Rezension über:

Antje Willing (Hg.): Die Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg. Synoptische Darstellung der Bücherverzeichnisse, Berlin: Akademie Verlag 2012, 2 Bde., CXX + 1517 S., ISBN 978-3-05-005546-6, EUR 248,00
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Rezension von:
Anja Freckmann
Bayerische Staatsbibliothek, München
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Anja Freckmann: Rezension von: Antje Willing (Hg.): Die Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg. Synoptische Darstellung der Bücherverzeichnisse, Berlin: Akademie Verlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/11/22294.html


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Antje Willing (Hg.): Die Bibliothek des Klosters St. Katharina zu Nürnberg

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Das anzuzeigende Werk ist ein gedruckter Auszug aus dem ab 2005 von dem Erlanger Mediävisten Hartmut Kugler geleiteten und seit 2010 von Antje Willing fortgeführten Datenbankprojekt "Dokumentierende Rekonstruktion der Bibliothek des Nürnberger Katharinenklosters". Im Unterschied zur Online-Ressource berücksichtigt die Druckausgabe lediglich die deutschen Handschriften, da sie in den weiter unten vorzustellenden Inventaren verzeichnet wurden, die lateinischen Bände dagegen nicht. Die Datenbank sollte laut Herausgeberin seit Juni 2012 über die Homepage der Stadtbibliothek Nürnberg aufrufbar sein (Einleitung, XII), ist aber bedauerlicherweise aktuell noch nicht zugänglich.

Das 1285 gegründete Kloster St. Katharina wurde 1428 von den Dominikanerinnen in Schönensteinbach (Elsass) der Observanz zugeführt und entwickelte sich rasch zu einem Zentrum der dominikanischen Reform in der Ordensprovinz Teutonia. Insbesondere führte die Observanz zum Auf- und Ausbau einer konventseigenen Bibliothek, was ordensunabhängig bei nahezu allen sich der Klosterreform öffnenden Gemeinschaften zu beobachten ist. Die Forschung begründet diese Entwicklung mit einer maßgeblich geänderten Einstellung zu geistlicher Lektüre, die die Schwestern über die drei Stufen der oratio, meditatio und contemplatio zur Betrachtung der Passion Christi anleiten sollte. Vor diesem Hintergrund konzentrierte sich der Sammelauftrag der Bibliothek auf geistlich-aszetische Literatur, die der Durchdringung des Menschen mit den Idealen der Observanz diente und mit ihrem spezifischen Bildungsauftrag korrespondierte.

Die Bibliothek der Nürnberger Dominikanerinnen ist eine der umfangreichsten Sammlungen des Spätmittelalters überhaupt, deren bibliothekshistorische Entwicklung sich einerseits durch die Menge der erhaltenen deutschen und lateinischen Handschriften, andererseits durch die Überlieferung von fünf zeitgenössischen Bücherinventaren nachzeichnen lässt. Auf der Grundlage der bereits von Paul Ruf edierten Kataloge [1] sowie erhaltener Handschriften konnte Willing insgesamt 726 Bände aus dem Nürnberger Katharinenkloster ermitteln, die sich aus 161 lateinischen und 565 deutschen Handschriften zusammensetzen. Von letzteren hat sich knapp die Hälfte mit 259 Bänden erhalten, während die Verlustrate für die lateinischen Bände aufgrund fehlender Bestandsverzeichnisse unbekannt ist (XII).

Die für die Schwestern zugänglichen deutschsprachigen Bände wurden nach Sachgruppen aufgestellt und in einem Standortkatalog erschlossen. Praktische Ratschläge zur Bibliotheksverwaltung erteilte der Ordenschronist Johannes Meyer (1422/23-1485), der in seinem "Buch der Ämter" [2], einer freien Übersetzung des 1254 von Humbert von Romans († 1277) verfassten "Liber de instructione officialium ordinis Praedicatorum", die Sachgruppen A bis E einführte. Die Nürnberger Katharinen erweiterten diese auf 14 Sachgruppen und ordneten den Majuskelbuchstaben A bis O die Fächer Biblia (A), Katechese (B), Psalter (C), Lektionare (D), Predigt (E), Rationale divinorum officiorum (F), Prozessionale (G), Ordensrecht (H), Hagiographie (J), weltliche Gebrauchsliteratur (K), Andacht (L) sowie Traktate (M-O) zu (XIX).

Aus den Sachgruppen ergab sich die zeitgenössische Signatur, die bei den deutschen Handschriften aus den Majuskelbuchstaben A bis O mit jeweils einer römischen Ziffer zur fortlaufenden Zählung innerhalb des Fachs bestand. Vergeben wurden die Signaturen "A. I" bis "O. XLIIII", die das Grundgerüst für den von der Buchmeisterin Kunigunde Niklasin von 1455 bis zu ihrem Tod 1457 geführten Katalog mit insgesamt 352 Nummern bilden (heute: Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. VII, 79, folio 88r-158v; Druck: MBK III/3, S. 599-637; XIX-XXIII). Zeitgleich mit der Anlage des Katalogs verfasste die Niklasin ein Inventar für die sich im Privatbesitz der Schwestern befindlichen Bücher (Sigle: PV; heute: Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. VII, 92, folio 1r-45r; Druck: MBK III/3, S. 579-596; XXXIII-XXXIX).

Für die geistliche Tischlesung im Refektorium - neben dem Chorgebet eine tragende Säule im Gemeinschaftsleben reformierter Dominikanerinnen und zum besseren Verständnis der lateinischen Chorliturgie gedacht - sind zwei nach dem Temporale und Sanktorale gegliederte Lektiokataloge überliefert. Der erste Lektiokatalog wurde zwischen 1436 und 1442 von der aus Schönensteinbach nach Nürnberg versetzten Schwester Elisabeth Karlin angelegt (Sigle: LK1A; heute: Nürnberg, Stadtbibliothek, VII, 25; Druck: MBK III/3, S. 639-650; XLII-L). Dieser wurde in Nürnberg zwischen 1446 und 1451 mit Leseanweisungen insbesondere für die zweite Hälfte des Kirchenjahres erweitert (Sigle: LK1B; L-LIX). Der zweite Lektiokatalog, der in der oben erwähnten Nürnberger Handschrift Cent. VII, 79 auf folio 3r-87r erhalten ist, wurde von der Niklasin zusammen mit dem Bibliothekskatalog und dem PV zwischen 1455 und 1457 angefertigt (Sigle: LK2; Druck: MBK III/3, S. 651-670; LIX-LXIII). Im Vergleich zu LK1A und LK1B wurde in LK2 die geistliche Tischlesung systematisch auf über 100 Heiligenfeste ausgebaut (LK1A/1B: 27 Heiligenfeste) und auch auf die Werktage ausgedehnt. Insgesamt wurde LK2 nach dem Urteil Willings über das liturgische Jahr homogener strukturiert (LXV-LXIX).

Bei der Auswahl der für die Tischlesung geeigneten Literatur griff man neben deutschsprachiger Liturgieexegese insbesondere auf Predigten von Johannes Tauler (1300-1361), Albrecht Fleischmann († 1444), Pfarrer von St. Sebald in Nürnberg, und Gerhard Comitis, Hauptlesemeister der Nürnberger Dominikaner, oder auf Legendensammlungen wie "Der Heiligen Leben" zurück. Der Kernbestand beschränkte sich auf die zeitgenössischen Signaturen E. I-IIII, E. XVI sowie E. XVII (Einleitung, LXV), zu dem in LK2 die Signaturen E. V, E. LI, E. LXIX/LXX, F. II und J. XX/XXI traten (LXVI-LXIX).

Im Hauptteil der Studie werden alle Titel, die in den fünf Verzeichnissen PV (7-66), Bibliothekskatalog (67-843), LK1A (845-922), LK1B (923-1044) und LK2 (1045-1470) genannt werden, in einer Synopse zueinander in Beziehung gesetzt, so dass die Bestandsangaben parallel nutzbar sind. Zu diesem Zweck erhalten die Titel eine Identifikationsnummer (Sigle: ID), wobei die in Standard-Schriftgröße gesetzten ID erhaltene, die hochgestellten ID verlorene Bände kennzeichnen. Wird ein Titel mehrfach in den Verzeichnissen genannt, erscheint immer dieselbe ID, über die später in der Datenbank alle einen Titel betreffende Einträge recherchiert werden sollen.

Die Synopse wird mit Verweisen auf heute noch erhaltene Bände verbunden, indem die zeitgenössische Bibliothekssignatur um die heutige Signatur ergänzt wird. Es folgen Angaben zu Verfasser oder Werktitel, zur Provenienz und Geschichte der Handschrift wie Schreiberinnenkolophone, Schenkungs- und Besitzvermerke, weiter zu wissenschaftlichen Handschriftenbeschreibungen, die Textanfang und -ende nennen, sowie zur Forschungsliteratur. Nach Willing lösen Synopse und Rekonstruktion das bestehende Forschungsdesiderat ein, die 1939 in den MBK edierten Inventare mit den seither erheblich vermehrten Forschungserträgen der modernen Mediävistik zu verbinden (XI-XII).

Die Edition, welche diejenige der MBK künftig ersetzen wird, bietet wertvolle Studienmöglichkeiten zu Fragen beispielsweise der Provenienz, Rezeption und Nutzung von geistlicher Literatur im Klosteralltag sowie ihrer Distribution innerhalb observanter Schwesterngemeinschaften. Der Verzicht auf Register, ohne die indessen eine selektive Nutzung der Bände erheblich erschwert wird, ist mit dem Zugriff auf die Datenbank zu begründen, der hoffentlich in nächster Zeit realisiert wird. Zusammen mit der Internet-Präsentation wird sich die Publikation als ein unerlässliches Arbeitsinstrument für weitere Untersuchungen nicht nur zum Konvent der Nürnberger Katharinen, sondern auch zu den mit ihnen über die Klosterreform verbundenen Frauengemeinschaften erweisen.


Anmerkungen:

[1] Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz (MBK). Bd. 3, Teil 3: Bistum Bamberg. Bearb. von Paul Ruf. München 1939. ND 1969, 570-670.

[2] Das "Buch der Ämter" liegt nur in Teilausgaben vor. Die die Bibliothek und das Amt der "Buchmeisterin" betreffenden Abschnitte sind ediert in: Scriptoria medii aevi Helvetica. Bd. 12: Das alte Bistum Basel. Hrsg. und bearb. von Albert Bruckner. Genf 1971, 35-39, zur sachlichen Aufstellung ebenda 36; ferner MBK III/3, 598-599. Nachweis der Teilausgaben bei Werner Fechter, Meyer, Johannes, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 26 (1987), Sp. 474-489, hier 477-478, und 11 (2004), Sp. 1003f.

Anja Freckmann