Esther Möller / Johannes Wischmeyer (Hgg.): Transnationale Bildungsräume. Wissenstransfers im Schnittfeld von Kultur, Politik und Religion (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte; Beiheft 96), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 195 S., ISBN 978-3-525-10124-7, EUR 49,99
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Das Konzept der Transnationalität hat in den letzten Jahren in der Geschichtswissenschaft große Aufmerksamkeit erfahren. Politisch gewollt, befruchtet es auch die Historische Bildungsforschung. Der vorliegende Band aus der Produktion des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz verbindet den transnationalen Austausch mit dem Konzept von "Bildungsräumen". Im 19. Jahrhundert, dem Untersuchungszeitraum der Studie, entstanden die teilweise bis heute Norm setzenden Strukturen des Bildungswesens in den europäischen und von Europa beeinflussten Ländern. Dahinter standen Diskurse ganz unterschiedlicher Art, wie etwa die Frage nach einer "Nationalerziehung", die Spannung zwischen Religion und Säkularität (Laizität), Kolonialismus und Zivilisierung. Die sozialen Räume waren Schulen und Universitäten, aber auch regionale Zuständigkeiten (Kultushoheit der Länder) sowie der zwischenstaatliche Austausch über Personen. Dieses von den beiden Herausgebern (7-20) sowie von Sylvia Kesper-Biermann (21-41) eingeführte Konzept wird in den einzelnen Beiträgen des Sammelbandes angewandt.
Jana Tschurenev (43-62) beschreibt die Methode des wechselseitigen Unterrichts, den der schottische Pastor Andrew Bell Ende des 18. Jahrhunderts im indischen Madras kennengelernt hatte. Durch ihn und Joseph Lancaster wurde dieses System im englischen Mutterland übernommen und hatte seinerseits wiederum Einfluss auf die Verbesserung der Elementarschulbildung in Indien. Die Abhängigkeit der Ausgestaltung von Bildungsräumen von den politischen Machtverhältnissen zeigt Bettina Severin-Barboutie (63-81) am Beispiel der Hochschulreformdebatte im Großherzogtum Berg in napoleonischer Zeit auf. Verlierer war die Universität Duisburg, die zwar in napoleonischer Zeit gegen eine Düsseldorfer Neugründung überleben konnte, unter preußischer Herrschaft jedoch der Bonner Universitätsgründung weichen musste.
Mit protestantischen Vermittlungstheologen des 19. Jahrhunderts beschäftigt sich der Beitrag von Johannes Wischmeyer (83-115). Trotz unterschiedlicher Bildungssysteme (in Deutschland: Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten; in den USA: Academies und Colleges) gab es einen regen Austausch über den Atlantik hinweg. Dabei strebten die Theologen "nach Verbesserung des eigenen Systems durch Aneignung und Weiterentwicklung des organisatorischen Wissens, das die andere Seite bot" (114). Die jeweiligen Bildungskulturen blieben freilich bestehen.
In der Endphase des Osmanischen Reiches gab es einen regen Transfer deutschen Bildungswissens. Wie Mustafa Gencer (117-136) zeigt, wurden im Volks- und Sekundarschulbereich die Grundlagen für die Bildungsreformen der jungen Türkei gelegt. Der personelle Austausch von Wissenschaftlern zwischen den beiden Ländern trug wesentlich zum Erfolg der transnationalen Bildungsanstrengungen bei. Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts abgehaltenen Weltausstellungen trafen auf eine große Resonanz. Seit 1862 umfassten sie auch Sektionen, die sich dem Thema Bildung widmeten. Klaus Dittrich (137-155) analysiert die Berichterstattung darüber in deutschen Periodika. Besonderes Augenmerk widmet er den Fragen der Schulhygiene und der technischen Bildung.
Nach der Gründung des italienischen Nationalstaats entbrannte eine Debatte über die Ausbildung der Gymnasiallehrer. Sollte das deutsche Universitätsmodell oder das von Frankreich übernommene Modell der Scuola normale eingeführt werden. Francesco Marin (157-169) beschreibt die Diskussionen darüber. Sein Ergebnis: "Das Schielen auf die 'deutsche Wissenschaft' als Folie und Maßstab für den eigenen Fortschritt förderte die Ausbildung guter Forscher viel mehr, als es zur Lösung der Frage der Lehramtskandidaten beitrug." (169) Der letzte Beitrag von Esther Möller (171-187) behandelt die französischen Schulen im Libanon. Die entsendenden Institutionen verbanden mit ihrem Engagement die Idee einer "Zivilisierungsmission" (171), doch stand diese nicht bei allen Akteuren im Vordergrund. Eine Integration in die libanesische Gesellschaft gelang nur partiell.
Die Aufsätze zeigen deutlich, wie schwierig sich transnationales Engagement gestaltet. In vielen Fällen bleibt es bei einseitigem Interesse und der Übernahme von best practice-Erfahrungen. Wechselseitiges Profitieren von Institutionen und Strukturen bleibt die Ausnahme. Zu untersuchen wäre, ob dieser Befund unter den Bedingungen einer globalisierten Weltgesellschaft immer noch gilt.
Joachim Schmiedl