einander beeinflussen - wobei die Verfasserin ausdrücklich keine kausalen Beziehungen, sondern wechselseitige Konstruktionen annimmt. Aus der Perspektive der Internationalen Beziehungen wird nach der EU als außenpolitischem Akteur gefragt bzw. wie die Öffentlichkeit die EU als Akteur wahrnimmt.

Die recht breit gefasste Forschungsfrage nach der öffentlichen Perzeption und Konstruktion der außen- und sicherheitspolitischen Rolle der EU wird in diesem Buch einerseits elegant operationalisiert und auf zentrale Bestandteile der öffentlichen Wahrnehmung heruntergebrochen. Andererseits verleitet sie zu einer teilweise überbordenden Betrachtung von Medien-, Öffentlichkeits- und Interaktionstheorien. Zwar sind der CNN-Effekt und Priming interessante, aber mit der hier gestellten Forschungsfrage nur lose verbundene Konzepte. Auch der Almond-Lippmann-Konsens muss nicht immer wieder neu durchdekliniert werden. Wenn am Ende aus forschungspragmatischen Gründen lediglich die Zustimmung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder deren wünschenswerte Rollen im EU-Gefüge bzw. die Medienberichterstattung über die Hohen Vertreter untersucht wird (was absolut verständlich ist angesichts der Fülle der Details, die das Bild der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik formen), dann wäre auch für den theoretischen Teil eine solche Zuspitzung wünschenswert gewesen.

Davon abgesehen besticht das Buch durch seine detaillierte Aufschlüsselung von Integrationstheorien, die danach klassifiziert wurden, welche Rolle sie der Öffentlichkeit jeweils beimessen. Zudem werden zahlreiche empirische Ergebnisse in farbigen Abbildungen dargestellt und das Forschungsdesign in übersichtlichen Schaubildern visualisiert. Weiterhin setzt sich die Verfasserin kritisch mit der Qualität von Umfragedaten auseinander. Insbesondere die Fragestellungen des Eurobarometer werden als defizitär bewertet. So sehr Carolin Rüger damit vielen Umfrageforschern aus dem Herzen spricht, muss doch konzediert werden, dass wissenschaftliches und politisches Erkenntnisinteresse bisweilen auseinander gehen. Umfragen müssen teilweise überspitzt formulieren oder unrealistische Szenarien zur Auswahl stellen, um zu erfahren, welchen Weg die Bürger bevorzugen (und um sie überhaupt zum Antworten zu motivieren). Dennoch ist es ein wertvoller Beitrag, dass die Leerstellen des Eurobarometer angesprochen werden, z.B. die Frage nach aktuellen Einsätzen der EU.

Die Autorin nimmt auch das digitale Informationsverhalten der Europäer in den Blick, indem sie Suchanfragen bei Google mithilfe der Statistiken von Google Trends auswertet. Ebenso innovativ ist die Erwähnung der (analogen) EU-Bürgerkonferenzen, welche die nationalen Unterschiede bezüglich der außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen und Präferenzen illustrieren.

Der abschließende Befund der Arbeit, dass sich Europas Bürger angesichts der Wirtschaftskrise kaum für Außen- und Sicherheitspolitik interessieren, klingt pessimistischer als er müsste. Verstünde man Außen- und Sicherheitspolitik eher additiv im Sinne von Außenpolitik plus Sicherheitspolitik, dann fiele der Außenwirtschaftspolitik eine wichtige Rolle im Sicherheitsbereich zu. Schließlich ist ökonomische Sicherheit ein zentraler Bestandteil der politischen Gemeinschaften und ein Identitätsmerkmal der EU. Und die zunehmende Hinwendung zu ökonomischen Fragen angesichts der Eurokrise könnte durchaus einen einigenden Effekt auf die verschiedenen europäischen Öffentlichkeiten haben.

Insgesamt leistet Carolin Rüger einen wichtigen Beitrag zur Europa- und zur Umfrageforschung. Ihre detaillierte und stringent organisierte Analyse zeigt, dass der klassische Außen- und Sicherheitsbereich zurzeit kein Potenzial für eine stärkere Integration der Bevölkerungen hat und dass auch die Hohen Vertreter dieses Manko nicht ausgleichen konnten. Es wäre wünschenswert, wenn das Eurobarometer einige ihrer Anregungen aufnähme.

Henrike Viehrig