Sandra Tauer: Störfall für die gute Nachbarschaft? Deutsche und Franzosen auf der Suche nach einer gemeinsamen Energiepolitik (1973-1980)3, Göttingen: V&R unipress 2012, 375 S., ISBN 978-3-89971-949-9, EUR 49,90
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Das 50. Jubiläum des Élysée-Vertrages wird trotz oder auch gerade wegen des spürbar aus dem Tritt geratenen deutsch-französischen Tandems dies- und jenseits des Rheins mit zahlreichen Festlichkeiten begangen. Einen Kontrapunkt gegenüber einer in diesem Rahmen häufig beschworenen Harmoniegeschichte setzt Sandra Tauers Buch über die Suche nach einer gemeinsamen Energiepolitik. Dieser Politikbereich sei, zumindest während der hier im Mittelpunkt stehenden 1970er Jahre, "kein Feld intensiver Zusammenarbeit" (335) gewesen und eigne sich daher nicht "zur Beschwörung der deutsch-französischen Freundschaft in Sonntagsreden". (346)
Den Ausgangspunkt der Freiburger Dissertation bildet die erste Ölkrise des Jahres 1973, die in der gegenwartsnahen Zeitgeschichte immer noch als Ereignis von großer Bedeutung gehandelt wird. Auch wenn der "Ölpreisschock" inzwischen seinen vereinfachenden Charakter einer alles erklärenden Zäsur verloren hat, so symbolisiert er doch weiterhin die enge Verknüpfung der Themenbereiche Energie und Umwelt, die in diesem Zeitraum neue und größere Bedeutung gewinnen. Vor dem Hintergrund der Debatten über den Umbruchcharakter der 1970er Jahre fragt das Buch nach den damit verbundenen Herausforderungen für die deutsch-französische Zusammenarbeit und die Reaktionen beider Länder, die zwischen Kooperation und Konflikt changierten, wobei letzteres augenscheinlich überwog. Tauer beschränkt sich in ihrer Darstellung auf die Energieträger Erdöl und Kernenergie. Mit schlüssigen Argumenten begründet sie die Nichtberücksichtigung der Kohle, die im Bereich der Energiepolitik doch am Beginn und zunächst im Zentrum der deutsch-französischen Aussöhnung wie der europäischen Integration gestanden hatte.
Methodisch orientiert sich das Buch fast durchgehend an einer traditionellen Politik- und Diplomatiegeschichte, die auf Regierungsakten beruht und die Protagonisten und Unterhändler der großen Politik in den Mittelpunkt stellt. Die Autorin selbst bezeichnet ihren Zugang als eine von der politikwissenschaftlichen Schule des "Realismus geprägte Anschauung" (18), welche u.a. annimmt, "dass die Verwirklichung einer internationalen Ordnung von Eigeninteressen und den jeweiligen Eliten abhängig ist", und "vereinfachend" davon ausgeht, "dass die Handlungsbevollmächtigten eines Staates, Regierungschef, Minister und Diplomaten nach außen geschlossen auftreten." (19). Die Umsetzung dieser eingangs formulierten Grundannahmen erfolgt jedoch erfreulicherweise nicht strikt. Während die ersten beiden des aus drei großen Abschnitten bestehenden Buches politik- und diplomatiegeschichtlichen Zugängen folgen, weitet ein dritter den Blick um geistes- und mentalitätsgeschichtliche Perspektiven.
Im Zentrum des ersten Kapitels stehen die Reaktionen des deutsch-französischen Tandems auf die erste Ölkrise. Die Autorin zeichnet die bilateralen Verhandlungen und Lösungsversuche nach und ordnet diese in den Kontext übergreifender Anstrengungen der Europäischen Gemeinschaft ein. Dabei arbeitet sie immer wieder heraus, dass die deutsche und französische Politik durchaus unterschiedliche und mitunter auch gegeneinander gerichtete Versuche unternahmen, die energiepolitischen Anstrengungen der Europäischen Gemeinschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen. Wie wenig harmonisch sich die Energiepolitiken der beiden Länder ausnahmen, unterstreicht auch das zweite Kapitel, das die internationale Energiediplomatie zum Gegenstand hat und die deutsch-französischen wie europäischen Anstrengungen zu einer Stabilisierung der Erdölversorgung auf internationalem Parkett nachvollzieht. Gelungen ist insbesondere die Einbeziehung "Dritter", vor allem der USA wie der Nahost-Staaten. Insbesondere das von beiderseitigem Misstrauen geprägte französisch-amerikanische Verhältnis hat, so zeigt die Autorin eindrücklich, zu deutsch-französischen Spannungen und Meinungsverschiedenheiten geführt. In der Energiepolitik schien die Unvereinbarkeit der außenpolitischen Grundsätze Frankreichs und der Bundesrepublik besonders grell auf: "Die französische Regierung wollte gestaltend in die Ordnung des Welterdölmarktes eingreifen, akzeptierte und realisierte die tatsächliche Machtverteilung in der Welt aber nur äußerst zögerlich. [...] Die Bundesregierung war [...] nicht bereit, unter europäischem Etikett die französische Politik [...] gegenüber den Erdölförderstaaten oder den USA mitzutragen." (338f.) Dieser Gegensatz wurde beispielsweise auf der Washingtoner Energiekonferenz im Februar 1974 besonders deutlich, wo die deutsche Delegation, wie Tauer zeigt, sogar die Opposition gegen Frankreich anführte (138).
Das dritte Kapitel sucht schließlich die Frage nach dem Ausbau der Kernenergie in den unterschiedlichen Debattenräumen Deutschlands und Frankreichs zu verorten, wobei zunächst weiterhin die Regierungsperspektive vorherrschend bleibt. Die internationale und nationalstaatliche Ebene wird nun aber ergänzt um regionales Regierungshandeln. Das deutsch-französische (Nicht-)Zusammenspiel wird abermals, diesmal anhand transregionaler Fallstudien im deutsch-französischen Grenzgebiet deutlich, wobei die Vielfalt der Akteure um die Anti-AKW-Bewegungen beider Länder erweitert wird. Eher wie ein Exkurs wirkt schließlich das etwas abrupt einsetzende letzte Unterkapitel zum "Stereotyp des naturliebenden Deutschen". Dieser Topos bildet den Ausgangspunkt, um die häufig angeführten und schon fast zur Karikatur geratenen unterschiedlichen Wahrnehmungen von Natur und Umwelt dies- und jenseits des Rheins näher zu betrachten. Leider ist dieser Abschnitt kaum mit dem großen Rest der Darstellung verzahnt, zumal die hier gezogenen geistes- und mentalitätsgeschichtlichen Linien den eigentlichen Untersuchungszeitraum (1973-1980) teilweise deutlich nach hinten (bis zur Romantik) und vorne (bis zur Reaktorkatastrophe von Fukushima) überschreiten.
Die weitgehende Konzentration des Buches auf eine klassische Politik- und Diplomatiegeschichte ist gerade angesichts der Tatsache bedauerlich, dass zum einen das Feld der Internationalen Geschichte in den vergangenen Jahren theoretische Anregungen von unterschiedlichster Seite erfahren hat und zum anderen in den Bereichen Umwelt- und Energiegeschichte nicht-staatliche Akteure eine beträchtliche Rolle spielen. Das unterstreicht die Autorin auch selbst, wenn sie etwa die transnationale Kooperation zwischen den Kernkraftgegnern beiderseits des Rheins als "intensivste deutsch-französische Zusammenarbeit" (205) bezeichnet. Gerade in den ersten beiden Kapiteln des Buches dominiert hingegen eine oftmals kleinteilige Ereignisgeschichte mit mitunter großer Detailverliebtheit. Hier scheint sich die Autorin in der Fülle ihres regierungsamtlichen und auch durchaus beeindruckenden Materials verloren zu haben.
Dennoch sollte die Kritik an einem Ansatz, dem man selbst keine Priorität einräumt, dessen Wahl jedoch selbstverständlich legitim ist, nicht den Blick auf die Stärken der Studie verstellen. Eine davon besteht in der gelungenen Verzahnung von bisher häufig noch nebeneinander verlaufenden Forschungssträngen: So gelingt es der Autorin Energie- und Umweltgeschichte überzeugend mit der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen zu verknüpfen. Darüber hinaus hinterfragt sie ein ums andere Mal lieb gewonnene Allgemeinplätze der deutsch-französischen Geschichte, gerade in ihrer öffentlich breit rezipierten Variante, wie die oft nahezu mythisch überhöhte deutsch-französische Männerfreundschaft zwischen Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing. Ihre Hauptthese belegt Sandra Tauer schlüssig und nachvollziehbar: Die deutsch-französische Energiepolitik nach der ersten Ölkrise ähnelte "weniger einem 'Störfall' in den deutsch-französischen Beziehungen als vielmehr dem Beginn eines schlechten Normalbetriebs". (346)
Silke Mende