Michaela Rücker / Christine Taube / Charlotte Schubert (Hgg.): Wandern, Weiden, Welt erkunden. Nomaden in der griechischen Literatur. Ein Quellenbuch (= Texte zur Forschung; Bd. 104), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, 367 S., ISBN 978-3-534-23003-7, EUR 89,90
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Der vorliegende Quellenband entstand im Kontext des nun ausgelaufenen SFB "Differenz und Integration. Wechselwirkungen zwischen Nomaden und Sesshaften" an den Universitäten Halle und Leipzig. Der Band beginnt daher in der Einführung mit einem kurzen Überblick über die "Nomadismusforschung", in dem eine wachsende Popularität des Nomadismus als Forschungsfeld postuliert wird. Dies gelte insbesondere im Bereich der altertumskundlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Nomadismus, das häufig auf die reine Wiedergabe von Stereotypen und Topoi beschränkt bleibe. Hier habe die Arbeit des SFB auch gerade für die Antike nachweisen können, dass die Darstellung der Nomaden in den antiken Quellen "nicht stereotyp und topisch", sondern wesentlich komplexer sei, da Nomaden einerseits als "unzivilisierte, sich primitiv ernährende Wilde", andererseits aber "optimal an ihre Umwelt angepaßt" und "geradezu ideal für die Demokratie geeignet" dargestellt würden (15).
Auch wenn einem solchen Quellenband naturgemäß nur eine kurze Einführung vorangestellt werden kann, verwundert es doch, dass in einem Kapitel zur "Nomadismusforschung" der Nomadenbegriff, sowie auch Typen und Formen des Nomadentums nicht diskutiert werden. Gerade eine breitere Leserschaft, an die sich der Quellenband nach Aussage des Vorwortes dezidiert wendet, hätte von einer solchen einführenden Diskussion profitiert - denn die hierzu existente Forschungsdiskussion ist ja auch für die Antike und insbesondere für die Wahrnehmung der Nomaden in den antiken Quellen relevant. Viel aufschlussreicher und gewinnbringender sind dagegen die folgenden Teile der Einleitung zu "Nomaden zwischen Kritik und Idealisierung", "Nomaden als Teil der Welt: das Paradigma der Skythen" und "Nomaden in den Vorstellungen von Kulturabfolge", in denen gerade auch die Idealisierung der Nomaden in den Kontext griechischer Zivilisations- und Kulturfolgemodelle eingeordnet wird.
Der vorletzte Teil der Einleitung beschäftigt sich dann unter dem Titel "Ethnonyme Ausdifferenzierung: Nomaden und Numider" mit der schwierigen Frage der Bezeichnung der nordafrikanischen Numider. Hier führt ein kurzer Überblick über die Quellenlage zu dem Schluss, dass "in ihrem Fall Beschreibung der Lebensweise und Ethnonym zusammengefügt worden sind" (35).
Im letzten Teil der Einleitung wird dann die Auswahl der "Spectabilia" im Quellenteil erläutert. Unter diesem Begriff werden im Quellenteil Textstellen zusammengestellt, die nicht auf eigentlich im Fokus des Bandes stehende menschliche Nomaden verweisen, sondern einen Einblick in die oft viel weitere Wortbedeutung von nomás - 'Weide' und verwandte Begriffe geben. Hierzu zählen "Bestimmte Verhaltensweisen, Tierrassen, Pflanzensorten sowie [...] Beschreibung von Arzneianwendungen" (35).
Nach einem kurzen Literaturverzeichnis zur Einleitung folgen dann "Hinweise zum vorliegenden Quellenbuch", die gleich mit dem selbst gesteckten Arbeitsauftrag der Quellensammlung beginnen: "Das vorliegende Quellenbuch hat es sich zum Ziel gesetzt, ein möglichst umfassendes Bild der Verwendung des Nomadenbegriffs in der griechischsprachigen antiken Literatur aufzuzeigen." (41) Hier sei noch einmal darauf verwiesen, dass bei diesem Arbeitsauftrag eine moderne Begriffsdefinition sicher hilfreich gewesen wäre. Die Auswahl der Textstellen erfolgte offenbar über Datenbanken, in denen mit dem Suchbegriff nomad* bzw. nomas* nach relevanten Quellenstellen geforscht wurde.
Chronologisch "beschränkt" sich der Band auf Quellen von den Homerischen Epen bis Zonaras im 12. Jahrhundert n. Chr. als Überlieferer von Cassius Dio, wobei auch eigenständige byzantinische Werke aufgenommen wurden. Als Grundlage der Übersetzungen wählten die Herausgeberinnen die Texte der Sammlung Budé bzw. der jeweiligen maßgeblichen Editionen. Die ausgewählten Textstellen stehen lediglich mit dem Namen des Autors, dessen Lebensdaten soweit bekannt und einer kurzen Charakterisierung wie "Homeros - griechischer Ependichter" versehen beieinander. Bewusst hat man auf einen weiteren Kommentar verzichtet, da "eine detaillierte historische Einordnung eines beschriebenen Ereignisses für das Verständnis der Verwendung des Nomadenbegriffs für gewöhnlich nicht notwendig" sei (44). Im engeren Sinne mag das zutreffen - die Beschreibungen etwa der Numider lassen sich auch ohne Kenntnis der Auseinandersetzungen zwischen Rom und Karthago verstehen - sicher wäre es aber dennoch hilfreich gewesen, zumindest ein paar Sätze mehr zu den Autoren und ihren hier zitierten Werken sowie zu den jeweils genannten Akteuren zu liefern, gerade um einen mit dem Thema nur oberflächlich vertrauten Leser besser einzubinden.
"Für die Übersetzungen galten die Kriterien stilistischer Schlichtheit und satzsemantischer (nicht wortsemantischer) Textnähe" (43). Dieser Anspruch scheint im Wesentlichen gelungen.
Das Quellencorpus selbst ist dann in neun große Gruppen unterteilt: "Dichtung", "Geschichtsschreibung", "Geographie", "Biographie", "Philosophie und Rhetorik", "Medizinische Texte", "Christliche Literatur", "Byzantinische Literatur" und "Lexikographen und Suda" sowie die oben bereits angesprochenen "Spectabilia" (44). Innerhalb der Gruppen sind die Autoren chronologisch geordnet. Diese Einteilung ermöglicht einerseits einen Einblick in die Verwendung des Nomadenbegriffs in den unterschiedlichen literarischen Gattungen - andererseits erschwert sie den Blick auf mögliche zeittypische Vorstellungen bzw. chronologisch parallele Darstellungen in unterschiedlichen Gattungen. Gepaart mit einem Index der nicht die Seitenangaben des Quellenbandes, sondern lediglich die Textstellen zu den Lemmata angibt, erschwert das Ganze die Nutzung des Bandes. Der Index, der in drei Bereiche ("Regionen, Orte, Flüsse, Gebirge, Stämme, Völker, allgemeine geographische Bezeichnungen", "Historische und mythische Personen, Götter und Geschlechter", "Begriffe, Sachen, Motive") gegliedert ist, kann allerdings dank des Verweises auf die Quellenstellen tatsächlich auch unabhängig von der Quellensammlung genutzt werden, so wie die Herausgeberinnen es intendiert haben. Allerdings hätte man sich vielleicht doch eine Kombination aus Quellenstelle und Seitenangabe gewünscht, um die Suche im Quellenband zu erleichtern.
Insgesamt muss der vorliegende Quellenband eine zwiespältige Würdigung erfahren. Einerseits haben sich die Herausgeberinnen ein sehr enges Ziel gesetzt, dem sie durchaus gerecht werden. Der Quellenband liefert einen guten Einblick in die Verwendung des Nomaden-Begriffs in unterschiedlichen Literaturgattungen und sensibilisiert so für ein Thema und auch für eine Bevölkerungsgruppe der griechisch-römischen Welt, die außerhalb eines kleinen Kreises von Spezialisten zu oft im Sinne einer topischen Darstellung wahrgenommen wird. Die Zusammenstellung einer zwar auf nur einen Begriff aus der Vielzahl der im Kontext des antiken Nomadismus möglichen beschränkten Quellenschau ist daher zu begrüßen und sollte in keiner Bibliothek fehlen. Andererseits hätte man sich in den angemerkten Details einen weiter gefassten Arbeitsauftrag gewünscht, um eben das Phänomen des antiken Nomadismus jenseits der Topoi und Stereotypen besser verstehen zu können und überhaupt auch zugänglicher zu machen.
Julia Hoffmann-Salz