Michalis N. Michael / Matthias Kappler / Gavriel Eftihios (eds.): Ottoman Cyprus. A Collection of Studies on History and Culture (= Near and Middle East Monographs. New Series; Vol. 4), Wiesbaden: Harrassowitz 2009, 366 S., ISBN 978-3-447-05899-5, EUR 68,00
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Die Herausgeber des hier zu besprechenden Sammelbands verfolgen nach eigener Aussage zwei Ziele (7). Zum einen vereint der Band neue Beiträge zur Erforschung der osmanischen Herrschaft auf Zypern. Das Werk enthält neben einer Einleitung und einem Apparat aus Archivdokumenten, einer Bibliographie und einer Auflistung von Würdenträgern verschiedener Art (s.u.) 14 Beiträge zur osmanischen Geschichte Zyperns. Inhaltlich lassen sich diese Aufsätze in drei Sektionen einteilen.
Eftihios Gavriel leitet die erste, chronologisch konzipierte Sektion ein. Mit einem Auszug aus Kâtip Çelebis Tuhfetü'l-kibâr fî esfâri'l-bihâr (1656) stellt Gavriel eine Primärquelle über den osmanischen Eroberungsfeldzug gegen Zypern vor. Die Passage (Druckausgabe Istanbul, 1729, 39v-42r) erscheint in Transliteration und in englischer Übersetzung (The Expedition for the Conquest of Cyprus in the Work of Kâtip Çelebi, 25-36). Benjamin Arbel nimmt sich der Zeit unmittelbar vor der osmanischen Eroberung an und schildert demographische, soziale und wirtschaftliche Prozesse auf der Insel. Daneben beschreibt Arbel gesellschaftliche Strukturen auf dem Land und in der Stadt im Spiegel des Verhältnisses zwischen einheimischer Bevölkerung - vornehmlich der oberen gesellschaftlichen Schichten - und den venezianischen Herrschern (Cyprus on the Eve of the Ottoman Conquest, 37-48). Vera Costantini veranschaulicht in ihrem Beitrag, wie die Eingliederung der ehemals tributpflichtigen Insel in das Osmanische Reich vollzogen wurde (In Search of Lost Prosperity: Aspects and Phases of Cyprus's Integration into the Ottoman Empire, 49-61). Nach Marios Hadjianastasis vollzog sich von 1650 bis 1750 eine "Konsolidierung" (63) der zyprisch-osmanischen Elite(n), deren Entwicklung er mittels wirtschaftlicher und sozialer Indikatoren nachzeichnet. So entstand zum einen eine lokale osmanische, militärische Elite, welche zunehmenden wirtschaftlichen Einfluss gewann. Zum anderen erlangte die orthodoxe Kirche Zyperns im Vergleich zu früheren Epochen größere Freiheiten und Rechte, die ihr zu beachtlicher Macht verhalfen. Eine dritte Größe stellten ausländische Kaufleute und Diplomaten dar (Cyprus in the Ottoman Period: Consolidation of the Cypro-Ottoman Elite, 1650-1750, 63-88). Die folgenden Jahrzehnte bis 1830 stehen im Fokus von Theoharis Stravrides' Beitrag. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jh. wurden die politischen und wirtschaftlichen Geschicke Zyperns hauptsächlich durch drei Akteure bestimmt: osmanischer Gouverneur, orthodoxe Kirche und der jeweils amtierende Dragoman. Des Weiteren schildert Stavrides, wie sich durch widrige Umstände hervorgerufene Einbußen in landwirtschaftlichen Erträgen auf die Bevölkerung auswirkten. (Cyprus 1750-1830. Administration and Society, 89-106). Marc Aymes widmet sich der Frage, wie die Umsetzung der Tanzimat-Reformen auf Zypern angesichts ihrer Komplexität einerseits und mangelnder Quellenlage andererseits zu untersuchen sei. Aymes kommt zu dem Schluss, im Falle von Zypern habe der Diskurs über die Maßnahmen ihre konkrete Durchführung überschattet (Reform Talks: Applying the Tanzimat to Cyprus, 107-116).
Die folgenden fünf Aufsätze vertiefen in Einzeldarstellungen Inhalte aus der ersten Sektion. Netice Yıldız' Beitrag ist den auf Zypern gegründeten osmanischen Stiftungen gewidmet. Neben einer Klassifizierung der Stiftungen und einer Beschreibung ihrer Aktivitäten skizziert die Autorin, wie diese Einrichtungen für die Festigung der osmanischen Herrschaft sowie für die Demonstration einer gewissen Sicherheit auf der Insel instrumentalisiert wurden, um etwa (Zwangs-)Umsiedlungen aus Anatolien attraktiv zu gestalten. Yıldız beleuchtet kurz auch das Geschick der Stiftungen nach der Einnahme Zyperns durch Großbritannien sowie der Gründung der Türkischen Republik (The Vakf Institution in Ottoman Cyprus, 117-159, 15 Abb.). Mete Hatay erörtert Aspekte der Sklavenhaltung auf Zypern (Servants, Slaves and Concubines in Ottoman Cyprus (1571-1878), 161-180). Unmittelbar nach der Eroberung wurden nach osmanischen Dokumenten über 13.000 Gefangene versklavt. Daneben wurden zahlreiche Sklaven aus anderen Ländern nach Zypern gebracht. Der überwiegende Teil wurde in Haushalten und in der Landwirtschaft beschäftigt. Unter Berufung auf Ehud Toledano [1] führt Hatay an, dass Sklavenhaltung unter den Osmanen im Vergleich zu westlichen Mächten als "milder" einzustufen sei (175). Erica Ianiro beschreibt Zyperns zentrale Funktion für den internationalen Handel des Mittelmeerraums, insbesondere aber für den venezianischen. (Notes on Venetian Commerce on Cyprus in the 18th Century, 181-196). Aus Ali Efdal Özkuls Beitrag über Handwerker und ihre Produkte ist zu entnehmen, welche Handwerksberufe im 18. Jh. auf Zypern ausgeführt wurden und wie sie auf Christen und Muslime verteilt waren. Im zweiten Teil seines Aufsatzes untersucht Özkul, wie Preisfindung und -festsetzung vor sich gingen (Tradesmen (Esnaf) and their Products in 18th Century Ottoman Cyprus, 197-208). Michalis N. Michael legt dar, wie die orthodoxe Kirche Zyperns zu einer politischen Autorität im Sinne der osmanischen Herrschaft aufgestiegen ist. (An Orthodox Institution of Ottoman Political Authority: The Church of Cyprus, 209-230).
Künstlerische Aspekte der zyprischen Kulturgeschichte sind Gegenstand der dritten Sektion. Euphrosyne Rizopoulou-Egoumenidou demonstriert in ihrem Beitrag, wie sich anhand von Nachlassinventaren Entwicklungen im kunsthandwerklichen Betrieb auf Zypern nachzeichnen lassen (Traditional Craftsmen in Cyprus during the Period of Ottoman Rule, through Lists of Property of Deceased Persons, 231-257, 14 Abb.). Iosif Hadjikyriakos setzt sich in seiner Arbeit über die dekorativen Künste mit Fragen zu Kulturkontakt und sozialem und politischem Prestige auseinander (The Decorative Arts in Cyprus: Represenation of a Society from the 17th to the 19th Century, 259-283, 17 Abb.) Matthias Kappler plädiert in seinem literaturgeschichtlichen Beitrag für eine gemeinsame, d.h. griechische und osmanisch-türkische Geschichte der literarischen Produktion auf Zypern in osmanischer Zeit (Toward a Common Turkish and Greek Literary History in Ottoman Cyprus, 285-295). Kappler fordert eine Literaturgeschichte fernab von einer jeweils ideologisch geprägten "centre-oriented attitude" (285). Vielmehr plädiert der Autor für eine Literaturgeschichte, welche das Verhältnis von Zentrum und Peripherie in beiden Traditionen untersucht und dabei von Konstantinopel/Istanbul als Zentrum für beide Traditionen ausgeht.
Die folgenden drei Beiträge bieten einen hilfreichen Apparat an Instrumentarien für wissenschaftliche Untersuchungen. Michalis N. Michael und Marc Aymes verzeichnen ausgewähltes Archivmaterial aus verschiedenen Ländern (Archival Collections on the Ottoman Period of the History of Cyprus, 297-309). Yiannis Ioannou legt eine umfangreiche, thematisch geordnete Bibliographie vor (A Bibliographical Guide to Ottoman Cyprus, 311-356). Theoharis Stavrides schließlich listet osmanische Gouverneure, Kirchenfürsten und Dragomane auf (Lists of Governors, Prelates and Dragomans of Cyprus (1571-1878), 357-366). In diesem reichhaltigen Apparat fehlen leider ein Index wichtiger Begriffe und Namen sowie eine Karte Zyperns mit griechischen und türkischen Ortsnamen.
Dem zweiten Ziel dieses Sammelbands verschreibt sich Michalis N. Michael in seiner Einleitung (Introduction: The Unchanging "Turkish Rule", the "Fair Ottoman Administration" and the Ottoman Period in the History of Cyprus, 9-24). Michael fordert, moderne historiographische Modelle in der Untersuchung der osmanischen Geschichte Zyperns anzuwenden. Damit positioniert er die thematischen Beiträge in einen methodischen Rahmen, der die Loslösung faktenbezogener Erkenntnisgewinnung von eingefahrenen nationalistischen, ethnozentrischen Interpretationsmustern vorsieht. Gerade die wissenschaftliche Behandlung der osmanischen Geschichte Zyperns sei, so Michael, ein gutes Beispiel für ethnozentrisch angelegte (zypriotische und griechische) Geschichtsschreibung. So sagten zypriotische Geschichtswerke mehr über den Geist der Zeit aus, in der sie entstanden sind, als über die untersuchte Zeit selbst. Michalis konzentriert sich hauptsächlich auf die zypriotische und griechische Geschichtsschreibung, doch seine Kritik gilt auch der türkischen. Denn auch auf türkischer Seite nahm die Geschichtsschreibung eine gleichermaßen einseitige nationalistische Perspektive ein, welche die jeweils aktuellen politischen und ideologischen Gegebenheiten auf die Beschreibung historischer Begebenheiten projizierte - mit allen Auswirkungen auf (Schul-)Bildung und Wissenschaft. Michaels Plädoyer für eine kritische Auseinandersetzung mit der offiziellen Geschichtsschreibung bezieht sich auch auf die Neigung letzterer, ausschließlich die Repräsentanten der Hohen Pforte als Inhaber politischer Macht auf Zypern darzustellen. Dabei lag die politische und wirtschaftliche Macht auf der Insel nicht nur in den Händen der osmanischen Gouverneure. Bezeichnenderweise waren die orthodoxe Kirche Zyperns und der sog. Dragoman zeitweise mit außerordentlich großer Macht ausgestattet; diese drei Institutionen lenkten in Interaktion die Geschicke der Insel. Eine dritte Schwäche der "traditionellen Historiographie" (22) sei die Isolation Zyperns von den Entwicklungen im Osmanischen Reich und auch in Europa.
Mit seinen Forderungen reiht sich Michael in rezente Entwicklungen in der Erforschung der osmanischen Geschichte ein. Angesichts der besonderen politischen Lage Zyperns, insbesondere seit 1974, erscheinen seine Forderungen umso angebrachter. Zyperns osmanische Geschichte schreit förmlich nach einem Dialog zwischen zypriotischen/griechischen und türkischen Osmanisten. Allerdings wäre der programmatische Charakter der Einleitung, ja sogar des gesamten Sammelbands, noch deutlicher zum Vorschein gekommen, hätte Michael eine Synthese der nachfolgenden Beiträge vorgenommen und dabei im einzelnen erläutert, wie sich die jeweiligen Autoren mit den Anforderungen moderner historiographischer Methoden auseinandersetzen und in welche aktuellen theoriebezogenen Diskussionen die Beiträge einzuordnen sind. Immerhin folgen die Beiträge größtenteils, wenn auch implizit, dem in der Einleitung gesteckten Ziel und berichten gleichsam aus einer revisionistischen Perspektive.
Mit fortschreitender Lektüre kristallisiert sich ein inhaltlicher Punkt heraus, der m.E. in diesem Band leider zu kurz kommt: Einzelne Aufsätze widmen sich zwar Teilen der Bevölkerung und der Institutionen (Kaufleute, Handwerker, Sklaven, Kleriker etc.), doch es fehlt eine Gesamtschau auf die Einwohner Zyperns - Muslime und Christen. Insgesamt herrscht in diesem Band das "Osmanische" vor - was sicher in der Absicht der Herausgeber liegt, doch hätte eine eingehendere Beschäftigung mit dem "Zyprischen" und dem Verhältnis beider Bezugsrahmen zueinander das Werk noch besser abgerundet. Dies soll aber die besondere Qualität dieser Arbeit in keiner Weise schmälern. Es liegt ein nützlicher Band vor, der gleichermaßen Spezialisten und Laien neue Denkansätze und Erkenntnisse liefern dürfte.
Anmerkung:
[1] Ehud Toledano: Osmanlι Köle Ticareti 1840-1890, İstanbul 1994 (Türk. Übersetzung von: Ehud R. Toledano: The Ottoman Slave Trade and its Suppression: 1840-1890, Princeton 1982.)
Sevgi Ağcagül